8Ob103/13z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. F***** T*****, 2. E***** T*****, beide vertreten durch Hohenberg Strauss Buchbauer Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei DI T*****, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 20. Juni 2013, GZ 7 R 16/13x 24, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 9. Jänner 2013, GZ 62 Cg 98/12y 20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien je zur Hälfte binnen 14 Tagen die mit 922,08 EUR (darin 153,68 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Gegenstand des Verfahrens ist die Feststellung der Dienstbarkeit des Gehens zugunsten der jeweiligen Eigentümer der klägerischen Liegenschaft über einen näher bezeichneten Teil der Grundstücke des Beklagten.
Der streitgegenständliche Weg verläuft ab der Grundstücksgrenze der Kläger zunächst durch einen Wald, anschließend als gemähter Pfad über Wiesen. Sowohl der Wald als auch die Wiesengrundstücke standen seit 1946 im Eigentum von Familienmitgliedern des Erstklägers, zunächst der Eltern, nunmehr eines Bruders. Erst nach etwa drei Vierteln seiner Gesamtlänge erreicht der strittige Weg die Liegenschaft des Beklagten, auf der er sich über insgesamt 197 m Länge fortsetzt, im letzten Stück als asphaltierte Straße, um schließlich in das öffentliche Gut zu münden.
Der Erstkläger benützte den strittigen Weg seit seiner Kindheit regelmäßig. Im Jahre 1973 begannen die Kläger gemeinsam den Bau eines Einfamilienhauses auf dem herrschenden Grundstück, das ihnen von den Eltern des Erstklägers zu diesem Zweck geschenkt worden war. Bereits während der Bauzeit und nach Bezug ihres Hauses im Jahr 1975 benutzten die Kläger und deren Tochter den streitgegenständlichen Fußweg regelmäßig, weil er die kürzeste Verbindung zu den Häusern der Eltern und Geschwister des Erstklägers, zur Bushaltestelle und zur Kirche darstellte.
Der Beklagte kaufte seine Grundstücke im Juli 2005. Bereits damals bestand für den über diese Grundstücke verlaufenden Teil des strittigen Wegs zu Gunsten des Bruders des Erstklägers als Eigentümer der angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen ein bücherlich einverleibtes Recht des Gehens und Fahrens. Außerbücherliche Wegerechte wurden in einem der Kaufverträge insofern erwähnt, als die Verkäuferinnen erklärten, für das Bestehen „allfälliger außerbücherlicher Wege und Leitungsdienstbarkeiten“ nicht zu haften. Der Beklagte ließ sich schriftlich bestätigen, dass die Verkäuferseite keine außerbücherlichen Servitutsrechte „vergeben“ habe. Weitere Erkundigungen zog der Beklagte nicht ein.
Im Jahr 2006 stellte der Beklagte auf seinen Grundstücken zwei Betretungsverbotstafeln (eine mit der Einschränkung „ ausgenommen Berechtigte “) auf, an die sich die Kläger nicht hielten. Für die Kläger war die Benützung des Wegs selbstverständlich, es gab nie ein Problem damit.
Am 25. 9. 2011 traf der Beklagte die Kläger persönlich bei einem Spaziergang auf dem strittigen Wegstück an und untersagte ihnen dessen weitere Benützung. Dieser Vorfall war Anlass für die Klage.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Kläger hätten durch regelmäßige, unbeanstandete Benützung des Wegs über mehr als 30 Jahre die behauptete Dienstbarkeit ersessen. Weder könne von einem gutgläubigen Erwerb des Beklagten die Rede sein, noch habe die Aufstellung von Verbotstafeln im Jahre 2006 zu einer Freiheitsersitzung geführt, weil sich die Kläger dem Verbot nie gebeugt hätten.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Beklagten keine Folge und billigte aufgrund der übernommenen Tatsachenfeststellungen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Über Antrag des Beklagten erklärte es nachträglich gemäß § 508 ZPO die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage eines hinreichenden Besitzwillens der Kläger möglicherweise auch anders gesehen werden könnte und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einem gleich oder ähnlich gelagerten Fall nicht zu finden sei.
Die (nur auf dem Postweg eingebrachte) Revision des Beklagten ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts unzulässig, weil sie keine Rechtsfrage von über den Anlassfall hinausgehender Bedeutung anspricht. Damit erübrigt sich auch die Einleitung eines Verbesserungsverfahrens zur Beseitigung des in der Nichteinhaltung des elektronischen Rechtsverkehrs gelegenen Formgebrechens (RIS Justiz RS0128266; RS0124215 [T7]).
Nimmt jemand ein Recht an einem fremden Grundstück in Anspruch, ist grundsätzlich auch von dem für eine Ersitzung erforderlichen Besitz auszugehen. Im Zweifel ist von der Ausübung eines Individualrechts auszugehen (RIS Justiz RS0034224 [T1]).
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war es für die Kläger seit mehr als 30 Jahren selbstverständlich und problemlos, das strittige Wegstück zu begehen. Ob hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Kläger damit kein eigenes Recht ausüben wollten, sondern ausschließlich bücherliche Rechte ihrer Verwandten (vgl RIS Justiz RS0009762), sodass die Zweifelsregel widerlegt wäre, ist eine Frage des Einzelfalls, die von den Vorinstanzen hier jedenfalls nicht unvertretbar entschieden wurde.
Das Gleiche gilt für die Verneinung eines gutgläubigen Erwerbs der belasteten Grundstücke durch den Beklagten. Die Revisionsausführungen zur mangelnden Erkennbarkeit eines außerbücherlichen Wegerechts gehen an den in dritter Instanz nicht mehr anfechtbaren Sachverhaltsfeststellungen vorbei.
Eine „Freiheitsersitzung“ erfordert die Inanspruchnahme des Vollrechtes durch den Eigentümer der belasteten Liegenschaft in Verbindung mit einer manifesten Beeinträchtigung des Servitutsrechts, die dessen Ausübung verhindert. Voraussetzung für den Rechtsverlust ist, dass der Berechtigte die Ausübung der Servitut in Kenntnis der Widersetzlichkeit des verpflichteten Teils unterlässt (RIS Justiz RS0034271 [T4]).
Ob im Einzelfall Verlust der Servitut eingetreten ist, bildet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS Justiz RS0034288; RS0034241 [T9]). Es kann den Vorinstanzen auch nicht als grobe rechtliche Fehlbeurteilung angelastet werden, dass das Aufstellen bloßer Verbotstafeln an einem Gehweg, noch dazu mit der Einschränkung „ ausgenommen Berechtigte “, keine manifeste Beeinträchtigung des Servitutsrechts bewirkte (RIS Justiz RS0034241 [T9]).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO; die Kläger haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.