JudikaturOGH

11Os80/13v – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Juni 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Wagner Haase als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Stefan S***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 7. März 2013, GZ 22 Hv 17/13v 32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die Einweisung des Betroffenen Stefan S***** in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet.

Danach hat er am 5. September 2012 in L***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer mittelgradigen Intelligenzminderung mit Verhaltensstörung (ICD 10: F71.1) sowie einer Frontlappen Epilepsie mit rezidivierenden kurzen fokalmotorischen Anfällen und seltenen Grand Mal Anfällen,

1. dadurch, dass er gegenüber den Polizeibeamten GI Wolfgang G***** und Insp. Simon D*****, die im Begriffe waren, eine Gefahrenabwehr nach § 21 SPG sowie seine zwangsweise Einweisung in das Landesnervenkrankenhaus H***** zu erwirken, wild um sich schlug und um sich trat, Beamte mit Gewalt an Amtshandlungen zu hindern versucht;

2. durch die unter Punkt 1. geschilderten Handlungen den Polizeibeamten Insp. Simon D***** während der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt, was eine Zerrung der Bänder und Muskeln an der linken Schulter zur Folge hatte;

sohin Taten begangen, die ihm außerhalb seines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands als Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (1) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (2) zuzurechnen wären.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen aus § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a und 11 StPO.

Die Mängelrüge (Z 5) verkennt überwiegend die Anfechtungskriterien dieses formellen Nichtigkeitsgrundes, dessen Gegenstand die Einhaltung der Grenzen der sogenannten freien Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) ist.

Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) liegt vor, wenn aus objektiver Sicht den Feststellungen des Urteils nicht klar zu entnehmen ist, welche entscheidenden Tatsachen sowohl auf der objektiven als auch auf der subjektiven Tatseite das Gericht als erwiesen angenommen hat und aus welchen Gründen dies geschah ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 42). Eine solche Undeutlichkeit liegt jedenfalls nicht darin, dass die psychiatrische Sachverständige im Verfahren angab, eine Frage (hier, ob der Betroffene die Polizisten als solche erkannte) nicht eindeutig beantworten zu können.

Der Ausspruch des Gerichts über entscheidende Tatsachen ist mit sich selbst in Widerspruch (Z 5 dritter Fall), wenn entweder zwischen Feststellungen (in den Entscheidungsgründen) und deren zusammenfassender Wiedergabe im Urteilsspruch oder zwischen zwei oder mehreren Feststellungen (in den Entscheidungsgründen) oder zwischen Feststellungen und den dazu in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen oder zwischen in der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ein Widerspruch besteht ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 45). Dieser Nichtigkeitsgrund wird in der Beschwerde bloß nominell behauptet, jedoch nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Keine oder eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) ist einem Urteil vorzuwerfen, wenn das Gericht für den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache überhaupt keine oder nur solche Gründe angegeben hat, aus denen sich nach Denkgesetzen und allgemeiner Lebenserfahrung ein Schluss auf die zu begründende Tatsache entweder überhaupt nicht ziehen lässt oder der logische Zusammenhang kaum noch erkennbar ist ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 46). Dieser Nichtigkeitsgrund dient zur Verhinderung willkürlicher Urteilsannahmen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 444).

Dem Rechtsmittelvorbringen zuwider sind allerdings die tatrichterlichen Erwägungen US 6 (zur Konstatierung der inneren Tatseite des Betroffenen US 4) weder logisch noch empirisch zu beanstanden, weil notorisch drei bis fünfjährige Kinder uniformierte Polizisten als Träger von Amtsgewalt zu erkennen vermögen und sich der Betroffene krankheitsbedingt intellektuell eben auf einem derartigen Niveau befindet.

Der in Rede stehende Nichtigkeitsgrund liegt nicht vor, wenn die im Urteil angeführten Gründe bloß nicht genügend überzeugend erscheinen oder wenn neben dem folgerichtig gezogenen Schluss noch andere insbesondere für den dies monierenden Betroffenen günstigere denkbar sind ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 46a). Die Mängelrüge ermöglicht jedenfalls nicht wie es der Beschwerdeführer indes teilweise unternimmt eine Urteilsanfechtung nach Art der nur im Einzelrichterprozess vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Relevierung des sogenannten Zweifelsgrundsatzes (RIS Justiz RS0102162).

Der als Aktenwidrigkeit bezeichnete fünfte Fall des § 281 Abs 1 Z 5 StPO liegt vor, wenn zwischen den Angaben der Entscheidungsgründe über den Inhalt einer bei den Akten befindlichen Urkunde oder über eine Aussage und der Urkunde oder dem Vernehmungs oder Sitzungsprotokoll selbst ein erheblicher Widerspruch besteht. Derartiges wird inhaltlich vom Nichtigkeitswerber nicht einmal behauptet.

Die prozessordnungskonforme Geltendmachung materiell rechtlicher Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 bis 11 StPO) setzt ein Festhalten am Sachverhaltssubstrat der angefochtenen Entscheidung voraus. Dies wird vom Rechtsmittelwerber außer Acht gelassen, indem er bei Ausführung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) die Feststellungen negiert, der Betroffene habe bedingt vorsätzlich Beamte mit Gewalt an Amtshandlungen zu hindern gesucht (US 4), und die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) darauf gründet, es bestünde aktuell keine einweisungsrelevante Gefährlichkeit (ausdrücklich gegenteilig US 4 mit mängelfreier Begründung US 7).

Die Behauptung der Rechtsrüge, es sei „von grundlegender Bedeutung, dass der Angeklagte auch wusste, dass er sich gegen die Befehle und Anweisungen der Polizisten nicht zur Wehr setzen darf“, lässt jeglichen methodisch nachvollziehbaren Bezug zum Gesetz vermissen; Indizien für das Vorliegen eines Feststellungsmangels in Richtung § 269 Abs 4 StGB oder eines Rechtsirrtums werden ebensowenig vorgebracht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Entscheidungskompetenz des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

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