JudikaturOGH

12Os51/14p – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Qemal A***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG, AZ 318 HR 38/14v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über dessen Grundrechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 27. März 2014, AZ 20 Bs 99/14a, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird festgestellt, dass Qemal A***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 24. Februar 2014 verhängte der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Untersuchungshaft über Qemal A***** wegen des Verdachts der Verbrechen des Suchtigfthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO (ON 28). In am 10. März 2014 durchgeführter Haftverhandlung wurde die Untersuchungshaft aus den gleichen Gründen fortgesetzt (ON 43). Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge und ordnete seinerseits deren Fortsetzung mit Wirksamkeit bis 27. Mai 2014 an (ON 49).

Das Beschwerdegericht bejahte den dringenden Verdacht, Qemal A***** habe im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Monika S***** und Robert L***** gewerbsmäßig THCA- und Delta 9 THC hältiges Cannabiskraut in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge gewinnbringend verkauft, und zwar

1./ Daaha Ab***** seit Februar 2013 in wöchentlichen Angriffen insgesamt 1.470 Gramm, und

2./ Omar M***** in dreieinhalb Monaten insgesamt 3.120 Gramm,

wobei er bereits einmal wegen § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Grundrechtsbeschwerde.

Da anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet und § 3 Abs 1 GRBG hinsichtlich der dort angeordneten Begründungspflicht nichts anderes vorsieht (vgl § 10 GRBG), kann im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nach ständiger Rechtsprechung die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nur nach Maßgabe der Voraussetzungen der Mängel- und der Tatsachenrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 5a StPO) in Frage gestellt werden (RIS-Justiz RS0110146, RS0114488, RS0112013).

Diese Kriterien verkennt die Grundrechtsbeschwerde, indem sie ohne Begründungsdefizite des angefochtenen Beschlusses aufzuzeigen oder den Versuch zu unternehmen, aus den Akten erhebliche Bedenken an den dem Beschluss zugrundeliegenden Tatsachen zu erwecken bloß argumentiert, der Angeklagte werde zu Unrecht von den Zeugen Daaha Ab***** und Omar M***** belastet, im Ermittlungsverfahren wären keine weiteren Suchtgiftabnehmer des Angeklagten ausgeforscht worden und die Ergebnisse der Telefonüberwachung würden den Beschwerdeführer nicht belasten. Das weitere Argument, die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage diene „in Wahrheit lediglich der gerichtlichen Abklärung … des Vorwurfs“ bleibt in diesem Zusammenhang unverständlich.

Die Grundrechtsbeschwerde war demnach ohne Kostenzuspruch ( Kier in WK 2 GRBG §§ 8, 9 Rz 1) zurückzuweisen.

Aus deren Anlass war jedoch in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu Gunsten des Angeklagten gemäß § 10 GRBG iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO der Umstand aufzugreifen, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts in subjektiver Hinsicht keine Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht enthält, die eine rechtliche Beurteilung, ob durch die als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG begründet wird, ermöglichen würden. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat ein Fortsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts die erstinstanzliche Entscheidung nicht bloß zu beurteilen, sondern zu ersetzen und solcherart eine neue reformatorische Entscheidung darzustellen (§ 174 Abs 4 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0116421, RS0120817). Jede solche Entscheidung hat „die bestimmen Tatsachen, aus denen sich der dringende Tatverdacht“ für das Oberlandesgericht ergibt, zu enthalten (§ 174 Abs 3 Z 4 StPO). Das bedeutet, dass mit Bestimmtheit anzugeben ist, welcher in Hinsicht auf die mit hoher Wahrscheinlichkeit als begründet anzusehenden strafbaren Handlungen (rechtliche Kategorien; vgl § 260 Abs 1 Z 2 StPO) rechtlich entscheidend beurteilte Sachverhalt angenommen wurde (Feststellungsebene) und klarzustellen ist, auf welchen ganz bestimmten Tatumständen (Beweisergebnissen, sogenannten erheblichen Tatsachen) diese Sachverhaltsannahmen über die entscheidenden Tatsachen beruhen (Begründungsebene; RIS Justiz RS0120817). Geschieht dies nicht, liegt eine Grundrechtsverletzung vor. Insoweit unterscheidet sich die Begründungspflicht für Haftbeschlüsse nicht von der für ein Strafurteil (vgl 13 Os 81/07x, EvBl 2007/137, 742 mwN). Vorliegend lässt der angefochtene Beschluss jegliche Ausführungen zur subjektiven Tatseite vermissen, womit er in Betreff der Sachverhaltsannahmen für die Haftvoraussetzung des dringenden Tatverdachts in einer das Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzenden Weise unzureichend geblieben ist.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert damit eine unverzügliche Klärung der Haftvoraussetzungen im Rahmen einer Haftverhandlung (§ 7 Abs 2 GRBG). Mit Blick auf die Verfahrensergebnisse, die in die Richtung des vom Beschwerdegericht beschriebenen dringenden Tatverdachts weisen, war jedoch die Aufhebung des Haftfortsetzungsbeschlusses nicht erforderlich (§ 7 Abs 1 GRBG; Ratz , ÖJZ 2005, 415 [419]; Reiter , ÖJZ 2007, 391 [403]).

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