JudikaturOGH

12Os58/14t – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinksi als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Moritz als Schriftführer, in der Übergabesache des Josef M***** wegen Übergabe zur Strafvollstreckung an die Republik Tschechien, AZ 8 HR 34/14k des Landesgerichts Klagenfurt, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 19. März 2014 (ON 23) sowie den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 25. April 2014, AZ 1 Bs 49/14m (ON 36), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit nach mehreren Verhandlungsterminen, an denen der Angeklagte teilgenommen hatte, ergangenem Urteil des Stadtgerichts Prag vom 26. Oktober 2010, AZ 40 T 3/2010, wurde Josef M***** letztlich in Abwesenheit wegen des Verbrechens des Zuschussbetruges nach § 212 Abs 1, Abs 5 lit a, Abs 6 lit a des tschechischen Strafgesetzbuchs und des Verbrechens der Wäsche von Erträgen aus Straftaten nach § 216 Abs 1 lit a, Abs 3 lit b, lit c und lit d des tschechischen Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Mit Urteil vom 14. Dezember 2011, AZ 6 To 44/2011, entschied das Obergericht Prag ebenfalls in dessen Abwesenheit über die dagegen erhobene Berufung des Genannten. Die schließlich dagegen erhobene Revision wurde vom Obersten Gericht der Tschechischen Republik mit Beschluss vom 27. März 2013 zurückgewiesen (ON 14).

Aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Stadtgerichts in Prag vom 10. Juni 2013, AZ 40 T 3/2010 (ON 3), bewilligte das Landesgericht Klagenfurt mit Beschluss vom 19. März 2014, GZ 8 HR 34/14k 23, die Übergabe des Josef M***** zur Strafvollstreckung an die Tschechische Republik.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 25. April 2014, AZ 1 Bs 49/14m, nicht Folge (ON 36).

Rechtliche Beurteilung

Gegen beide Beschlüsse richtet sich der fristgerecht erhobene Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO.

Ein Erneuerungsantrag, der sich nicht auf eine Entscheidung des EGMR berufen kann, ist nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zulässig (RIS Justiz RS0122228), muss aber allen gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 Abs 1 und 2 MRK sinngemäß entsprechen (RIS Justiz RS0122737). Weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 13 Rz 16, Rz 50; EGMR 12. 7. 2001, Ferrazzini gegen Italien, Nr 44759/98), muss auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darlegen, worin eine vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei. Dabei hat er sich mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen.

Zunächst ist dem Einwand, das Übergabeverfahren selbst habe gegen Art 6 MRK verstoßen, zu erwidern, dass dieses nicht in den Anwendungsbereich dieser Konventionsbestimmung fällt. Deren Verfahrensgarantien können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass sie im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Prozesses erfahren musste oder eine solche droht (RIS Justiz RS0123200; 14 Os 77/13z; 14 Os 128/12y; 12 Os 158/12w; 12 Os 160/10m; 13 Os 150/07v; 15 Os 117/07f). Der Begriff „offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens“ meint ein Verfahren, das offensichtlich den Bestimmungen des Art 6 MRK oder den darin verkörperten Grundsätzen widerspricht. Dieses Kriterium ist streng auszulegen. Es geht über bloße Unregelmäßigkeiten oder fehlende Sicherungen im Verfahren hinaus, die zu einer Verletzung von Art 6 MRK führen könnten, wenn sie im Konventionsstaat selbst auftreten würden. Erforderlich ist ein Verstoß gegen die Grundsätze des fairen Verfahrens, der so gravierend ist, dass er einer Zerstörung des Wesensgehalts des durch Art 6 MRK garantierten Rechts gleichkommt. Bei der Beurteilung dieser Kriterien sind jene Standards und Beweislastregeln anzuwenden, die auch bei der Prüfung von Auslieferungen oder Ausweisungen unter Art 3 MRK gelten.

Soweit der Antrag die örtliche Unzuständigkeit des Stadtgerichts Prag und eine Verletzung der Verfahrensrechte durch unzureichende Information über den Gegenstand des Hauptverfahrens sowie die fehlende Möglichkeit, sich auf das Hauptverfahren ausreichend vorzubereiten, rechtzeitig einen Verteidiger zu wählen und mit diesem ungestört kommunizieren zu können, behauptet (Art 6 Abs 3 lit a bis c MRK), spricht er ausschließlich das erstinstanzliche Verfahren betreffende Vorgänge an. Eine offenkundige Verletzung von Konventionsgarantien im oben dargelegten Sinn zeigt der Erneuerungswerber damit jedoch nicht auf, zumal das angesprochene Urteil des Stadtgerichts Prag Gegenstand eines nachfolgenden, ordentlichen Rechtsmittelverfahrens war und daher von einer ausreichenden Möglichkeit auszugehen ist, dort allfällige, im Lichte der MRK relevante Verfahrensmängel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend machen zu können.

Überdies hat das Landesgericht Klagenfurt im Sinn des § 11 EU JZG ausreichend überprüft, ob die letztlich in Abwesenheit erfolgte Verurteilung des Erneuerungswerbers im Rahmen eines fairen Verfahrens erfolgt ist (vgl 14 Os 149/13p).

So bescheinigten die Behörden des ersuchenden Staats, welche auf die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten zur Eröffnung der Hauptverhandlung, dessen Teilnahme an den einzelnen Verhandlungsterminen bzw sein Ersuchen um Verhandlung in Abwesenheit an zwei Terminen und dessen lückenlose Vertretung durch einen (laut vorliegendem Antrag von ihm betrauten) Verteidiger verwiesen, die Erfüllung der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 Z 1 und Z 2 EU-JZG (ON 14). Die vorliegende Bescheinigung zeigt aber auch, dass nach Zustellung des erstinstanzlichen Abwesenheitsurteils aufgrund einer Berufung des Angeklagten ein ordentliches Rechtsmittelverfahren vor dem Obergericht Prag durchgeführt wurde, weshalb der von § 11 Abs 1 Z 3 und Z 4 EU-JZG geforderten Möglichkeit, die Neudurchführung des Verfahrens beantragen oder ein Rechtsmittel zur neuerlichen Überprüfung des Sachverhalts ergreifen zu können, bzw der Belehrung darüber keine Bedeutung mehr zukommt.

Dass das Rechtsmittelverfahren vor dem Obergericht Prag bzw dem Obersten Gericht Tschechiens selbst nicht den Anforderungen der Konvention entsprochen hätte, macht der Erneuerungswerber gar nicht geltend. Demgemäß versagt auch der Einwand, der Verfassungsgerichtshof Tschechiens habe das außerordentliche Rechtsmittel der Grundrechtsbeschwerde zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen.

Schließlich lassen die in diesem Zusammenhang weiters aufgestellten Behauptungen, dass der Erneuerungswerber durch seine Weigerung, „Teil des korrupten politischen Systems“ zu werden, zum Staatsfeind geworden sei, der Begriff „Justizmafia“ in Tschechien allgegenwärtig sei und der Leiter der an ihrer Spitze stehenden Oberstaatsanwaltschaft Prag mittlerweile suspendiert und Ziel von Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch und Korruption sei, keine objektiven Anhaltspunkte erkennen, dass der Haftbefehl zur Bestrafung des Erneuerungswerbers aus den in § 19 Abs 4 EU JZG genannten Gründen erlassen wurde.

Im Übrigen wird mit der erstmals im Beschwerdeverfahren aufgestellten (ON 33 und 35), durch objektive Beweismittel nicht belegten und den eigenen ursprünglichen Angaben des Erneuerungswerbers, tschechischer Staatsbürger zu sein (ON 2 S 31; ON 4 S 2), entgegenstehenden Behauptung einer österreichischen Staatsbürgerschaft das Übergabehindernis des § 5 Abs 4 erster Satz EU-JZG nicht ausreichend dargetan.

Der Antrag war daher gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO als unzulässig zurückzuweisen.

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