12Os146/13g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Jänner 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung der Nicole S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Jugendschöffengericht vom 20. September 2013, GZ 25 Hv 154/12g 69, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde im zweiten Rechtsgang (zum ersten: 12 Os 51/13m) die Unterbringung der Nicole S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.
Danach hat sie am 16. September 2012 in S***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, nämlich einer tiefgreifenden Persönlichkeitsentwicklungsstörung (US 4) beruht, Martin P***** durch die Äußerung: „Wennsd noch einen Schritt auf mich zukommst, stech ich dir die Schere ins Herz“, wobei sie zur Untermauerung der Drohung eine spitze Schere mit ca 10 cm Klingenlänge in der Hand hielt, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung zu nötigen versucht, nämlich zur Abstandnahme von einem klärenden Gespräch und vom Betreten ihres Zimmers, also eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen, die ihr, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als Erstverbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB zuzurechnen gewesen wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen von der Betroffenen nominell aus Z 5, 5a, 9 lit a und lit b, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) im Übrigen ohne Angabe der Fundstelle in den Akten (vgl RIS Justiz RS0124172 [T4]) dem Erstgericht vorwirft, es hätte einen Arztbrief der L***** vom 20. September 2012 (ON 16 S 7 ff) nicht berücksichtigt, aus welchem sich ergäbe, dass die Entwicklung der Nicole S***** bis zum März 2012 sehr positiv verlief, bezieht sich nicht auf eine entscheidende Tatsache ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 399). Das gilt auch für das weitere unter Z 5 erstattete Vorbringen, wonach die gegenständliche Tat „eindeutig“ im Zusammenhang mit der Reduktion der einzunehmenden Medikamente stammt.
Bei den weiteren Beschwerdeausführungen, der psychiatrische Sachverständige Dr. G***** hätte sich mit der Frage der verzögerten Reife im Sinne des § 4 Abs 2 Z 1 JGG „nicht nachvollziehbar und schlüssig“ auseinandergesetzt, wird nicht dargelegt, weshalb der Verteidiger an einer entsprechenden Frage bzw Antragstellung gehindert war (vgl HV Protokoll ON 68 S 10 ff).
Indem die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ausführt, das Schöffengericht hätte die Aussage des Zeugen I***** nicht gewürdigt, wonach sich die Betroffene emotional auf dem Stand einer Fünfjährigen und kognitiv auf dem Stand einer Zehnjährigen befinde, verkennt sie, dass Schlussfolgerungen und Meinungen eines Zeugen soweit sie über die bloß zeugenschaftliche Wiedergabe sinnlicher Wahrnehmungen hinausgehen im Strafverfahren nicht zu erörtern sind (RIS Justiz RS0097540).
Soweit der Nichtigkeitswerber (nominell Z 5, inhaltlich Z 9 lit a) eine Feststellung vermisst, ob die Äußerung der Nicole S***** unter Verwendung der Schere objektiv geeignet war, einen anderen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, verkennt er, dass es sich dabei um eine Rechtsfrage handelt (RIS Justiz RS0092160).
Z 5a will als Tatsachenrügen nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780). Indem die Nichtigkeitsbeschwerde die Ernsthaftigkeit der Drohung bezweifelt und darauf hinweist, die Betroffene hätte sich dahingehend verantwortet, sie habe es „nicht so gemeint“ und habe niemals jemanden „etwas tun“ wollen, gelingt es nicht, beim Obersten Gerichtshof derartige erhebliche Bedenken zu wecken.
Das gilt auch für das die Ausführungen des Sachverständigen Dr. G***** zur Frage der verzögerten Reife im Sinne des § 4 Abs 2 Z 1 JGG anzweifelnde Vorbringen der Betroffenen.
Der „Zweifelsgrundsatz (in dubio pro reo)“ kann niemals Gegenstand der formellen Nichtigkeitsgründe der Z 5 und Z 5a sein (RIS Justiz RS0102162).
Dass der von der Betroffenen gewollte Sinn ihrer Äußerung darin lag, Martin P***** mit dem Tod zu bedrohen, hat das Schöffengericht entgegen dem diesbezüglichen Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a) sehr wohl festgestellt (US 4 ff; vgl Jerabek in WK² § 74 Rz 34). Das Vorbringen, es ergebe sich weder aus der Wortwahl noch aus der Verwendung „einer nur 10 cm langen, wenn auch spitzen Schere“, dass die Betroffene mit dem Tod gedroht hätte, das gesamte Verfahren hätte auch keinen Hinweis auf eine am Vorfallstag gesteigerte Aggressivität ergeben, richtet sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.
Indem die Betroffene unter Hinweis auf ein in einem in der Hauptverhandlung verlesenen Vorstrafakt zur Betroffenen eingeholtes neurologisch psychiatrisches Sachverständigengutachten (ON 11 in AZ 14 U 120/11g des Bezirksgerichts Linz) einen Feststellungsmangel geltend macht und behauptet, es lägen bei ihr die Voraussetzungen einer verzögerten Reife im Sinne des § 4 Abs 2 Z 1 JGG vor, weil der Sachverständige Dr. B***** bei ihr vor rund einem Jahr den Entwicklungsstand eines zehn bis zwölfjährigen Kindes angenommen habe, wird nicht auf ein übergangenes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Tatsachensubstrat hingewiesen, welches für die Annahme des geltend gemachten persönlichen Strafausschließungsgrundes spricht (vgl RIS Justiz RS0118580, RS0086927). Das gilt umso mehr für Ausführungen der Nichtigkeitsbeschwerde zum in diesem Verfahren beigezogenen Sachverständigengutachten Dris. G*****, weil dieser ausführte, bei Nicole S***** liege eine kombinierte Persönlichkeitsentwicklungsstörung vor, es handle es sich jedoch nicht um die Symptome einer verzögerten Reife (ON 29, ON 68, S 8).
Die ausschließlich auf die Gefährlichkeitsprognose bezogenen Ausführungen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) erweisen sich als im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde unbeachtliches Berufungsvorbringen, weil die Rechtsmittelwerberin lediglich die Angaben des beigezogenen Sachverständigen und des Zeugen I***** eigenständig interpretiert (RIS Justiz RS0119591, RS0113980, RS0090341).
Indem die weitere Sanktionsrüge ausführt, die Tatrichter hätten „die Prognosetat der Art nach“ nicht näher umschrieben, werden die Feststellungen auf US 4 außer Acht gelassen, wonach „der bei der Betroffenen vorliegende krankheitstypische Handlungsstil“ ... „aus der Störung der Impulskontrolle“ resultiert, womit eine „hochgradige potentielle Gefährlichkeit“ einhergehe, sodass Taten gegen Leib und Leben Dritter, „vergleichbar der bisherigen“, naheliegend sind, wobei das gesamte psychosoziale Umfeld betroffen ist.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).