JudikaturOGH

11Os95/13z – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juli 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen ***** M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 22. Februar 2013, GZ 16 Hv 166/12b 30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** M***** der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (I) und der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach hat er (seine damalige Ehefrau) ***** M*****

I. vorsätzlich teils am Körper verletzt, teils an der Gesundheit geschädigt, und zwar

a. im März 2008 in Wien durch Versetzen eines wuchtigen Schlags in das Gesicht „(Bewusstlosigkeit)“ und

b. im Zeitraum von März 2007 bis 22. November 2011 in D***** in wiederholten Angriffen in Abständen von vier bis fünf Monaten durch Ausreißen von Haarbüscheln „(Haarverlust)“ sowie

II. zu nachangeführten Zeitpunkten in D***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Analverkehrs, genötigt, und zwar

a. im Sommer 2011, indem er ihre Oberarme fixierte, sich im Bereich der Oberschenkel auf sie setzte und mit dem Penis in ihren After eindrang, und

b. zu einem nicht näher angeführten Zeitpunkt etwa einen Monat nach der zu Punkt II. a. angeführten Tat, indem er ihre Arme neben dem Kopf fixierte und mit dem Penis in ihren After eindrang.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 5a StPO.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 4) greift zwei in der Hauptverhandlung gestellte, vom Schöffengericht abgewiesene Beweisanträge auf:

Die Vernehmung „der ***** M***** ... zum Beweis dafür, dass die Aussagen des Opfers in der kontradiktorischen Einvernahme sowie vor der Polizei nicht der Wahrheit entsprechen. Die Zeugin kann deshalb darüber Aussagen machen, da sie die beste Freundin des Opfers ist und diese auch nach der Trennung in der Nacht vom 22. November 2011 abgeholt hat und daher davon auszugehen ist, dass, wenn diese Vorfälle sich tatsächlich ereignet hätten, sie das der besten Freundin mitgeteilt hätte“ (ON 19 S 18) sowie die „Zuziehung eines Sachverständigen aus dem Bereich der Psychologie betreffend das Opfer ***** M***** zum Beweis dafür, dass das Opfer in seinen Aussagen widersprüchlich war und die Anschuldigungen gegen den Angeklagten nicht der Wahrheit entsprechen. Der Sachverständigenbeweis ist deshalb geeignet, über das Beweisthema Aufschluss zu geben, da aufgrund der widersprüchlichen Aussagen des Opfers nicht ohne fachliche Befragung durch einen Sachverständigen festgestellt werden kann, welchen Aussagen Glauben geschenkt wird“ (ON 29 S 7).

Da im kollegialgerichtlichen Verfahren die Beweiswürdigung der Tatrichter nur eingeschränkt angefochten werden kann, ist es schon mit Blick auf den Grundrechtsschutz (Art 6 MRK) geboten, in Strafverfahren, in welchen wie hier nur ein einziger Tatzeuge vorhanden ist, die gegen die Glaubwürdigkeit dieser Person vorgebrachten Argumente besonders sorgfältig zu prüfen und auch indirekte, die Glaubwürdigkeit des Zeugen betreffende Beweise aufzunehmen (RIS Justiz RS0098429 vor allem [T5]). Allerdings hat auch eine derartige (Kontroll )Beweisführung auf der Basis des Gesetzes (§ 55 StPO) und der dazu (§ 281 Abs 1 Z 4 StPO) entwickelten höchstgerichtlichen Judikatur zu erfolgen.

Gegenstand des Zeugenbeweises sind Wahrnehmungen von Tatsachen, nicht aber Einschätzungen und subjektive Folgerungen und schon gar nicht die Beurteilung des Wahrheitsgehalts der Aussagen anderer Personen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 352, 435; Kirchbacher , WK StPO § 154 Rz 8, § 244 Rz 5, 78; Plöchl/Seidl in WK² StGB § 288 Rz 25; RIS Justiz RS0097545, RS0097540 vor allem [T4]). Aus welchem Grund „davon auszugehen ist“, dass das Opfer „der besten Freundin“ jedenfalls die (inkriminierten) Vorfälle mitgeteilt hätte und die Zeugin deshalb dazu Tatsachenwahrnehmungen hätte schildern können, vermag der Antragsteller nicht darzulegen.

Genauso wenig ist es Gegenstand einer psychologischen Expertise, den Wahrheitsgehalt von Anschuldigungen zu begutachten. Nach gefestigter Judikatur (RIS Justiz RS0120634, RS0099536, RS0097689, RS0097576; siehe auch Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 9 sowie Ratz , WK StPO § 281 Rz 350) setzt die Beiziehung von Sachverständigen bei der Beurteilung von Zeugenaussagen Umstände voraus, die bei den zur Beweiswürdigung berufenen Tatrichtern nicht vorhandene Fachkenntnis erfordern. Solche werden durch den zitierten Beweisantrag nicht dargetan und sind auch durch Verfahrensergebnisse in keiner Weise indiziert. Dass die Angaben des Opfers widersprüchlich waren, haben die Tatrichter schließlich ohnedies berücksichtigt (US 6, 7).

Der Beschwerdeführer wurde daher durch die Abweisung der Beweisanträge in seinen Verteidigungsrechten (Art 6 Abs 3 lit d MRK) nicht verletzt.

In gleicher (nicht am Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung §§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO orientierter) Weitschweifigkeit wie die Verfahrensrüge sucht auch die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) eine mangelnde oder offenbar unzureichende Begründung der zum Schuldspruch führenden Feststellungen zu entwickeln. Sie verkennt dabei aber einerseits die Grenzen zur nur im Einzelrichterverfahren gesetzlich normierten Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und andererseits, dass der beanspruchte Nichtigkeitsgrund dazu dient, willkürliche Urteilsannahmen hintanzuhalten (zum Prüfungsmaßstab Ratz , WK StPO § 281 Rz 444; RIS Justiz RS0118317). Verstöße gegen Logik und Empirie sind der angefochtenen Entscheidung jedoch dem Rechtsmittelvorbringen entgegen nicht vorzuwerfen. Der in Rede stehende Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor, wenn die angeführten Gründe dem Nichtigkeitswerber nicht genug überzeugend scheinen oder wenn neben einem mängelfrei gezogenen Schluss auch noch andere für den Angeklagten günstigere Folgerungen denkbar wären ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 46a mit Judikaturnachweisen).

Der kritisch psychologische Vorgang, der aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit einer Person führt, ist als solcher der Anfechtung mit Mängelrüge überhaupt entzogen (RIS Justiz RS0106588; Ratz , WK StPO § 281 Rz 431).

Ein Begründungsmangel (Z 5 zweiter Fall) ist nicht schon dann gegeben, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen im Detail erörtert und darauf untersucht, wie weit sie für oder gegen eine Darstellung sprechen ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 43a). In concreto genügte der Hinweis (US 7) auf die Erklärung des Opfers (ON 29 S 3 ff) für die außerhalb des Gerichtsverfahrens getätigten, den Angeklagten entlastenden Angaben.

Die (vom Angeklagten fälschlich als „Mängelrüge“ bezeichnete) Tatsachenrüge nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift ihrem Wesen nach dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).

Die divergierenden Aussagen des Opfers zu den Gründen der Anzeige und dessen die Strafvorwürfe widerrufenden elektronischen Briefe sind im Gegenstand nicht geeignet, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die die Schuldsprüche tragenden Feststellungen zu erwecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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