JudikaturOGH

12Ns76/12s – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2012 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Oliver P***** und weitere Angeklagte wegen des Vergehens des Landfriedensbruchs nach § 274 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 143 Hv 92/10p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Anzeige der möglichen Ausgeschlossenheit des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll ist von der Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen mehrerer Angeklagter im Verfahren AZ 143 Hv 92/10p des Landesgerichts für Strafsachen Wien sowie über damit verbundene Beschwerden nicht ausgeschlossen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat zu AZ 12 Os 137/12g, 12 Os 138/12d, 12 Os 139/12a und 12 Os 140/12y über Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen mehrerer Angeklagter gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 13. Jänner 2012, GZ 143 Hv 92/10p 718, 19. Jänner 2012, GZ 143 Hv 92/10p 732, 24. Jänner 2012, GZ 143 Hv 92/10p 741 und vom 9. März 2012, GZ 143 Hv 92/10p 780, sowie weiters über mit den Urteilen in Zusammenhang stehende Beschwerden zu entscheiden. Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll ist Vorsitzender des zuständigen 12. Senats.

Dieser zeigte seine allfällige Ausgeschlossenheit an, weil im Ermittlungsverfahren ein Senat des Oberlandesgerichts Wien, dessen Mitglied seine frühere Ehefrau, Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Christa Edwards war, über mehrere Beschwerden der (damals) Beschuldigten zu entscheiden hatte. Diesem Beschluss des Oberlandesgerichts lag inhaltlich (bloß) zu Grunde, dass mehrere Beschuldigte durch ihre Verteidiger die Herstellung und Ausfolgung von Kopien sichergestellter Videoaufzeichnungen gegen Ersatz der Kosten begehrt hatten. Dieser Antrag war mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24. September 2010 abgewiesen worden. Der dagegen erhobenen Beschwerde der Antragsteller hatte das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 7. April 2011 nicht Folge gegeben. Gegen dessen Entscheidung war beim Obersten Gerichtshof zu 12 Os 57/11s ein Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO anhängig.

Weil anders als im vorliegenden Fall die Überprüfung einer Entscheidung begehrt worden war, an der eine im Verhältnis des § 72 StGB stehende Person mitgewirkt hatte, wurde zu 12 Ns 55/11a ausgesprochen, dass Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll von der Entscheidung über den Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO in Betreff der Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, AZ 21 Bs 407/10x, ausgeschlossen war.

Die Beurteilung der Frage, ob Richter ausgeschlossen sind, erfordert nicht nur mit Blick auf das Spannungsverhältnis zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B VG) und zum Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B VG), sondern auch und vor allem unter dem Aspekt des Zugangs zum Recht eine ausgewogene Auslegung dieser Norm unter Berücksichtigung von Organisation und Funktion des Gerichts. Die Bestimmungen über die Ausgeschlossenheit und die Befangenheit stellen auf äußere Umstände ab, die zum einen durch ausdrückliche Aufzählung (§ 43 Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 2 bis 4, § 47 Abs 1 Z 1 und Z 2), zum anderen mittels Generalklausel (§ 43 Abs 1 Z 3, § 47 Abs 1 Z 3) determiniert werden. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber die Ausgeschlossenheit abschließend regeln wollte; die Bestimmungen der §§ 43 ff StPO sind, weil dieser Wille des Gesetzgebers eine Gesetzeslücke jedoch nicht ausschließt, grundsätzlich analogiefähig. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der genannten Bestimmungen und der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist aber hiebei ein strenger Maßstab anzulegen (zum Ganzen Lässig , WK StPO Vorbem zu §§ 43-47).

Eine durch Analogie zu schließende Lücke ist bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht auszumachen.

Weil kein Fall des § 43 Abs 3 StPO vorliegt und bei den nunmehr heranstehenden Entscheidungen auch unter dem Aspekt des § 43 Abs 1 Z 3 StPO keine Fragen zu beantworten sind, die jenen ähneln, mit der eine Angehörige des Richters in der selben Sache bereits befasst war ( Lässig , WK StPO § 43 Rz 31a), ist Senatspräsident des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll von der Entscheidung über die eingangs bezeichneten Rechtsmittel nicht ausgeschlossen.

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