11Os128/12a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 13. November 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Meier als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Karl L***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 26. Juni 2012, GZ 15 Hv 49/12i 37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl L***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A I. a) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (A I. d) sowie der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (A I. b), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (A I. c), der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 2 StGB (A II. a), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (A II. b), der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B I.) und der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 5 StGB (B II.) schuldig erkannt.
Danach hat er soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung
A) in G***** und D*****
I. von Sommer 2000 bis Anfang Januar 2010 Sabine S*****
a) in zahlreichen Angriffen mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs und dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, indem er ihr in mehrfachen Angriffen die Pyjama Hose herunterriss, den Mund zuhielt, dabei äußerte „Sei still, schrei nicht so, bist deppert, ich bring dich um, gib a Ruh, ich bin eh gleich fertig“, sowie ihre Hände festhielt, sie teils an den Haaren über die Treppe ins Schlafzimmer zerrte, ins Bett warf, würgte, ins Gesicht schlug und an ihr jeweils den vaginalen Geschlechtsverkehr und in zwei Angriffen den Analverkehr durchführte;
b) gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ein Fleischmesser nahm, es an ihre Brust drückte und sie fragte, ob sie wissen wolle, wie man jemanden umbringe;
c) durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung, nämlich zur künftigen Abstandnahme von kritischen Bemerkungen über seinen Bruder genötigt, indem er eine Gaspistole an ihre Schläfe ansetzte und zu ihr sagte, dass sie über seinen Bruder Erich nie mehr „maulen“ werde;
d) in zahlreichen Angriffen durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich zum Schweigen und insbesondere zur Abstandnahme von der Anzeigenerstattung über die zu Punkt A I. a bis A I. c und A II. näher bezeichneten strafbaren Handlungen genötigt, indem er ihr drohte, sie und ihre Tochter Janine S***** widrigenfalls umzubringen;
II. von 1. Juni 2009 bis 9. Januar 2010
...
b) Melanie S***** in zahlreichen Angriffen mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er ihr gegenüber äußerte, dass er die Köpfe von ihr und Janine S***** zwischen Tür und Türstock stecken und die Tür solange zuschlagen werde, bis sie sich merkten, wie man eine Tür richtig zumache.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a und 9 lit a StPO. Sie begehrt Aufhebung des gesamten Urteils, ohne jedoch zu den Fakten A II. a und zur Faktengruppe B irgendein Vorbringen zu erstatten, weshalb in diesem Umfang auf das Rechtsmittel keine Rücksicht zu nehmen war (§ 285 Abs 1 StPO).
Der Nichtigkeitswerber stellte am Ende der Hauptverhandlung zwei Beweisanträge:
Vernehmung als Zeugen „von Mag. N. V***** zum Beweis dafür, dass bei einem Tätigwerden des Zeugen als Besuchsbegleiter einmal die Zeugin Sabine S***** verbal gegen den Angeklagten vorgegangen sein soll“ und „von N. H***** zum Beweis dafür, dass die Vorhalte bzw Ausführungen in der Anklageschrift zur Position A nicht der Wahrheit entsprechen, da diese bei einem Vorfall bzw Gespräch anwesend war, wo die Lebensgefährtin Sabine S***** geäußert hat, sie möchte den Angeklagten wieder zurückhaben. Dies war zeitlich nach den inkriminierenden Vorfällen laut Anklageschrift“ (ON 36 S 11 und 15).
Die Abweisung dieser Begehren (ON 36 S 13 und 15) konnte den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effiziente Verteidigung (Art 6 Abs 3 lit d MRK) nicht verletzen: Beiden fehlte nämlich das Abzielen auf entscheidende Tatsachen oder erhebliche Tatumstände, also auf solche, die nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung nicht gänzlich ungeeignet sind, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, das heißt für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellungen zu beeinflussen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 340 ff; 11 Os 74/07b uva).
Zielt ein Beweisthema wie hier aus dem Zusammenhang ersichtlich letztlich in Richtung einer Überprüfung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen, betrifft der begehrte Verfahrensschritt nur dann einen erheblichen Umstand im dargestellten Sinn, wenn sich aus dem Antragsvorbringen ergibt, dass dieser Zeuge etwa bereits wegen Verleumdung verurteilt wurde, zum Verfahrensgegenstand falsche Angaben gemacht hat oder sein bisheriges Verhalten eine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen lässt (RIS Justiz RS0120109; Fabrizy , StPO 11 § 55 Rz 4). Darüber hinaus fehlte den Anträgen eine Begründung der Tauglichkeit der gewünschten Beweisaufnahmen gerade für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Sabine S*****. Sie strebten somit lediglich im Stadium der Hauptverhandlung unbeachtlich eine bloße Erkundung an (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 330).
Das in der Nichtigkeitsbeschwerde Nachgetragene als Versuch einer Antragsfundierung ist prozessual verspätet und daher unzulässig (RIS Justiz RS0099117 und RS0099618; Ratz , WK StPO § 281 Rz 325).
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Mit dem Vorbringen, die Töchter der Sabine S***** hätten nie einen sexuellen Übergriff gegen die Genannte gesehen, werden erhebliche Bedenken im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes beim Obersten Gerichtshof nicht geweckt.
Dem Beschwerdevorwurf (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) entgegen hat sich das Erstgericht sowohl mit der Möglichkeit eines Racheakts des Hauptopfers als auch mit den nach den Vergewaltigungen stattgehabten freiwilligen geschlechtlichen Kontakten auseinandergesetzt (US 11 f).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zu den gefährlichen Drohungen (A I. b, A II. b) behauptet ein Handeln des Angeklagten aus Zorn und eine deshalb fehlende Absicht auf Versetzung in Furcht und Unruhe. Die entgegenstehenden tatrichterlichen Feststellungen US 6 und 9 ignoriert der Beschwerdeführer dabei und entzieht sich mit seinen eigenständig beweiswürdigenden Überlegungen einer meritorischen Erwiderung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Das Berufungsgericht ist an die mangels Vorliegens der Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle vom Obersten Gerichtshof nicht nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO aufzugreifende Fehlsubsumtion sämtlicher Vergewaltigungen unter § 201 Abs 1 StGB idgF (wiewohl aufgrund der Tatzeiten teilweise die Fassungen nach BGBl I 1989/242 und I 2001/130 anzuwenden gewesen wären) nicht gebunden ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 27a; RIS Justiz RS0118870).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.