JudikaturOGH

2Ob58/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin A***** J*****, vertreten durch die Sachwalterin S***** J*****, vertreten durch Mag. Anna Maria Freiberger, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner A***** J*****, vertreten durch Dr. Susanne Schuh, Rechtsanwältin in Perchtoldsdorf, wegen Unterhalt, infolge des Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 24. Jänner 2014, GZ 43 R 729/13v 21, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Liesing vom 18. November 2013, GZ 12 FAM 36/13a 15, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Akten werden dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, einen Kollisionskurator für die Antragstellerin zu bestellen. Der Kurator ist unter Setzung einer angemessenen Frist zu befragen, ob er die bisherige Verfahrensführung durch die Sachwalterin genehmigt.

2. Die Akten sind dem Obersten Gerichtshof nach Rechtskraft der Kuratorbestellung und Vorliegen der Genehmigung oder ungenutztem Ablauf der dafür gesetzten Frist wieder vorzulegen.

Text

Begründung:

Die 1971 geborene Antragstellerin leidet seit ihrer Geburt an einer hochgradigen geistigen Entwicklungsstörung. Betreut wird sie von ihrer Mutter, die auch zur Sachwalterin bestellt worden ist.

Die Ehe der Eltern wurde am 11. 4. 1991 im Einvernehmen nach § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich verpflichtete sich der Vater zur Leistung eines monatlichen Unterhalts von 7.500 S an die Mutter, es erfolgte jedoch keine Festsetzung des Kindesunterhalts. Statt dessen verpflichtete sich die Mutter, für die Kosten des Unterhalts der Antragstellerin aufzukommen und den Vater hinsichtlich dieser Verpflichtung schad- und klaglos zu halten.

Der Vater bezieht seit dem Jahr 2007 eine Invaliditätspension. Nach vorübergehender Einstellung seiner Unterhaltszahlungen leistet er seit Beginn des Jahres 2011 an die Mutter einen monatlichen Unterhalt von 210 EUR. Die Festsetzung eines an die Antragstellerin zu leistenden Geldunterhalts ist bisher noch nicht erfolgt. Die Antragstellerin bezieht derzeit Leistungen nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz, Pflegegeld und die erhöhte Familienbeihilfe.

Mit pflegschaftsgerichtlich genehmigtem Antrag vom 10. 7. 2013 begehrte die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners (ihres Vaters) zur Deckung eines Sonderbedarfs von 9.336,99 EUR sA, bestehend aus den Kosten für die Anschaffung eines Therapierads, eines Ergometers und einer Brille, eines Kuraufenthalts sowie einer Zahnbehandlung. Die Mutter habe in den letzten drei Jahren diese Kosten ausgelegt. Die im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarte Schad- und Klagloshaltung sei sittenwidrig und lasse den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Antragstellerin unberührt. Die Mutter sei krankheitsbedingt nicht mehr arbeitsfähig.

Der Antragsgegner berief sich in seiner Äußerung ua auf die im Scheidungsfolgenvergleich von der Mutter übernommene Unterhaltspflicht, die jedenfalls auch einen allfälligen Sonderbedarf umfasse.

Das Erstgericht wies das Antragsbegehren ab.

Voraussetzung für die Abgeltung von Sonderbedarf sei ein Deckungsmangel, der ohne die vorherige Bemessung des Unterhalts nicht ermittelt werden könne.

Das Rekursgericht hob diese Entscheidung auf und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts schließe das Fehlen einer rechtskräftigen Unterhaltsfestsetzung die Zuerkennung eines Sonderbedarfs nicht aus. Es sei vielmehr als Vorfrage zu klären, ob und in welcher Höhe der Antragstellerin für den maßgeblichen Zeitraum monatlicher Unterhalt zuzuerkennen wäre.

Zur Begründung des Zulassungsausspruchs führte das Rekursgericht aus, es existiere noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, welche Kriterien bei der Bemessung von Sonderbedarf für ein volljähriges behindertes Kind, das bisher noch keine Unterhaltsfestsetzung beantragt habe, heranzuziehen sind.

Gegen die Begründung des zweitinstanzlichen Aufhebungsbeschlusses richtet sich der Revisionrekurs der Antragstellerin . Auf den fiktiv berechneten Unterhalt komme es nicht an.

Der Antragsgegner beantragt in seiner Rechtsmittelbeantwortung in der Sache selbst zu entscheiden und den erstinstanzlichen Beschluss wiederherzustellen. Hilfsweise wird beantragt, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben. Jedenfalls aber sei dem Erstgericht die in der Rechtsmittelbeantwortung vertretene Rechtsansicht zu überbinden.

Über den Revisionsrekurs kann derzeit nicht inhaltlich entschieden werden:

1. Widerstreiten einander in einer bestimmten Angelegenheit die Interessen einer minderjährigen oder sonst nicht voll handlungsfähigen Person und jene ihres gesetzlichen Vertreters, so hat das Gericht der Person nach § 271 Abs 1 ABGB zur Besorgung dieser Angelegenheiten einen besonderen Kurator zu bestellen. Der Bestellung eines Kurators bedarf es nicht, wenn eine Gefährdung der Interessen des Vertretenen nicht zu besorgen ist und diese Interessen vom Gericht ausreichend wahrgenommen werden können. Das gilt nach § 271 Abs 2 zweiter Satz ABGB (idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15) im Allgemeinen ua in Verfahren zur Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen (§ 231 ABGB), auch wenn das Kind vom betreuenden Elternteil vertreten wird.

2. Voraussetzung der Bestellung eines Kollisionskurators ist der Widerstreit der Interessen - also das Vorliegen einer materiellen, nicht bloß formellen Kollision (RIS-Justiz RS0058177) einer nicht eigenberechtigten Person und ihres gesetzlichen Vertreters in einer bestimmten, vom Wirkungskreis des gesetzlichen Vertreters erfassten Angelegenheit ( Hopf in KBB 4 §§ 271-272 Rz 2). Maßgeblich ist daher, dass aufgrund des objektiven Sachverhalts eine gesetzmäßige Vertretung des Pflegebefohlenen wegen eines zu befürchtenden Interessenwiderstreits nicht zu erwarten ist (2 Ob 153/11f mwN). Dabei genügt schon die Gefahr einer Interessenkollision, wenn also eine Gefährdung der Interessen des Pflegebefohlenen bloß möglich ist (4 Ob 71/08g mwN; RIS-Justiz RS0107600).

3. In der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wurde die mögliche Gefährdung der Interessen eines Pflegebefohlenen etwa dann bejaht, wenn der in die Unterhaltsvereinbarung involvierte Elternteil eines minderjährigen Kindes nicht mehr in der Lage war, seine dieser Vereinbarung entspringenden eigenen Unterhaltspflichten zu erfüllen (1 Ob 571/95), oder wenn sich der betreuende Elternteil in einer Vereinbarung mit dem anderen Elternteil („Entlastungsvertrag“; vgl nunmehr § 231 Abs 4 ABGB idF KindNamRÄG 2013) zur Tragung des gesamten Unterhalts verpflichtet hat (4 Ob 71/08g; vgl auch 2 Ob 253/08g; Hopf aaO §§ 271 272 Rz 2; Weitzenböck in Schwimann/Kodek , ABGB 4 Ia § 272 Rz 8).

Hier sind nach den Antragsbehauptungen und dem unstrittigen Sachverhalt beide Tatbestände erfüllt. Da die Antragstellerin somit durch ihre Mutter und Sachwalterin im bisherigen Verfahren nicht wirksam vertreten war, ist die Bestellung eines Kollisionskurators erforderlich.

4. Nach § 5 Abs 1 AußStrG hat das Gericht das Erforderliche zu veranlassen, um den Mangel der gesetzlichen Vertretung zu beseitigen. Diese Sanierung kann im vorliegenden Fall durch die Genehmigung des Verfahrens durch einen Kollisionskurator erfolgen. Dessen Bestellung obliegt ungeachtet der nicht zwischen Erst- und Rechtsmittelgerichten unterscheidenden Formulierung in § 5 Abs 2 Z 1 lit a AußStrG hier dem Erstgericht. Der Oberste Gerichtshof ist keine Tatsacheninstanz; daher fehlt ihm anders als allenfalls einem Gericht zweiter Instanz die funktionelle Zuständigkeit für die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen zur Auswahl eines Kurators (4 Ob 71/08g mwN; 1 Ob 24/14g; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 5 Rz 23).

Dass in Verfahren, für die der Rechtspfleger funktionell zuständig ist (wie hier das erstinstanzliche Unterhaltsverfahren), dieser auch einen Kollisionskurator für die Pflegebefohlenen bestellen kann, wurde bereits klargestellt (10 Ob 26/12i; 1 Ob 24/14g).

5. Aufgrund dieser Erwägungen sind dem Erstgericht die aus dem Spruch ersichtlichen Aufträge zu erteilen. Über den Revisionsrekurs wird nach Vorliegen der Erklärung des Kollisionskurators oder nach ungenutztem Ablauf der dafür vom Erstgericht gesetzten Frist zu entscheiden sein.

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