15Os141/12t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Niegl als Schriftführer in der Strafsache gegen Pero J***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 24. August 2012, GZ 37 Hv 98/12f 25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen (sohin im Schuldspruch zu B und im Kostenausspruch) unberührt bleibt, im Schuldspruch zu A/I/1, A/II/1 und A/II/2 sowie hinsichtlich der (zu A/I/2) verbleibenden Taten in der Unterstellung jeweils auch unter § 28a Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG und in der Nichtannahme privilegierender Umstände nach § 28a Abs 3 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Linz verwiesen.
Im Übrigen wird der Angeklagte mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde auf die teilkassatorische Entscheidung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Pero J***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, § 15 StGB (A/I), der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 SMG, § 12 dritter Fall StGB (A/II) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (B) schuldig erkannt.
Danach hat er in Linz und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift
(A) als Mitglied einer kriminellen Vereinigung
(I) in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge (teils) aus- und eingeführt (teils aus- und einzuführen versucht), indem er
(1) von Ende April 2010 bis Mitte Mai 2010 im Auftrag des Siegfried R***** und des Rudolf B***** „ca.“ 500 Gramm Kokain (zu ergänzen [US 10]: mit einer Reinsubstanz an Cocain von 200 Gramm) von Kolumbien über Spanien nach Österreich zu schmuggeln versuchte;
(2) von etwa Herbst 2009 bis März 2010 gemeinsam mit Rudolf B***** etwa fünf Schmuggelfahrten in einem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug unternahm, im Zuge deren er Cannabiskraut, Cannabisharz (US 10: THC), Kokain und Amphetamin in einer „insgesamt nicht näher bekannten, die Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge“ von Österreich nach Deutschland, und zwar bei einer dieser Fahrten (zumindest) 1,5 Kilogramm Cannabisharz und (zumindest) 500 Gramm Cannabiskraut (zu ergänzen [US 10]: mit einer Reinsubstanz an THC von 200 Gramm) sowie (zumindest) 500 Gramm Amphetamin (zu ergänzen [US 10]: mit einer Reinsubstanz von 100 Gramm) von Linz nach Passau transportierte;
(II) in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er
(1) von etwa Herbst 2009 bis März 2010 durch Leistung von Chauffeurdiensten bei wöchentlichen Auslieferungsfahrten im Raum Linz und Perg zum gewinnbringenden Verkauf von Cannabiskraut, Cannabisharz, Kokain und Amphetamin in einer „insgesamt nicht näher bekannten, die Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge“ durch Rudolf B***** beitrug;
(2) von etwa Herbst 2009 bis Ende April 2010 „ca.“ 700 Gramm Cannabiskraut und „ca.“ 400 Gramm Cannabisharz, „ca.“ 150 Gramm Kokain sowie „ca.“ 200 Gramm Amphetamin, die er von Rudolf B***** erworben hatte, „großteils gewinnbringend an nicht namentlich bekannte Abnehmer verkaufte“ (zu ergänzen [US 7]: und teils unentgeltlich anderen Personen überließ);
(B) ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen, indem er von etwa Herbst 2009 bis März 2010 geringe Mengen Cannabiskraut und Kokain von Rudolf B***** als Entgelt für geleistete Chauffeurdienste entgegennahm und bis zum Eigenkonsum besaß.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit b StPO erhobenen, inhaltlich bloß die Schuldsprüche A/I und A/II/1 ansprechenden Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichthof im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur vorweg, dass dem Urteil ungerügt gebliebene dem Angeklagten zum Nachteil gereichende materielle Nichtigkeit (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) anhaftet, die eine (teilweise) Aufhebung des Urteils gebietet:
Zu A/II/2 enthält das Urteil keine Aussage zum Reinheitsgehalt (der Menge an Reinsubstanz) des überlassenen Suchtgifts. Die dazu im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nachgetragenen Feststellungen beziehen sich ausdrücklich nur auf die bei Schmuggelfahrten (A/I) aus und eingeführten Substanzen (US 10). Dieser Mangel an Feststellungen (bereits) zum Grundtatbestand des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG erfordert die Aufhebung des entsprechenden Schuldspruchs (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO).
Maßgebend für die Abgrenzung zwischen Vorbereitungshandlung und Versuch (§ 15 Abs 2 StGB) ist, ob die Handlung bei wertender Betrachtung ex ante und unter Berücksichtigung der konkreten Vorstellungen des Täters unmittelbar, dh ohne weitere selbständige Zwischenakte, in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll. Bedarf es noch weiterer essentieller zeitlicher, örtlicher oder manipulativer Etappen, fehlt es an dem für die Ausführungsnähe vorausgesetzten engen zeitlich örtlichen bzw aktionsmäßigen Konnex zur Tatausführung (RIS Justiz RS0089825 [T7], RS0089871). Der Begriff der Ausführungsnähe wird somit durch den Tatplan bestimmt. Ob ein Täterverhalten ausführungsnah ist, ist für jedes Delikt gesondert unter Berücksichtigung der deliktsspezifischen Besonderheiten zu beurteilen, weil nur von der Fassung der einzelnen Tatbilder ausgehend beurteilt werden kann, ob objektiv gesehen das Verhalten sowohl nach seiner aktionsmäßigen als auch nach seiner zeitmäßigen Beziehung zur Ausführung im unmittelbaren Vorfeld des Tatbildes liegt (RIS Justiz RS0090029). In subjektiver Hinsicht muss das deliktische Verhalten schon in ein Stadium getreten sein, aus dem sachlich gesehen anzunehmen ist, dass der Täter die entscheidende Hemmstufe vor der Tatbegehung bereits überwunden hat (RIS Justiz RS0089887).
Von der Rechtsprechung bejaht wurde die Ausführungsnähe zur Aus- und Einfuhr von Suchtgift etwa im Fall des Mitführens von Suchtgift unweit der Staatsgrenze, um es zu einem bestimmten und unmittelbar bevorstehenden Zeitpunkt in bestimmter Art auszuführen (14 Os 83/91), verneint hingegen im Fall bloßer Übereinkunft, im Ausland eine bestimmte Menge Haschisch zu erwerben und nach Österreich zu schmuggeln (12 Os 107/82), bei bloßer Geldübergabe an einen Suchtgifthändler ohne aktuelle Verfügungsmacht über das einzuführende Suchtgift (13 Os 176/80; vgl auch 15 Os 83/91), oder im Fall noch beträchtlichen Zeitaufwand erfordernder Tätigkeiten bis zur Ein bzw Ausfuhr bei einer erst bis Maribor fortgeschrittenen Autoreise von Österreich in die Türkei, um dort einen Suchtgiftverkäufer ausfindig zu machen und das erst zu erwerbende Suchtgift in der Folge aus der Türkei aus und nach Österreich einzuführen (13 Os 108/82).
Nach den das Tatgeschehen zu A/I/1 betreffenden Feststellungen wurde der Angeklagte dazu angeworben, Suchtgift in seinem Körper versteckt von Kolumbien nach Österreich zu transportieren. Zu diesem Zweck flog er am 30. April 2010 von München über Madrid nach Bogota, wo er von Hintermännern erwartet und in ein Hotel gebracht wurde, um am nächsten Tag weiter nach Cali zu fliegen. Auch dort wurde er abgeholt und zu einem Hotel gebracht, in dem er sich etwa eine Woche aufhielt. Zur Kontaktaufnahme wurde er von den Hintermännern mit einer SIM Karte ausgestattet. „Eines Tages“ wurde er von zumindest einem Kolumbianer im Hotel aufgesucht und aufgefordert, größere Weintrauben zu schlucken, um „später“ in der Lage zu sein, mindestens 40 Stück flüssiges Kokain (und zwar 500 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 40 %) beinhaltende Kugeln zu schlucken. Der Angeklagte konnte die Weintrauben jedoch nicht schlucken, weshalb der Kolumbianer das Hotel verließ und ankündigte, am nächsten Tag wieder zu kommen. In der Zwischenzeit wechselte der Angeklagte das Hotel und mied jeden weiteren Kontakt mit seinen „Geschäftspartnern“. Am 13. oder 14. Mai 2010 flog er von Cali über Bogota und Madrid nach München und kehrte nach Linz zurück (US 6). Die Einfuhr des Kokains aus Kolumbien unterblieb „lediglich“ aufgrund des vom Angeklagten subjektiv empfundenen Unvermögens, die Weintrauben und „in späterer Folge“ die Kokainkapseln zu schlucken (US 7).
Die Rechtsansicht des Erstgerichts, der Angeklagte sei bereits mit seiner Reise nach Kolumbien und der (bloßen) Kontaktaufnahme mit den Mittelsmännern vor Ort in das Stadium der Ausführungsnähe zur geplanten Aus- und Einfuhr eingetreten (US 9), kann im Hinblick auf das bisher Gesagte nicht geteilt werden. Die für diese Rechtsmeinung ins Treffen geführte Entscheidung (11 Os 109/80 = EvBl 1981/104; RIS Justiz RS0087986; Fabrizy , StGB 10 § 15 Rz 18) betraf nämlich einerseits gerade nicht den Vorwurf der Ein bzw Ausfuhr, sondern jenen des im Dezember 1978 (im Inland) an einem Grenzübergang in Salzburg versuchten Erwerbs einer qualifizierten Suchtgiftmenge, um diese anschließend im Raum Vorarlberg oder im benachbarten Ausland in Verkehr zu setzen (§ 15 StGB, § 6 Abs 1 Suchtgiftgesetz 1951, BGBl 1951/234 idF BGBl 1974/422), somit gemessen an der aktuellen Gesetzeslage einer Vorbereitung von Suchtgifthandel iSd § 28 Abs 1 SMG idgF. Andererseits wurde die Ausführungsnähe (seinerzeit vor Einführung eines § 28 SMG idgF entsprechenden Vorbereitungsdelikts mit § 14a SGG 1951 idF BGBl 1985/184 zur Tathandlung des Inverkehrsetzens) im konkreten Fall bejaht, weil das Suchtgift zum Zeitpunkt der am Grenzübergang geplanten Übernahme bereits in einem LKW versteckt unmittelbar vor Ort (aktuell) in der Verfügungsgewalt des mit der Übergabe betrauten Mittelsmannes stand (vgl auch 15 Os 83/91) und nach dem Tatplan auch der Verteilungsvorgang im Fall des gelungenen Ankaufs nach Erlangung der Verfügungsgewalt über das Suchtgift durch den „Übernehmer“ „alsbald“ eingeleitet worden wäre. Die (erneute) Verabredung der Übergabe des Suchtgifts für den nächsten Morgen erfolgte erst am Ort und zur Zeit der ursprünglich geplanten Suchtgifttransaktion, die bloß abgebrochen wurde, weil eine sofortige Übernahme wegen der Anwesenheit von Polizeibeamten vor Ort zu riskant erschien.
Feststellungen zum genauen Tatplan etwa ob die einzuführenden Suchtgiftkapseln im unmittelbaren Anschluss an die Probe mit den Weintrauben geschluckt und sodann zu einem bereits vorbestimmten Zeitpunkt (innerhalb des durch die Passage des Suchtgifts durch den Körper äußerst begrenzten Zeitraums) außer Landes gebracht werden sollten (vgl 14 Os 58/88) wurden nicht getroffen, sodass derzeit zu A/I/1 nicht abschließend beurteilt werden kann, ob die entscheidende örtliche und zeitliche Nähe zum tatbestandsmäßigen Unrecht (nämlich der Aus und Einfuhr) schon gegeben und auch die subjektive Hemmstufe vor der Tatbegehung bereits überwunden war.
Die Aufhebung des Schuldspruchs A/I/1 (Z 9 lit a) erfordert überdies die Aufhebung der rechtlichen Unterstellung der zu A/I/2 inkriminierten Taten unter die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 SMG, weil nach den Feststellungen bei einer der fünf (US 5) „Schmuggelfahrten“ konkret bloß ein die 20 fache Grenzmenge erreichendes Suchtgiftquantum betroffen war (US 5, 8 f und 10), hinsichtlich der weiteren (vier) Ein und Ausfuhren jedoch hinreichend deutliche Feststellungen zur betroffenen (Mindest-)Menge unterblieben, zumal das Urteil nicht klar zum Ausdruck bringt (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 418 und 571), ob bloß „insgesamt“ zu A/I oder schon zu A/I/2 für sich von einer Überschreitung der 25 fachen Grenzmenge auszugehen ist (US 2, 7 ff und 10).
Die Kassation der den Strafrahmen bestimmenden Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG zu A/I zieht aber auch eine Aufhebung jener nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG hinsichtlich der vom verbleibenden Schuldspruch A/I/2 (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) umfassten Taten nach sich, weil Urteilskonstatierungen in Ansehung der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Übrigen auch hinsichtlich der bereits im Schuldspruch aufzuhebenden Teile des Geschehens sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht zur Gänze fehlen (Z 10).
Im Ergebnis zutreffend weist der Beschwerdeführer in seinem Rechtsmittel (nominell aus Z 5, der Sache nach aus Z 10) zudem darauf hin, dass schon in objektiver Hinsicht Feststellungen zu „Menge und Qualität“ (Menge an Reinsubstanz) des vom Schuldspruch A/II/1 umfassten Suchtgifts fehlen, weshalb (auch) die Subsumtion des Beitrags des Angeklagten zur qualifizierten Überlassung von Suchtgift durch Rudolf B***** schon unter den Grundtatbestand des § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG nicht gedeckt ist (eine Qualifikation der von A/II umfassten Taten [auch] nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG enthält der Schuldspruch [§ 260 Abs 1 Z 2 StPO] im Übrigen nicht [US 2]).
Im zweiten Rechtsgang wird im Hinblick auf den Umstand, dass der Angeklagte vor Aufnahme der inkriminierten „Kurierfahrten“ „akuten Suchtgiftbedarf“ hatte, sich in „akuten Geldnöten“ befand und für die Fahrten als Entlohnung sowohl „kleinere Suchtgiftmengen“ für den Eigenkonsum als auch Geldlohn erhielt (US 4 f), durch präzise Feststellungen zur Motivation des Angeklagten auch die Frage einer allfälligen Privilegierung von gegebenenfalls bloß § 27 SMG, § 28a Abs 1 SMG oder § 28a Abs 2 SMG zu unterstellenden Taten nach § 27 Abs 5 SMG bzw § 28a Abs 3 SMG zu klären sein (vgl RIS Justiz RS0124622 und RS0125836).
Im Hinblick auf die amtswegige Maßnahme erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen des Angeklagten.
Das angefochtene Urteil war somit in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass bereits bei der nichtöffentlichen Beratung im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben (§ 285e StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO. Sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).