17Os19/12s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Februar 2013 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kogler als Schriftführerin in der Strafsache gegen MMag. Karl W***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die den Angeklagten MMag. Karl W***** betreffende Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. Jänner 2012, GZ 51 Hv 46/11s 172, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten MMag. Karl W***** und seines Verteidigers MMag. Dr. Georg Unger zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde MMag. Karl W***** vom Vorwurf, er habe von 30. Jänner 2009 bis 31. August 2009 in 31 Fällen in Wien als Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wien, sohin als Beamter (§ 74 Abs 1 Z 4 StGB) seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er im Rahmen seiner Fachaufsicht über die ihm zugeteilte Geschäftsabteilung den Vertragsbediensteten der Staatsanwaltschaft Wien Robert M***** zur Eintragung von (mit den Akten und den tatsächlichen Verfahrensständen nicht übereinstimmenden und die Beendigung der Ermittlungsverfahren nach dem 10. bis 12. Hauptstück der StPO tatsachenwidrig bescheinigenden) Verfahrensschritten im Register der Verfahrensautomation Justiz mit dem Vorsatz anwies, dadurch „den Bund in seinem Recht auf Wahrnehmung der Dienstaufsicht durch Überwachung der vollen und pflichtgemäßen Erfüllung der Dienstpflichten (§ 45 Abs 1 BDG iVm § 206 RStDG) und darüber hinaus diesen und die Verfahrensparteien, die Verfahrensparteien auch in ihren nach der StPO zustehenden Rechten und an ihrem Recht auf Richtigkeit staatsanwaltschaftlicher Registereintragungen zu schädigen“, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Befugnismissbrauch hat das Schöffengericht zutreffend bejaht: Indem § 80 GOG unter anderem der „für die Erledigung der einzelnen Rechtssache nötige(n) Übersicht“ dient, nimmt nämlich der zur Eintragung Berechtigte in Beamtenfunktion dabei als Organ des Bundes in Vollziehung der einschlägigen, den Vollzug von Gerichtsbarkeit (Art 82 ff B VG) regelnden Gesetze ein Amtsgeschäft vor (grundlegend: 10 Os 117/77 [verst Senat]). Verfügt oder vollzieht er willentlich eine inhaltlich falsche Eintragung, missbraucht er seine Befugnis zu Amtsgeschäften in Vollziehung dieser Gesetze im Namen des Bundes als dessen Organ und handelt demnach in diesem Umfang tatbildlich im Sinn des § 302 Abs 1 StGB.
Der aus Z 5 und 9 lit a (der Sache nach nur aus Z 5) des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich (angesichts bejahter Wissentlichkeit dieses Befugnismissbrauchs) gegen die Verneinung des zur Begründung von Missbrauch der Amtsgewalt zudem erforderlichen Rechtsschädigungsvorsatzes richtet, kommt keine Berechtigung zu.
Richtig ist zunächst, dass die dazu getroffenen Feststellungen der Tatrichter wenn auch nicht für den Obersten Gerichtshof (vgl Ratz, WK StPO § 281 Rz 19), so doch unter dem Aspekt allgemeiner Verständlichkeit undeutlich geblieben sind (Z 5 erster Fall).
Unter Verweis auf eine beim Angeklagten bestehende „kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vorwiegend anankastischen (zwanghaften) aber auch ängstlich vermeidenden Persönlichkeitsanteilen“, „eine belastungsabhängige psychische Störung mit eindeutig depressivem Krankheitswert (Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion) in Verbindung mit einem Burnout Syndrom“ und „innere unbewusste Konflikte gegenüber äußeren konflikthaften Belastungen“ führen die Entscheidungsgründe dazu Folgendes aus:
2009 hätten die „interpsychischen Spannungen und dysfunktionalen Konflikte aufgrund des Zusammentreffens einer primär ängstlich vermeidenden Persönlichkeit mit Entwicklung einer monomanen Störung im Sinne eines extremen Burnoutsyndroms, ihn in seinem Entscheidungs und Handlungsspielraum massiv eingeengt und zu einer weitreichenden Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit geführt, nicht jedoch zu einer vollkommenen Aufhebung der Dispositionsfähigkeit“.
Und weiter: „Zu den psychischen Problemen ist ergänzend auszuführen, dass“ der Angeklagte, „obwohl hochintelligent, zahlreiche Konflikte aufweist, Widersprüche hinsichtlich Wünschen, Motiven, Werten, Vorstellung, Selbstwertanerkennung und auf der anderen Seite Versagensängste, Verdrängung von Leistungsgrenzen, die bereits überschritten wurden, Unvermögen zu delegieren oder sich Fremden gegenüber zu seinen Problemen zu äußern. Dies hat zu einer pathologischen Entwicklung geführt, wobei die Leistung im Sinne von Arbeitserfüllung beim Angeklagten in den letzten Jahren weitgehend auch seinem privaten Raum und seine private Lebenssphäre ausgefüllt hat“. Er „konsumierte keine Urlaube und es kam zu einer schweren neurotischen Entwicklung, bei der Arbeit und Arbeitsleistungen einen libidinösen Charakter annahm, die schließlich zu einer monomanen Störung mit biologischem Hintergrund führte, das heißt, dass bei ihm ein Befriedigungsverlangen bestand, wiederum durch Arbeit und Aufnahme von Arbeit oder von Mehrarbeiten befriedigt zu werden. Tatsächlich war diese Arbeitsbelastung schon zum damaligen Zeitpunkt für den“ Angeklagten „nicht mehr bewältigbar“. Der Angeklagte „war bestrebt, die Zahl der anhängigen Verfahren unter die Grenze von 100 und möglichst niedrig zu bringen, wobei er wusste, dass diese Anhängigkeitszahlen jeweils zum Monatsende erhoben werden“. Er „ging jeweils davon aus, dass er die schon geistig durchdachten, teilweise auf Blockzetteln vorentworfenen Erledigungen noch am selben Tag werde diktieren können“.
Er „hat andere Akte, insbesondere Haftsachen, für dringender erachtet, die Akte mit der oben gewählten Vorgangsweise hat er wenn er es nicht schaffte, sie zeitnah im Akt zu erledigen zur Bewältigung seines psychischen Leidensdruckes gedanklich 'schubladisiert'“.
Schließlich resumierend: Der Angeklagte „war sich bei seinen Handlungen dessen gewiss, dass er durch die an seinem fachlich untergebenen Zweitangeklagten erteilten Weisungen(,) Registereintragungen vorzunehmen, zu denen noch keine schriftlichen Erledigungen im Akt existierten, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, missbraucht.
Es ist jedoch nicht feststellbar, dass er es jeweils auch nur ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass er durch sein Handeln de(n) Bund in seinem Recht auf Wahrnehmung der Dienstaufsicht durch Überwachung der vollen und pflichtgemäßen Erfüllung der Dienstpflichten (§ 45 Abs 1 BDG iVm § 206 RStDG) und darüber hinaus diese(n) und die Verfahrensparteien, die Verfahrensparteien auch in ihre(n) nach der StPO zustehenden Rechten und an ihrem Recht auf Richtigkeit staatsanwaltschaftlicher Registereintragungen schädigen könnte.“
Wenngleich undeutlich, hat das Schöffengericht solcherart (auf Schädigung [gemeint: Unrichtigkeit des Registers] gerichteten) Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) in tatsächlicher Hinsicht bejaht, jedoch (verfehlt) vom Sachverständigen relevierte (unter dem Aspekt von § 11 StGB anerkannter Störungen des sogenannten biologischen Schuldelements übrigens unbeachtliche) psychische Auffälligkeiten des Angeklagten als Grund dafür bewertet , das Tatbestandsmerkmal rechtlich zu verneinen und den Angeklagten freizusprechen. Der Schädigungsvorsatz des Angeklagten hätte allerdings, um zum Erfolg der Mängelrüge zu führen, auf ein konkretes staatliches oder ein subjektives Recht bezogen sein müssen. Ein solches lässt die Mängelrüge nicht erkennen, womit sie sich deren Kritik nicht auf den Ausspruch über entscheidende Tatsachen bezieht.
Die Staatsanwaltschaft nennt als Bezugspunkt der als undeutlich kritisierten Feststellungen zum überschießenden Vorsatz des Angeklagten staatliche Rechte auf unbehinderte Dienstaufsicht und „Richtigkeit staatsanwaltlicher Registereintragungen“, welch letzteres auch den „Verfahrensparteien“ zustehe, schließlich diesen „nach der StPO zustehende“ Rechte.
Nach der Rechtsprechung kommt aber die Verletzung allgemeiner staatlicher Kontroll oder Aufsichtsrechte sowie bloß interner Dienstvorschriften als Gegenstand der Rechtsschädigung nicht in Frage, wenn hierdurch kein dahinter stehender gesetzlicher Zweck in einem konkreten Fall gefährdet wird (RIS Justiz RS0096270; vgl auch RS0054644, RS0096604). Das vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staates darf nämlich nicht allein jenes sein, das den Täter verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen. Es muss weiter als jenes Recht sein, das darin besteht, die Vorschrift einzuhalten, die bereits den Missbrauch der Befugnis bildet (10 Os 117/77 [verst Senat]).
Deshalb sind etwa das allgemeine Recht des Staates gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufs und Dienstausübung, der abstrakte staatliche Anspruch auf eine korrekte und saubere Verwaltung, allgemeine staatliche Kontroll und Aufsichtsrechte und bloß interne Dienstvorschriften keine (konkreten) Rechte, die der Schädigungsvorsatz verlangt. Das Recht des Staates auf Aufnahme von den polizeilichen Erhebungen entsprechenden Polizeiprotokollen ist kein konkretes Hoheitsrecht (RIS Justiz RS0095527; RS0095536 [T2]); ebenso wenig das Recht einer Gemeinde auf ordnungsgemäße und gesetzgemäße Führung ihres Rechnungswesens. Jedoch können dahinterstehende konkrete Rechte der Gemeinde (Prüfungsrecht des Gemeinderats, Recht auf zeitgerechte Abgabeneinhebung und deren bestimmungsgemäße Verwendung) oder des Landes (auf bestimmungsgemäße Verwendung von Budgetmitteln) beeinträchtigt werden (RIS Justiz RS0095536 [T1]; vgl auch 14 Os 125/92, SSt 61/150 [eine falsche Chronologie des behördlichen Vorgehens dokumentierender Amtsvermerk als Missbrauch der Amtsgewalt]).
Das Schöffengericht hat wie dargelegt in tatsächlicher Hinsicht beim Angeklagten einen gegen die Vorschrift des § 80 Abs 2 dritter Satz GOG gerichteten Vorsatz ausgemacht. Danach dürfen die Daten der Register und sonstigen Geschäftsbehelfe „vom Akteninhalt nicht abweichen“. Wenn aber nur der in § 80 Abs 2 dritter Satz GOG, § 34a Abs 2 dritter Satz StAG normierte Anspruch des Staates auf korrekte Wiedergabe des Akteninhalts zur Dienstaufsicht (vgl §§ 73 ff GOG, § 36 StAG iVm § 4 Abs 1 und 2 BMG) behindert werden sollte, ist ein konkretes Recht im Sinn des § 302 Abs 1 StGB nicht betroffen. Der Anspruch ist vielmehr nur Ausdruck allgemeinen staatlichen Kontroll und Aufsichtsrechts, mit anderen Worten eines allgemeinen Rechts des Staates gegenüber Beamten, Richtern und Staatsanwälten auf pflichtgemäße Berufs und Dienstausübung im Sinn der ständigen Rechtsprechung zu § 302 StGB.
Subjektive Rechte werden mit den angeführten Vorschriften nicht begründet, Rechte nach der StPO nicht genannt (das [subjektive] Recht auf Akteneinsicht [vgl §§ 51 ff StPO] übrigens nicht berührt).
Soweit die Mängelrüge mangelnde Erörterung von Verfahrensergebnissen (Z 5 zweiter Fall) über die Kenntnis des Angeklagten davon kritisiert, dass Eintragungen in Register und Geschäftsbehelfe auch zu konkreten Verfahrensschritten von Gerichten und Staatsanwaltschaften Anlass geben können (ON 155 S 7 f, 11), wird nicht klar, weshalb daraus ein tragfähiger Schluss auf die zur Tatbestandserfüllung erforderliche Wissens und Willenskomponente in Betreff einer konkreten Verfahrenshandlung oder unterlassung, also in einem konkreten Fall ableitbar sein sollte (vgl erneut RIS Justiz RS0096270).
Da Lugdaten als Tatbestandsobjekt nach § 225a StGB ausscheiden, Ausübung von Dienstaufsicht kein verwaltungsbehördliches Verfahren im Sinn des § 293 StGB vorstellt und Hoheitsrechte als Gegenstand der Täuschung nach § 108 StGB ausscheiden, bedarf es zur Verwerfung der Nichtigkeitsbeschwerde keiner weiteren Erwägungen.