JudikaturOGH

7Ob48/12b – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Oktober 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch LANSKY, GANZGER + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. O***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, 3. S***** GmbH, und 4. S***** GmbH, beide: *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 5. T***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Rechtsanwälte in Wien, wegen 8.134.344,54 EUR sA, Stufenklage nach Art XLII EGZPO und Feststellung, infolge der Rekurse der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2011, GZ 1 R 272/11v 65, womit das Teilurteil des Handelsgerichts Wien vom 19. September 2011, GZ 19 Cg 21/10z 57, teilweise aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist Art 101 AEUV (Art 81 EG, Art 85 EGV) dahin auszulegen, dass jedermann von Kartellanten den Ersatz auch des Schadens verlangen kann, der ihm durch einen Kartellaußenseiter zugefügt wurde, der im Windschatten der erhöhten Marktpreise seine eigenen Preise für seine Produkte mehr anhebt als er dies ohne das Kartell getan hätte (Umbrella Pricing), sodass der vom Gerichtshof der Europäischen Union postulierte Effektivitätsgrundsatz einen Zuspruch nach nationalem Recht verlangt?

II. Das Verfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Sachverhalt:

Am 21. 2. 2007 verhängte die Europäische Kommission gegen die Unternehmensgruppen der Erst bis Viertbeklagten eine Geldbuße von insgesamt 992 Mio EUR wegen Teilnahme an Kartellen beim Einbau und bei der Wartung von Aufzügen und Fahrtreppen in Belgien, Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden. Die Abstimmungen fanden jeweils noch im 2003 und im Jänner 2004 statt. Die Koordination wurde erst Ende 2005 endgültig eingestellt, vorher abgesprochene Projekte wurden noch durchgeführt.

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht am 8. Oktober 2008 zu 16 Ok 5/08 den Beschluss des Kartellgerichts vom 14. 12. 2007, 25 Kt 12/07, bestätigt, mit dem über die Erst , Zweit und Drittbeklagte, die H***** GesmbH und die D***** AG Geldbußen verhängt wurden. Die Fünftbeklagte war als Kronzeugin im Kartellverfahren nicht Antragsgegnerin.

Dem Kartellverfahren lag im Wesentlichen zu Grunde, dass die Parteien seit zumindest den 80er Jahren ein zwischen ihnen immer wieder bestätigtes Übereinkommen im großen Umfang, wenn auch nicht lückenlos, durchführten, wonach der Markt die Aufzugs und Fahrtreppenindustrie betreffend nach allseits anerkannten Grundsätzen (guidelines) aufgeteilt wurde. Im Zuge dessen sind sensible Unternehmensdaten regelmäßig ausgetauscht worden. Das Verhalten ist darauf gerichtet gewesen, dem jeweils bevorzugten Unternehmen einen höheren Preis zu sichern als unter Wettbewerbsbedingungen erreichbar gewesen wäre. Dadurch sind der Wettbewerb und die unter Wettbewerbsbedingungen eintretende Entwicklung der Preise verfälscht worden. Die Kartellanten versuchten hinsichtlich erheblich mehr als der Hälfte des Marktvolumens in ganz Österreich für Neuanlagen eine Koordinierung zu erreichen. Hinsichtlich mehr als der Hälfte der angesprochenen Projekte erfolgte auch eine einvernehmliche Zuteilung an einen von ihnen, sodass zumindest ein Drittel des Marktvolumens konkret abgesprochen wurde. Ungefähr zwei Drittel der abgestimmten Projekte kamen wie geplant zustande. Bei einem Drittel der Fälle kamen entweder nicht am Kartell beteiligte Unternehmen (Kartellaußenseiter) zum Zug oder einer der Kartellanten, der sich nicht an die vereinbarte Zuteilung hielt und billiger anbot. Auch auf bilateraler Ebene wurden Projekte einvernehmlich zugeteilt. Das Verhalten der Kartellanten führte dazu, dass sich die Marktpreise auch in den letzten Jahren vor 2004 kaum änderten und ihre Marktanteile annähernd gleich blieben.

2. Anträge und Vorbringen der Parteien:

Die Klägerin begehrte, soweit für das Vorabentscheidungsverfahren wesentlich, die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig zu erkennen, ihr auch den mit 1.839.239,74 EUR bezifferten Schaden zu ersetzen, den sie dadurch erlitten habe, dass sie von dritten, nicht am Kartell beteiligten Mitbewerbern deren Aufzüge und Fahrtreppen zu einem höheren Preis gekauft habe, als es der Marktlage ohne Kartell entsprochen hätte, weil diese Unternehmen im Windschatten des Kartells ihre Preise dem erhöhten Niveau angepasst hätten. Der Schaden sei durch das Kartell verursacht. Es sei Zweck des unionsrechtlichen Kartellverbots als Schutzgesetz, gerade auch diese Schäden zu verhindern.

Die Beklagten bestritten, dass der Schaden von ihnen verursacht worden sei. Er liege jedenfalls außerhalb des Rechtswidrigkeitszusammenhangs des Art 101 AEUV. Als mittelbarer Schaden sei er nicht zu vergüten. Nur die unmittelbaren Vertragspartner seien wegen kartellbedingt überhöhter Preise ersatzberechtigt.

3. Bisheriges Verfahren:

Das Erstgericht wies diesen Teil des Klagebegehrens (1.839.293,74 EUR) ab. Schäden seien nur gedeckt, soweit sie im Rechtswidrigkeitszusammenhang eines Schutzgesetzes lägen, gerade diese Schäden also vom Kartellverbot verhindert werden sollten. Mittelbare Schäden seien nicht zu vergüten. Der Schaden für den Ersatz begehrt wurde, sei lediglich infolge einer Seitenwirkung der schädigenden Handlung eingetreten, sodass die Kartellanten nicht zu haften hätten.

Das Gericht zweiter Instanz hob das erstinstanzliche Urteil insoweit auf. Dieser Teil des Klagebegehrens könne nicht bereits auf Grund des Vorbringens der Klägerin abgewiesen werden. Jedermann sei nach Art 101 AEUV berechtigt, Schadenersatz zu verlangen. Ein Schaden, der dadurch entstehe, dass ein Nichtteilnehmer am Kartell den durch das Kartell erhöhten Marktpreis zum Anlass nehme, selbst seine Preise zu erhöhen, sei objektiv vorhersehbar und auch vermeidbar. Die Adäquanz sei zu bejahen, weil der behauptete Schaden nicht nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eingetreten sei. Der Rechtswidrigkeitszusammenhang sei gegeben.

4. Gemeinschaftsrecht:

Nach Art 101 AEUV (vormals Art 81 EG, Art 85 EG Vertrag) sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, verboten.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zu dieser Bestimmung und ihren Vorgängerinnen bereits mehrfach Stellung genommen. Aus seinen Entscheidungen vom 20. 9. 2001, C 453/99 [ Courage Ltd gegen Crehan ], vom 13. 7. 2006, C 295/04 bis C 298/04 [ Manfredi gegen Lloyd Adriatico Assicurazioni SpA ], und vom 14. 6. 2011, C 360/09 [ Pfleiderer AG gegen Bundeskartellamt ] ergibt sich, dass diese Bestimmung in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugt und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lässt, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben. Jedermann kann den Ersatz des Schadens verlangen, der durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten verursacht worden ist. Notwendig ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schaden und wettbewerbswidrigem Verhalten. In Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung ist es Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, wobei der Äquivalenz und der Effektivitätsgrundsatz zu wahren seien. Ebenso ist auch die Bestimmung der Einzelheiten für die Ausübung dieses Rechts einschließlich derjenigen für die Anwendung des Begriffs „ursächlicher Zusammenhang“ Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, wobei wieder der Äquivalenz und der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sind. Die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte darf das nationale Recht daher nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.

5. Nationales Recht:

Nach österreichischem Recht haftet der Schädiger für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit er in abstracto zu rechnen hatte, nicht aber für einen atypischen Erfolg (RIS Justiz RS0022944). Die Adäquanz fehlt, wenn das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden nach allgemeiner Lebenserfahrung gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden war (RIS Justiz RS0098939). Durch das Dazwischentreten eines Dritten wird die Beurteilung des ursprünglichen Schadensereignisses als adäquat nur dann unterbrochen, wenn mit seiner Handlung und mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (RIS Justiz RS0022590). Der adäquate Kausalzusammenhang ist auch zu bejahen, wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu getreten ist und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge dieses Hinzutreten jedenfalls nicht außerhalb der menschlichen Erwartung liegt (RIS Justiz RS0022918).

Den Kartellanten kam es darauf an, die eigenen Preise hoch zu halten. Wie die durch die Kartellanten beeinflusste Marktlage auf einen Mitbewerber wirkt, welche wirtschaftlichen Schlüsse er daraus für sein eigenes Unternehmen und seine Produkte zieht und welche unternehmerischen, die Preisgestaltung betreffende Entscheidungen er dann trifft, hängt entscheidend von einer Vielzahl von Faktoren ab, die in keinem Zusammenhang mit dem Kartell stehen. Nicht zuletzt sind insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des konkreten Unternehmens, die jeweilige Unternehmensstrategie und die jeweilige Unternehmerpersönlichkeit der Verantwortlichen für die Preisgestaltung maßgebend. Die Kartellanten müssen daher nicht mit dem Umbrella Pricing eines Kartellaußenseiters rechnen. Nach österreichischem Recht ist der Kausalzusammenhang wegen des Dazwischentretens einer eigenständigen unternehmerischen Entscheidung des Kartellaußenseiters, die eine Vielzahl von Gründen haben kann und damit für die Kartellanten nicht absehbar ist, unterbrochen.

Zur Frage der Rechtswidrigkeit hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass nach der Lehre vom Schutzzweck der Norm nur dem unmittelbar Geschädigten ein Ersatzanspruch zusteht (RIS Justiz RS0022462), sofern nicht das Gesetz selbst Ausnahmen enthält (RIS Justiz RS0021473). Die Verursachung eines Vermögensschadens macht daher nur dann ersatzpflichtig, wenn sich die Rechtswidrigkeit der Schädigung aus der Verletzung vertraglicher Pflichten, aus der Verletzung absoluter Rechte oder aus der Übertretung von Schutzgesetzen ableiten lässt (RIS Justiz RS0022813). Soll das Zuwiderhandeln einen Schadenersatzanspruch auslösen, so muss es jene Interessen verletzen, deren Schutz die Rechtsnorm bezweckt (RIS Justiz RS0031143). Nicht ersetzbar (weil mittelbar) ist ein Schaden dann, wenn er nicht in der Richtung des Angriffs, sondern infolge einer Seitenwirkung in einer Interessenssphäre eintritt, die nicht durch das Verbot des Angriffs geschützt ist (RIS Justiz RS0022584). Es kommt also darauf an, ob die Norm, die der Schädiger verletzt hat, gerade den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt (RIS Justiz RS0022638).

Nach österreichischem Recht ist beim Umbrella Pricing auch der Rechtswidrigkeitszusammenhang zu verneinen. Die rechtswidrigen Handlungen der Kartellanten zielen auf eine Schädigung jener ab, die ihre Produkte zu den von ihnen künstlich hoch gehaltenen Preisen erwerben. Der Schaden durch Umbrella Pricing tritt nur infolge einer Seitenwirkung wegen der selbständigen, aus eigenen unternehmerischen Erwägungen des Kartellaußenseiters motivierten Entscheidung ein und ist als mittelbarer Schaden nicht zu ersetzen.

6. Begründung der Vorlage:

Die Frage, ob nach Unionsrecht im Fall des Umbrella Pricing Schadenersatz zu gewähren ist, wird in der Literatur sowohl in Österreich als auch in Deutschland kontroversiell beantwortet. Auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist die Vorlagefrage im vorliegenden Rechtsstreit von ausschlaggebender Bedeutung, weil zweifelhaft ist, ob der vom Gerichtshof der Europäischen Union postulierte Effektivitätsgrundsatz gewahrt wird, wenn ein Schadersatzanspruch verneint wird.

7. Der Oberste Gerichtshof, dessen Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, ist gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage der im Spruch formulierten Frage verpflichtet, weil die richtige Anwendung des Unionsrechts zweifelhaft ist.

Bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist das Verfahren über die Revision hinsichtlich dieses Teilanspruchs zu unterbrechen.

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