9Ob5/12v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** KG, *****, vertreten durch die Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Ludwig Beurle ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 40.761,60 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. November 2011, GZ 1 R 178/11v 44, womit das Teil Zwischenurteil des Landesgerichts Linz vom 5. August 2011, GZ 1 Cg 215/07v 40, teilweise aufgehoben bzw im Übrigen bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.000,52 EUR (darin 333,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung zugelassen, dass zur zivilrechtlichen Qualifikation der Vertragskonstellationen zwischen Netzbetreiber, Energielieferant und Endkunde bezüglich der Frage des Ausfallsrisikos noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege. Dem schloss sich die Revisionswerberin zur Begründung der Zulässigkeit ihrer Revision an. Dazu komme noch, dass auch die Energie Control Kommission (bzw nunmehr Energie Control Austria) die Frage des Ausfallsrisikos bisher anders beurteilt habe als das Berufungsgericht. Dem gegenüber bestritt die Revisionsgegnerin ausdrücklich das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision der Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gegen das Urteil des Berufungsgerichts ist die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
Dabei ist davon auszugehen, dass die Beklagte Netzbetreiber ist, während die Klägerin Lieferant im Sinn des ElWOG 2010 ist. Beide Parteien erbringen Leistungen an Endverbraucher. Zur Vereinfachung der Rechnungslegung gegenüber den Kunden und zur Vermeidung von Wettbewerbsnachteilen der Klägerin gegenüber anderen Anbietern von Strom wird von den Parteien über Wunsch der Klägerin seit einigen Jahren in Anlehnung an die vom Bundesministerium für Finanzen erlassenen Umsatzsteuerrichtlinien 2000 das sogenannte „Vorleistungsmodell“ praktiziert. Dabei übermittelt die Beklagte nicht den Kunden, mit denen sie in einem Vertragsverhältnis steht, sondern der Klägerin, Rechnungen über das den Kunden zu verrechnende Netznutzungsentgelt. Dieses wird dann von der Klägerin vorab an die Beklagte entrichtet, bevor es in der Folge von der Klägerin von den Kunden eingehoben wird. Zwischen den Parteien ist nun strittig, ob die Klägerin oder die Beklagte das Risiko allfälliger Zahlungsausfälle bei den Kunden hinsichtlich des Netznutzungsentgelts zu tragen habe. Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien war zu dieser Frage nie getroffen worden. Das Berufungsgericht ging dem Standpunkt der Klägerin folgend davon aus, dass zwischen den Parteien ein konkludentes Auftragsverhältnis zustandegekommen sei, das die Beklagte als Auftraggeber verpflichte, der Klägerin als Auftragnehmer den Aufwand infolge allfälliger Zahlungsausfälle der Kunden zu ersetzen.
Die Revisionswerberin bestreitet das Vorliegen eines Auftragsverhältnisses. Nachdem sie in erster Instanz behauptete, lediglich einem „Wunsch“ der Klägerin bezüglich der Art der Rechnungslegung gefolgt zu sein, also möglicherweise meinte, nur gefälligkeitshalber tätig geworden zu sein, stellt sie zwar in der Revision das Vorliegen einer Vertragsbeziehung zur Klägerin nicht in Frage, will dieses aber nicht als Auftragsverhältnis qualifiziert wissen. Richtig räumt aber auch sie ein, dass es für die zivilrechtliche Qualifikation einer konkreten Vereinbarung auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls ankommt (S 12 der Revision). Aus dieser Einzelfallbezogenheit folgert der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Auslegung einzelner Vertragsbestimmungen, Willensäußerungen und sonstiger Verhaltensweisen in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründet (RIS Justiz RS0042936 ua).
Eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts bezüglich der Vertragsbeziehung der Parteien liegt nicht vor. Soweit die Revisionswerberin argumentiert, dass das Berufungsgericht bei der Annahme eines Auftragsverhältnisses die drei in den Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 1536 behandelten Modelle Beauftragungsmodell, Vorleistungsmodell und Verwahrungsmodell vermenge und nur beim Beauftragungsmodell von einem zugrundeliegenden Auftragsverhältnis der Beteiligten gesprochen werden könne, ist ihr nicht zu folgen. Die von der Revisionswerberin genannten Modellbezeichnungen sind nicht in den Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 1536 selbst enthalten, sondern stammen aus einem Informationsschreiben der Energie Control GmbH aus dem Jahr 2004 (Beil ./B). Im Übrigen hielten aber sowohl das Bundesministerium für Finanzen als auch die Energie Control GmbH fest, dass in den Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 1536 in Verfolgung umsatzsteuerlicher Zwecke verschiedene Arten der Rechnungslegung im Verhältnis zwischen Netzbetreiber, Stromlieferant und Endkunde beschrieben werden. Dies habe aber so die Umsatzsteuerrichtlinien 2000 Rz 1536 nichts mit der zivilrechtlichen Qualifikation der zugrundeliegenden Beziehungen der Beteiligten zu tun; diese solle auch nicht geändert werden. Die Annahme der Revisionswerberin, es könne nur beim umsatzsteuerrechtlichen „Beauftragungsmodell“ ein zivilrechtliches Auftragsverhältnis zugrunde liegen ist zu eng. Auch beim „Vorleistungsmodell“ ist in den Umsatzsteuerrichtlinien davon die Rede, dass von den Beteiligten eine vertragliche Vereinbarung über die Anwendung der Vereinfachungsmöglichkeit in Form einer bestimmten Rechnungslegung getroffen werde. Weshalb den Parteien dafür nicht ein Auftrags oder auftragsähnliches Verhältnis offen stehen soll, ist nicht erkennbar.
Der Einwand der Revisionswerberin, dass mit dem vom Berufungsgericht angenommenen Auftrag keine Interessen der Beklagten verfolgt worden seien, übergeht, dass die Beklagte durchaus davon profitieren konnte, dass die Klägerin vorauszahlte und die von Kunden unbeglichenen Netzleistungsentgelte der Beklagten betrieb. Allfällige Kommunikationsdefizite zwischen den Parteien bei der Abwicklung von Außenständen ändern nichts an dem von den Parteien gehandhabten Vorleistungsmodell und der zivilrechtlichen Qualifikation der zugrundeliegenden Vereinbarung der Parteien. Alle drei Modelle wollen umsatzsteuerliche Aspekte regeln, im Übrigen aber an den zivilrechtlichen Grundlagen nichts ändern.
Im Zuge eines Zwischenstreits im vorliegenden Verfahren wurde vom Obersten Gerichtshof die Zulässigkeit des Rechtswegs für die gegenständliche Klageführung bejaht und die Verwerfung der diesbezüglichen Einrede der Beklagten bestätigt (9 ObA 58/09h). Ausgehend vom Vorbringen wurde bereits damals ein eigenes durch Vereinbarung begründetes Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen bejaht. Das war auch Ergebnis der Beurteilung der Energie Control Kommission (bzw Energie Control Austria) in anderen Verfahren. Entgegenstehende Rückschlüsse auf die konkrete Ausgestaltung der zivilrechtlichen Vereinbarung der Parteien sind aus anderen Verfahren bezüglich anderer Parteien nicht möglich und nicht ersichtlich.
Die gegenständlichen Zahlungsausfälle betreffen Netznutzungsentgelte, die grundsätzlich Kunden der Beklagten dieser schulden. Dass die Entgelte von der Klägerin vorgeleistet wurden, hat seine Ursache in der einvernehmlichen Praktizierung des Vorleistungsmodells. Der von der Beklagten in der Revision vertretene Ansatz, niemand hätte sie zwingen können, das Insolvenzrisiko „zu übernehmen“ (S 16), eine „Verschiebung“ des Insolvenz- und Ausfallsrisikos lasse sich privatrechtlich nicht begründen (S 27) bzw gebe es keinen Grund für eine „nachträgliche Risikoverlagerung“ (S 28), übergeht, dass nicht die Klägerin und das Berufungsgericht auf eine nachträgliche Verschiebung des Risikos abzielen, sondern die Beklagte. Dass die Streitteile ein Vertragsverhältnis zur Einhebung der von den Kunden der Beklagten dieser geschuldeten Netznutzungsentgelte durch die Klägerin begründeten ist eindeutig. Eine konkrete Vereinbarung über eine Risikoverlagerung von der Klägerin auf die Beklagte konnte diese nicht nachweisen.
Ausgehend davon ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier von einem Auftragsverhältnis und nicht von einer Zession der Forderung, einer Vertragsübernahme oder einer Einlösung auszugehen sei, jedenfalls vertretbar. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO (vgl 1 Ob 182/10m; RIS Justiz RS0123222 [T8, T9, T10] ua). Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RIS Justiz RS0035979 ua).