JudikaturOGH

12Os135/12p – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Daniel R***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Jugendschöffengericht vom 5. Juni 2012, GZ 41 Hv 23/12g 27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Daniel R***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB idF BGBl 1989/242 (I./), zweier Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II./) sowie des Vergehens der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 (III./) StGB schuldig erkannt.

Danach hat er zu nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkten im Sommer 1999 in S*****

I./ Pascal W***** mit Gewalt, indem er dessen Kopf mit der Hand zu seinem erigierten Penis drückte, zur Vornahme einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich eines Oralverkehrs genötigt;

II./ mit dem am 21. Jänner 1989 geborenen, somit unmündigen Pascal W***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar

1./ durch die unter I./ angeführte Tathandlung,

2./ dadurch, dass er dessen Penis in den Mund nahm;

III./ eine Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er vor Pascal W***** seinen entblößten und erigierten Penis in ein Erdloch gesteckt und Kopulationsbewegungen durchgeführt hat.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde verfehlt ihr Ziel.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider verfiel der Antrag des Rechtsmittelwerbers auf Durchführung eines Ortsaugenscheins zum Beweis dafür, dass „die Örtlichkeiten völlig falsch beschrieben wurden, teilweise öffentlich zugänglich und öffentlich gut einsehbar sind und daher Handlungen, wie sie der Zeuge Pascal W***** beschreibt, jedenfalls in dieser Form praktisch ausgeschlossen sind und diese Beschreibung der Örtlichkeiten gemäß des Zeugen Pascal W***** nicht mit tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen“ (ON 26 S 25 f), zu Recht der Abweisung. Der Antrag legte nämlich nicht dar, inwiefern seit Sommer 1999 sich die Örtlichkeiten veränderten und lässt schon insofern nicht erkennen, aus welchem Grund die beantragte Beweisaufnahme das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erwarten lasse und lief somit auf einen im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus (§ 55 Abs 1 StPO; RIS Justiz RS0118444; Ratz , WK StPO § 281 Rz 330). Das in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Antragsfundierung ergänzte Vorbringen ist prozessual verspätet und somit unbeachtlich (RIS Justiz RS0099618, RS0099117).

Weiters bezieht sich die Verfahrensrüge auf den vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines psychiatrischen oder psychologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass aufgrund einer „vermutlich aus der schweren Drogenabhängigkeit bzw damit jedenfalls zusammenhängenden Persönlichkeitsstörung der Zeuge Pascal W***** diesen nicht der Wirklichkeit entsprechenden Sachverhalt schildert“ (ON 26 S 26). Auch durch die Abweisung dieses Beweisantrags wurden Verteidigungsrechte nicht verletzt, weil nicht dargelegt wurde, warum anzunehmen sei, dass sich der Zeuge zur Befundaufnahme bereit finden werde (RIS Justiz RS0118956, RS0108614).

Der Antrag des Angeklagten auf Vernehmung der Zeugin Melanie R***** zum Beweis dafür, dass „die vom Zeugen W***** getätigten Aussagen, der Angeklagte habe seine Schwester sexuell missbraucht und vergewaltigt, nicht der Wahrheit entsprechen und unrichtig sind (ON 26 S 26)“, zielt auf eine Erkundungsbeweisführung ab. Zwar ist eine Beweisführung über die Beweiskraft von Beweisen grundsätzlich zulässig. Die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen ist eine erhebliche Tatsache, die durch Wahrnehmungen von Personen in Frage gestellt werden kann. In diesem Sinn kann auch über den Umstand, dass ein Zeuge bereits wegen Verleumdung oder falscher Beweisaussage zur Verantwortung gezogen wurde, Beweis aufzunehmen sein; Voraussetzung sind Anhaltspunkte für eine habituelle Falschbezichtigungstendenz des Zeugen oder ein Zusammenhang früherer falscher Angaben mit dem Verfahrensgegenstand ( Fabrizy , StPO 11 § 55 Rz 4). Derartiges wurde im gegenständlichen Beweisantrag nicht dargelegt, weshalb er ohne Schmälerung von Verteidigungsrechten abgewiesen wurde. Im Übrigen erfolgte die Einstellung des Verfahrens gegen Daniel R***** wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung seiner Schwester durch die Staatsanwaltschaft Salzburg, weil „davon ausgegangen wurde, dass die Schwester“ „anscheinend dem Pascal W***** diesbezüglich etwas falsch transportiert hat, was er dann weitergegeben hat“ (US 13).

Die Verfahrensrüge bezieht sich darüber hinaus auf die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass „die Narbe, welche der Angeklagte auf Grund eines Leistenbruches seit dem sechsten Lebensjahr im Lenden /Beckenbereich hat, ein sehr auffälliges und massives Merkmal darstellt, welches der Zeuge Pascal W*****, vorausgesetzt die Richtigkeit seiner Schilderungen, jedenfalls hätte bemerken und sehen müssen, was er aber tatsächlich nicht getan hat und auch über ausdrückliches Befragen nicht als besonderes Merkmal erwähnt hat“ (ON 26 S 26). Die Beurteilung der Erkennbarkeit der gegenständlichen Narbe erfordert, zumal sie aufgrund eines in der Hauptverhandlung vorgezeigten Lichtbildes dokumentiert wurde (US 13), kein besonderes medizinisches Fachwissen (§ 126 Abs 1 erster Satz StPO; Ratz , WK StPO § 281 Rz 346), weshalb durch die Abweisung des Beweisantrags Verteidigungsrechte nicht verletzt wurden.

Indem die Mängelrüge ausführt, das Erstgericht hätte für die Glaubwürdigkeit des Zeugen Pascal W***** eine Scheinbegründung (Z 5 vierter Fall) angeführt, macht sie keinen formalen Begründungsmangel geltend, sondern verkennt, dass die Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks als kritisch psychologischer Vorgang der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS Justiz RS0106588).

Mit dem Umstand, dass der Zeuge Pascal W***** die Narbe des Angeklagten im Lenden /Beckenbereich des Angeklagten nicht erwähnte, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt (US 8), sodass auch von Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) nicht gesprochen werden kann.

Indem die Mängelrüge ausführt, das Schöffengericht hätte für die Konstatierung zur Tatzeit im Sommer 1999, also nach Vollendung des 14. Lebensjahres durch den Angeklagten, keine oder nur offenbar unzureichende Gründe (Z 5 vierter Fall) angegeben, vernachlässigt die Urteilsbegründung, wonach der Zeuge Pascal W***** angab, die Vorfälle hätten stattgefunden, als er selbst zehn oder elf Jahre alt gewesen sei (US 6).

Z 5a will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780). Indem der Nichtigkeitswerber ausführt, die Tatrichter hätten die Aussagen der Zeugen Daniel W***** und Anita W*****, wonach Pascal W***** „in seiner eigenen Welt lebe“ und „irgendwelche Sachen erfinde“, nicht ausreichend berücksichtigt, gelingt es jedenfalls nicht, solche qualifizierten Bedenken zu wecken.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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