JudikaturOGH

9ObA50/13p – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Juni 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichthofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Robert Hauser in der Rechtssache der klagenden Partei L***** R*****, vertreten durch Mag. Jürgen W. Zahradnik, Rechtsanwalt in Lambach, wider die beklagten Parteien 1. G***** GmbH Co KG, 2. G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Maxwald, Dr. Georg Bauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 20.021,91 EUR sA (Revisionsinteresse: 13.177,37 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. März 2013, GZ 12 Ra 101/12b-21, mit dem der Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. August 2012, GZ 14 Cga 31/12p-17, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.816,50 EUR (darin 302,75 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.424,89 EUR (darin 1.425,60 EUR Barauslagen, 166,55 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom 26. Februar 1996 bis 10. Oktober 2011 bei der Erstbeklagten, einem Güterbeförderungs- und Baggerunternehmen, als Kraftfahrer beschäftigt. Die Zweitbeklagte ist unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Erstbeklagten. Das Arbeitsverhältnis endete durch Entlassung.

Mit der am 15. Februar 2012 eingebrachten Mahnklage begehrte der Kläger den der Höhe nach unstrittigen Betrag von 20.021,91 EUR sA, davon 255,86 EUR Urlaubsersatzleistung, 2.089,47 EUR Kündigungsentschädigung, 16.135,14 EUR Abfertigung und 1.541,44 EUR Sonderzahlungen. Er sei unbegründet entlassen worden. Er sei weder verpflichtet gewesen, ins Ausland zu fahren noch mehr als zweimal pro Woche berufsbedingt auswärts zu nächtigen.

Die Beklagten bestritten, beantragten Klagsabweisung und wandten ein, der Kläger habe schwerwiegende beharrliche Pflichtverletzungen begangen, zuletzt am 10. Oktober 2011, als er eine ihm aufgetragene Fahrt in den deutschen Ort Polling nicht angetreten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Dabei ging es zusammengefasst von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger war von 1993 bis 1996 als auf Baustellen eingesetzter Kipperfahrer tätig gewesen. Diese Tätigkeit hatte für ihn den Nachteil mit sich gebracht, im Winter beschäftigungslos gewesen zu sein. Deshalb und auch, weil er nicht im länderübergreifenden Fernverkehr tätig sein wollte, meldete er sich auf ein Inserat der Erstbeklagten, die einen LKW-Fahrer für den Inlandsverkehr suchte. Mit dem Kläger wurde vereinbart, dass er ausschließlich für die Firma K***** Holzgüter innerhalb Österreichs zuzustellen habe. Die Vorgabe der täglichen Arbeitszeit oder Fahrtstrecke des Klägers sollte durch den Disponenten von K***** erfolgen. Die Frage des Klägers, ob tatsächlich ausschließlich Inlandsfahrten anfallen werden, wurde von der Geschäftsführerin der Erstbeklagten bejaht.

Von 1996 bis zum Sommer 2011 wurde der Kläger ausschließlich für Fahrten innerhalb Österreichs eingesetzt, fuhr allerdings allwöchentlich wegen der Tirol Tour über das Deutsche Eck und hatte in den Jahren 1999 und 2000 manchmal auch nach Südtirol zu fahren. Dabei konnte er von 1996 bis 2010 wunsch- und vereinbarungsgemäß mit Ausnahme der Nacht auf Freitag (zweitägige Tirol Tour) zu Hause übernachten. Ab dem Jahr 2010 kam eine zweite Auswärtsübernachtung pro Woche in Wien hinzu, der der Kläger ausdrücklich zustimmte. Aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten von K*****, die die Fahrten des Klägers nicht länger im bisherigen Ausmaß bezahlen konnte, erklärte sich der Kläger im Jahr 2010 mit einer monatlichen Lohnreduktion von 180 EUR netto einverstanden. K***** ging es dennoch immer schlechter und wurde in der Folge liquidiert. Der Kläger führte für diese Firma am 26. Juli 2011 die letzte Fahrt durch.

Noch am selben Tag erklärte ihm die Geschäftsführerin, dass er ab dem nächsten Arbeitstag bis spätestens 6:30 Uhr den Dienst anzutreten und mit dem Kipper zu fahren haben werde. Von 27. bis 29. Juli 2011 „schickte sie ihn auf Urlaub“. Am 1. August 2011 lenkte der Kläger weisungsgemäß einen Hängerzug für die Firma S***** nach Deutschland zum Münchner Flughafen; die Nacht verbrachte er zu Hause. Nach einem Krankenstand verrichtete er am 16. und 17. August für diese Firma Fahrten in Oberösterreich. Von 18. August bis 16. September 2011 wurde der Kläger ununterbrochen als Kipperfahrer eingesetzt. Anschließend war er wegen eines operativen Eingriffs bis 30. September 2011 im Krankenstand. An diesem Tag gab er der Beklagten bekannt, nach dem Wochenende somit am 3. Oktober 2011 wieder zur Arbeit zu erscheinen. Die Geschäftsführerin wies den Kläger an, mit dem im Betriebshof bereits beladen stehenden Auflieger nach Schladming zu fahren. Die Tour selbst wurde vom Disponenten der Firma Ko***** eingeteilt, mit der die Geschäftsführerin ins Geschäft kommen wollte.

Der Kläger kam dem Auftrag ordnungsgemäß nach und traf um 9:00 Uhr in Schladming ein. Anschließend teilte ihm der Disponent jener Firma mit, dass er nach Werfenweng im Pongau und sodann nach Blindenmarkt in Niederösterreich weiterfahren solle. Da der Kläger diesen Ort wegen abgelaufener Einsatzzeit am selben Tag nicht mehr erreichte, stellte er den Lastwagen in Allhaming ab und nächtigte dort. Auch in den folgenden Tagen wurde dem Kläger immer nur sehr kurzfristig mitgeteilt, wohin er während des nächsten Halbtages oder Tages zu fahren haben: Am 4. Oktober von Blindenmarkt nach Deutschland, am 5. Oktober nach Slowenien und über Triest wieder nach Deutschland, am 6. Oktober von Regensburg nach Slowenien und anschließend neuerlich nach Triest. Am 7. Oktober (Freitag) lud er in Udine Baustahlgitter, die nach dem Wochenende nach Polling, Deutschland, transportiert werden sollten. An keinem dieser Tage konnte er zu Hause nächtigen. Am 7. Oktober um 16:20 Uhr erreichte er verärgert das Betriebsgelände der Beklagten und teilte der Geschäftsführerin sofort schriftlich und mündlich mit, Auslandsfahrten künftig zu verweigern.

Die Geschäftsführerin, die sich auch von 3. bis 7. Oktober 2011 weder um die Arbeitszeit noch um die Fahrtstrecke des Klägers gekümmert hatte, wies ihn lediglich darauf hin, dass er am 10. Oktober 2011 die Fahrt nach Polling durchzuführen haben werde. Der Kläger blieb bei seinem Standpunkt, nicht mehr ins Ausland zu fahren. Sowohl der Geschäftsführerin als auch ihrem Ehemann der von den Mitarbeitern als Chef betrachtet wird und ihnen gegenüber weisungsbefugt ist war damit klar, dass der Kläger am 10. Oktober 2011 die Fahrt nach Polling nicht antreten werde. Aus dem innerbetrieblichen Pool von Ersatzfahrern, die üblicherweise problemlos kurzfristig einspringen, wurde deshalb ein Ersatzfahrer organisiert, der am 10. Oktober 2011 um 3:30 Uhr nach Polling aufbrach. Der Kläger erschien an diesem Tag gegen 5:30 Uhr am Betriebsgelände. Kurz nach 6:00 Uhr versuchte der Ehemann der Geschäftsführerin, einem kurzfristig eingeteilten Aushilfsfahrer telefonisch mitzuteilen, dass er doch nicht kommen müsse, weil der Kläger die an diesem Tag anstehenden Kipperfahrten erledigen werde. Zu diesem Zeitpunkt war der Aushilfsfahrer jedoch nicht zu erreichen. Der Kläger fragte den Ehemann der Geschäftsführerin, was nun mit ihm sei, ob er jetzt Urlaub habe oder eine Arbeit zugewiesen bekomme. Hierauf antwortete dieser: „Du kannst tun, was Du willst. Du bist entlassen.“ Der Kläger erklärte um 8:27 Uhr per E-Mail seine Arbeitsbereitschaft. Die Geschäftsführerin sandte ihm noch am selben Tag das Entlassungsschreiben.

Während des etwa 15 Jahre dauernden Dienstverhältnisses blieb der Kläger nie unentschuldigt vom Dienst fern. Er war stets höchst zuverlässig und vernachlässigte kein einziges Mal seine Pflichten.

Das Erstgericht konnte im Verhalten des Klägers kein entlassungsrelevantes Fehlverhalten und insbesondere keine ungerechtfertigte Verweigerung der Übernahme der Fahrt nach Polling erkennen, weil Auslandsfahrten nicht zu seinen Dienstpflichten gehörten.

Das Berufungsgericht gab der dagegen gerichteten Berufung der Beklagten teilweise Folge, verpflichtete sie, dem Kläger 6.844,54 EUR brutto sA zu zahlen und wies das Mehrbegehren von 13.177,37 EUR brutto sA ab. Durch sein Einverständnis damit, zwei Nächte pro Woche arbeitsbedingt außer Haus zu verbringen, sei sein örtlicher Einsatzbereich dahin verändert worden, dass der maximale Radius bei zwei aufeinander folgenden Auswärtsübernachtungen, dh für drei Arbeitstage, eineinhalb Tageslenkzeiten erreichen konnte. Die für den 10. Oktober 2011 aufgetragene Fahrt nach Polling, Deutschland, die mit einer Auswärtsübernachtung verbunden gewesen wäre, hätte diesen Einsatzbereich nicht überschritten. Aufgrund seiner Weigerung, die Fahrt durchzuführen, sei der Erstbeklagten seine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar. Eine Entlassung sei auch nicht verspätet, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Beseitigung des Entlassungsgrundes gebe. Diese Möglichkeit habe der Kläger nicht wahrgenommen. Auch bei begründeter Entlassung habe er Anspruch auf Urlaubsersatzleistung. Hinsichtlich der weiteren Ansprüche sei ein Mitverschulden der Erstbeklagten an der vorzeitigen Lösung des Dienstverhältnisses zu berücksichtigen, weil das Verhalten des Klägers durch seinen vertragswidrigen Einsatz in der Woche vom 3. bis 7. Oktober durch den der Erstbeklagten zurechenbaren Disponenten der Firma Ko***** geradezu provoziert worden sei. Andererseits habe der Kläger die Geschäftsführerin der Beklagten von der vertragswidrigen Disposition nicht in Kenntnis gesetzt. Daher sei eine Verschuldensteilung von 2:1 zugunsten der Beklagten angemessen. Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 ZPO nicht zulässig.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen, allenfalls teilweisen Klagsstattgebung infolge einer im Verhältnis 3:1 zu seinen Gunsten vorzunehmenden Verschuldensteilung. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt , weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht im Rahmen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bewegt.

Gemäß § 82 lit f zweiter Fall GewO 1859 ist eine Entlassung gerechtfertigt, wenn ein Arbeitnehmer beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Unter Pflichtvernachlässigung im Sinne dieser Bestimmung ist die Nichterfüllung oder nicht gehörige Erfüllung der dem Dienstnehmer aus dem Dienstvertrag, der Arbeitsordnung, dem Kollektivvertrag oder Gesetz treffenden, mit der Ausübung des Dienstes verbundenen und ihm zumutbaren Pflichten zu verstehen (RIS-Justiz RS0060172 [T3]).

Aus dem festgestellten Sachverhalt ist nicht ableitbar, dass der Kläger vertraglich verpflichtet gewesen wäre, Auslandsfahrten mit oder ohne Übernachtung durchzuführen: Dem Kläger war ursprünglich ausdrücklich zugesagt worden, dass er ausschließlich Inlandsfahrten durchzuführen habe. Dass er in den Jahren 1999/2000 Auslandsfahrten durchführte, veränderte den Vertragsinhalt nicht nachhaltig, da er in den folgenden mehr als zehn Jahren wieder nur Inlandsfahrten durchführte. Auch aus der einmaligen Fahrt zum Münchner Flughafen am 1. August 2011 kann keine dauerhafte Vertragsänderung abgeleitet werden, liegen doch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Kläger mit einer solchen Änderung einverstanden erklärt hatte. Wenn er am 7. Oktober 2011 nach fünf Tagen Auslandsfahrten ohne Heimkehrmöglichkeit erklärte, Auslandsfahrten künftig zu verweigern, so kann dies nur als Klarstellung des vereinbarten Vertragsinhalts gesehen werden.

Unabhängig davon ist auch nicht erkennbar, warum der Erstbeklagten die Weiterbeschäftigung des Klägers für die Dauer der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen sein sollte:

Die Entlassung eines Dienstnehmers ist grundsätzlich nur dann gerechtfertigt, wenn sein gesamtes Verhalten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise also nicht nach dem subjektiven Empfinden des Dienstgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen die Interessen des Dienstgebers so schwer beeinträchtigt, dass ihm nach der Lage des Falles eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum nächsten Kündigungstermin (bzw bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer oder für den Rest der schon im Lauf befindlichen Kündigungsfrist) nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0029107). Die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung muss vom Arbeitgeber auch als solche betrachtet werden. Er darf kein Verhalten an den Tag gelegt haben, das erkennen lässt, dass er dem im Übrigen hier ohnehin nicht gegebenen tatbestandsmäßigen Verhalten des Arbeitnehmers eine solche schwerwiegende Bedeutung nicht beimisst (RIS-Justiz RS0029107 [T2]).

Im vorliegenden Fall wurde dem Kläger vom Ehemann der Geschäftsführerin noch am Morgen des 10. Oktober 2011 das Interesse an seiner Weiterbeschäftigung signalisiert, indem er einem Aushilfsfahrer erklären wollte, dass der Kläger an diesem Tag die anstehenden Kipperfahrten erledigen werde. Damit erachtete er die Weiterbeschäftigung des Klägers aber offenbar selbst nicht für unzumutbar. Nach den Umständen des Falles ist dies der Beklagten auch zurechenbar. Dass sich der Kläger gegenüber der Erstbeklagten im Übrigen stets loyal verhalten hatte, hat bereits das Erstgericht dargelegt.

Da insgesamt kein Verhalten des Klägers erkennbar ist, das als beharrliche Pflichtverletzung iSd § 82 lit f GewO 1859 beurteilt werden könnte, kommt es auf die Frage der Verspätung des Entlassungsausspruchs nicht mehr an.

Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Pauschalgebühr beträgt 1.296 EUR (GGG [TP3]).

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