JudikaturOGH

6Nc10/14v – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen B***** W*****, geboren am *****, AZ 1 Ps 31/14z des Bezirksgerichts Freistadt, wegen § 111 Abs 2 JN, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Freistadt vom 4. Februar 2014, GZ 1 Ps 31/14z-29, gemäß § 111 Abs 1 JN ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegsschaftssache an das Bezirksgericht Gmünd wird gemäß § 111 Abs 2 JN genehmigt.

Text

Begründung:

Im Scheidungsfolgenvergleich vor dem Bezirksgericht Leonfelden vereinbarten die Eltern der Minderjährigen am 25. 1. 2012 die gemeinsame Obsorge für ihre Tochter, die sich hauptsächlich bei der Mutter aufhalten wird, und die Ausübung des Besuchsrechts des Vaters. Das Bezirksgericht Leonfelden als Pflegschaftsgericht genehmigte diesen Vergleich.

Am 16. 12. 2012 beantragte die Mutter, ihr die alleinige Obsorge zu übertragen und das Besuchsrecht auszusetzen.

Infolge Auflösung des Bezirksgerichts Leonfelden ist seit 1. 1. 2013 das Bezirksgericht Freistadt für die Pflegschaftssache zuständig.

Am 19. 3. 2013 beschloss das Pflegschaftsgericht, mit dem Verfahren für sechs Monate innezuhalten.

Im August 2013 teilte die Mutter mit, mit ihrer Tochter in Schrems zu wohnen.

Am 3. 9. 2013 stellte der Vater den Antrag, die Ausübung seines Kontaktrechts zu erweitern.

Das Pflegschaftsgericht bestellte am 10. 10. 2013 einen Kinderbeistand für die Minderjährige und ersuchte die Familiengerichtshilfe Linz um eine fachliche Stellungnahme zu den Anträgen auf Aussetzung und Erweiterung des Kontaktrechts.

Die fachliche Stellungnahme der Familiengerichtshilfe Linz langte am 9. 1. 2014 beim Pflegschaftsgericht ein.

Mit Beschluss vom 4. 2. 2014 (ON 29) übertrug das Bezirksgericht Freistadt die Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache dem Bezirksgericht Gmünd, weil keiner der Beteiligten im Sprengel des Bezirksgerichts Freistadt wohne, die nach einem Richterwechsel für die Pflegschaftssache nun zuständige Richterin keinen persönlichen Eindruck von den Beteiligten habe, die Stellungnahme der Familiengerichtshilfe noch nicht ausreiche, um über die Anträge zu entscheiden, und in der Regel das Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung sei. Der Beschluss erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Das Bezirksgericht Gmünd lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab. Die Übertragung erscheine nicht zweckmäßig. Das Pflegschaftsgericht habe schon umfangreiche Erhebungen gepflogen. Die Mutter sei zwar in den Sprengel des Bezirksgerichts Gmünd übersiedelt, es lägen jedoch sämtliche für die Fällung einer Entscheidung notwendigen Beweisergebnisse vor. Da beide Eltern die alleinige Obsorge beantragt hätten, der Vater aber nicht im Sprengel des Bezirksgerichts Gmünd wohne, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Minderjährige sich endgültig in diesem Sprengel aufhalten werde.

Das Bezirksgericht Freistadt legt nunmehr den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Genehmigung der Zuständigkeitsübertragung vor.

Rechtliche Beurteilung

Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn es im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach ständiger Rechtsprechung wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz regelmäßig am besten durch jenes Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel der Pflegebefohlene wohnt (RIS-Justiz RS0047300).

Offene Anträge sind noch kein grundsätzliches Übertragungshindernis, sondern es hängt von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob eine Entscheidung darüber durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist (RIS-Justiz RS0053012). Festzuhalten ist, dass der Vater nach der Aktenlage keinen Obsorgeantrag gestellt hat, sodass derzeit nichts für eine Änderung der Wohnverhältnisse des Kindes spricht.

Auch während eines offenen Obsorgestreits hat sich die Prüfung der Zweckmäßigkeit der Zuständigkeitsübertragung ausschließlich daran zu orientieren, welches Gericht die für die Entscheidung maßgeblichen Umstände sachgerechter und umfassender beurteilen kann. Bei der Gesamtbeurteilung der für die Übertragung der Elternrechte maßgebenden Kriterien ist dabei stets von der aktuellen Lage auszugehen und sind Prognosen miteinzubeziehen. Nur wenn eine Erforschung aller maßgeblichen Lebensumstände der Beteiligten möglichst vollständig und aktuell in die Entscheidung einfließen kann, ist das Wohl des Kindes gewährleistet. An diesen Überlegungen ist die Zweckmäßigkeit der Übertragung zu messen (RIS-Justiz RS0047027 [T5, T6]).

Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Freistadt, zu dem keiner der Beteiligten ein örtliches Naheverhältnis (mehr) hat, noch keine Erhebungen zum Obsorgeantrag der Mutter gepflogen. Ermittlungen zu den Kontaktrechtsanträgen hat es nach Einlagen der fachlichen Stellungnahme der Familiengerichtshilfe Linz nicht fortgesetzt. Ein Richterwechsel und damit ein neues Einarbeiten in den Akt wäre außerdem auch bei diesem Gericht unumgänglich, wurde doch der bisher zuständige Richter mit Wirkung vom 1. 1. 2014 auf eine Planstelle des Bezirksgerichts Linz ernannt. Es ist daher kein besonderer Vorteil aus der Bearbeitung der Anträge durch das bisherige Pflegschaftsgericht zu erwarten, vielmehr sprechen Gründe des Kindeswohls dafür, die Pflegschaftssache an jenes Bezirksgericht zu übertragen, in dessen Sprengel die Minderjährige mit ihrer Mutter wohnt. Die Übertragung der Zuständigkeit an das Bezirksgericht Gmünd ist daher zu genehmigen.

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