JudikaturOGH

17Os18/14x – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. August 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zillinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mag. Martin W***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 16. April 2012, GZ 36 Hv 1/12x 10, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, des Verurteilten und seines Verteidigers Mag. Morent zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 16. April 2012, GZ 36 Hv 1/12x 10, verletzt § 302 Abs 1 StGB.

Es wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Mag. Martin W***** wird von der Anklage, er habe „am 27. Juli 2011 in St. Pölten als Beamter des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB) mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem konkreten Recht auf Gebühreneinhebung für Abfragen aus dem Zentralen Melderegister zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Niederösterreich als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliches Erfordernis aus rein privater Motivation in der ZMR Anwendung die gespeicherten Daten seiner Tochter Bernadette R***** abfragte“, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 16. April 2012, GZ 36 Hv 1/12x 10, wurde Mag. Martin W***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er „am 27. Juli 2011 in St. Pölten als Beamter des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB) mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an seinem konkreten Recht auf Gebühreneinhebung für Abfragen aus dem Zentralen Melderegister zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Niederösterreich als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliches Erfordernis aus rein privater Motivation in der ZMR Anwendung die gespeicherten Daten seiner Tochter Bernadette R***** abfragte.“

In ihrer gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes bringt die Generalprokuratur Folgendes vor:

Schädigungsobjekt des § 302 StGB kann nicht das allgemeine Recht des Staates gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufsausübung sein, sondern neben dem Vermögensrecht nur ein konkretes Recht des Staates. Dieses vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staates darf nicht allein jenes sein, das den Beamten verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen (RIS Justiz RS0096261 [insbes T4], vgl auch RS0096270).

Allein die missbräuchliche Beschaffung von dem Datenschutz unterliegenden personenbezogenen Daten ohne darüber hinausgehenden Vorsatz, ein konkretes Recht des Staates oder einer Person zu schädigen, reicht für die Verwirklichung des Tatbestands des § 302 Abs 1 StGB nicht aus (RIS Justiz RS0112120).

In Fällen ausschließlich missbräuchlicher Beschaffung von Daten (ohne deren Weitergabe oder Verwertung) bildet in aller Regel das Recht des Betroffenen auf Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten gegenüber dem ermittelnden (vgl § 4 Z 8 iVm Z 9 DSG) Beamten den Bezugspunkt des von § 302 Abs 1 StGB geforderten Schädigungsvorsatzes (RIS Justiz RS0096604 [T8]). Hingegen kommt bei allgemein zugänglichen, demnach nicht dem Geheimnisschutz unterliegenden Daten, hinsichtlich derer das ZMR ohnedies ein öffentliches Register ist (§ 16 Abs 1 MeldeG), oder (hier nicht relevant) wenn der an der Geheimhaltung Berechtigte der Verwendung seiner Daten zugestimmt hat (vgl § 8 Abs 1 Z 2 DSG), ein allein durch eine Meldeabfrage begründeter Befugnismissbrauch nicht in Betracht. Ein deliktisches Verhalten nach § 302 Abs 1 StGB würde in diesen Fällen den Vorsatz erfordern, ein (anderes) konkretes Recht etwa jenes des Staates auf Einhebung von Verwaltungsgebühren für die Erteilung von Auskünften zu schädigen (RIS Justiz RS0114637 [T6, T7]).

Der Vorsatz auf Schädigung des Staates in dem in § 15 Abs 3 der MeldeG-Durchführungsverordnung (MeldeV) konkretisierten Recht auf Gebühreneinhebung nach § 18 Abs 6 MeldeG kommt im Anlassfall nicht in Frage, weil hier weder eine Meldeauskunft gemäß § 18 Abs 1 MeldeG vorliegt noch der Verurteilte der „als Beamter des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung“ (US 2) nicht als Meldebehörde (vgl § 13 Abs 1 MeldeG) fungiert zu einer solchen Auskunftserteilung befugt wäre (vgl RIS Justiz RS0127795 [insbes T1]).

Demnach vermag der vom Erstgericht im Urteilstenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) der beim gekürzt ausgefertigten Urteil die fehlenden Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) als Bezugspunkt für die materiellrechtliche Beurteilung ersetzt (RIS Justiz RS0125032) allein zur Darstellung gebrachte Vorsatz des Verurteilten, „den Staat an seinem konkreten Recht auf Gebühreneinhebung für Abfragen aus dem Zentralen Melderegister zu schädigen“ (US 2), die rechtliche Annahme eines erweiterten Rechtsschädigungsvorsatzes im Sinn des § 302 Abs 1 StGB nicht zu tragen.

Der aufgezeigte Rechtsfehler ist geeignet, sich zum Nachteil des Verurteilten auszuwirken, weshalb seine Feststellung vom Obersten Gerichtshof gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen wäre.

Ein auf die Ermittlung nicht allgemein zugänglicher Daten gerichteter Rechtsschädigungsvorsatz des Verurteilten (RIS Justiz RS0114317 [T4]; vgl auch RS0096604 [T13]) ist nach der Aktenlage (insbes ON 5 S 11 f) zwar nicht indiziert, doch kann nach Ansicht der Generalprokuratur zumal aus nachstehenden Erwägungen ein auf die Schädigung von Vermögensrechten (hier des Landes Niederösterreich) gerichteter Vorsatz sehr wohl in Betracht kommen kann (RIS Justiz RS0096979, RS0096261, vgl auch RS0112120 [T2]) nicht sofort ein Freispruch gefällt werden:

Nach § 16a Abs 8 MeldeG iVm § 15 Abs 1 MeldeV haben (andere als Sicherheitsbehörden oder Organe der Gemeinden) abfrageberechtigte Stellen (das sind gemäß § 1 Z 3 MeldeV auch die Organe von Gebietskörperschaften) soweit es sich nicht um die Erfüllung der sich aus § 16a Abs 9 MeldeG ergebenden Verpflichtungen handelt (dh soweit sie nicht in Vollziehung eines Bundesgesetzes den Gesamtdatensatz eines Betroffenen aus dem ZMR ermitteln, weil dieser für ihr Verfahren von Bedeutung ist) für die Erteilung einer Auskunft aus dem ZMR im Wege des Datenfernverkehrs eine Verwaltungsabgabe in der Höhe von 1 Euro an den Betreiber zu entrichten.

Diese Verwaltungsabgabe fällt gemäß § 15 Abs 5 MeldeV dann nicht an, wenn es sich bei den abfrageberechtigten Stellen um Organe der Länder handelt und was durch Feststellungen zu klären sein wird das jeweilige Land an den Betreiber einen (nach der Einwohnerzahl des Landes bestimmten) Pauschalbetrag entrichtet.

Demzufolge kann sich ein allfälliger Schädigungsvorsatz auf die vom Land Niederösterreich infolge der durch die (missbräuchliche) Abfrage im ZMR an den Betreiber zu entrichtende Verwaltungsabgabe beziehen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Vorsatz, einen anderen an seinen Rechten in Betreff eines Vermögensanspruchs zu schädigen, ist nur bei Existenz eines solchen Anspruchs taugliche Grundlage für eine Tatbeurteilung nach § 302 Abs 1 StGB (vgl 17 Os 1/12v, EvBl 2012/136, 922, JBl 2013, 193; 17 Os 20/12p, EvBl 2013/42, 274).

Als Beamter der Niederösterreichischen Landesregierung war Mag. Martin W***** nicht zur Erteilung von Meldeauskünften nach § 18 Abs 1 MeldeG befugt, sodass er den Staat nicht am Gebührenanspruch nach § 18 Abs 6 MeldeG (vgl auch § 15 Abs 3 MeldeV) hätte schädigen können (neuerlich 17 Os 1/12v).

Der (darüber hinaus denkbare) Anspruch des Betreibers (das ist nach § 1 Z 1 MeldeV der Bundesminister für Inneres) auf Entrichtung eines Pauschalbetrags für einzelne Abfragen durch Organe der Länder nach § 15 Abs 1 MeldeV hängt wie die Generalprokuratur zutreffend betont (von den Fällen des § 16a Abs 9 MeldeG abgesehen) davon ab, ob das Bundesland Niederösterreich von der ihm durch die MeldeV idF BGBl II 2004/247 eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, an den Betreiber einen Pauschalbetrag im Sinn des § 15 Abs 5 MeldeV zu entrichten. In einem solchen Fall fielen für einzelne Abfragen keine Verwaltungsabgaben an.

Kann die maßgebliche Rechtslage wegen eines an tatsächliche Umstände geknüpften Ausnahmesatzes (§ 15 Abs 5 MeldeV) nicht allein anhand gesetzlicher Vorschriften und sonstiger im BGBl kundgemachter Rechtsakte ermittelt werden (vgl dazu Ratz , WK StPO § 281 Rz 343), muss auch ein nach § 270 Abs 4 StPO gekürzt ausgefertigtes Urteil zwecks Überprüfbarkeit der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts (RIS Justiz RS0125764) die insofern erforderlichen Feststellungen enthalten.

Solche sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen, womit es in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur mit dem Gesetz nicht im Einklang steht.

Nach § 292 letzter Satz StPO sah sich der Oberste Gerichtshof auch bestimmt, dieses für Mag. Martin W***** nachteilige Urteil aufzuheben und sofort in der Sache zu entscheiden.

Denn die Annahme eines Vermögensanspruchs nach § 15 Abs 1 MeldeV ermöglichende Urteilsannahmen sind mit Blick auf die dem Obersten Gerichtshof vom Bundesministerium für Inneres erteilte Information, wonach das Bundesland Niederösterreich von der durch § 15 Abs 5 MeldeV idF BGBl II 2004/247 eingeräumten „Option“ Gebrauch gemacht hat, in einem zweiten Rechtsgang nicht zu erwarten. Da nach der Aktenlage auch sonst keine im Sinn des § 302 Abs 1 StGB beachtlichen Rechte als Bezugspunkt eines Schädigungsvorsatzes in Frage kommen, war aus prozessökonomischen Gründen von einer Rückverweisung an das Landesgericht St. Pölten abzusehen ( Ratz , WK StPO § 288 Rz 24) und mit Freispruch vorzugehen.

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