12Os104/12d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Oktober 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krausam als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ümit C***** und einen weiteren Angeklagten wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Ümit C***** und Fabio F***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 14. März 2012, GZ 36 Hv 2/12m 41, und über die Beschwerde des Ümit C***** gegen den unter einem gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Ümit C***** und Fabio F***** des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie am 28. Oktober 2011 in W***** mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit Gewalt gegen eine Person dem Erik M***** fremde bewegliche Sachen, und zwar 200 Euro Bargeld und ein halbes Gramm Cannabiskraut weggenommen, indem sie dem Genannten mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzten und Ümit C***** ihn am Hals packte und gegen eine Wand drückte.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diesen Schuldspruch gerichteten und auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Ümit C***** und Fabio F***** verfehlen ihr Ziel.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Ümit C*****:
Soweit die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) ausführt, die Tatrichter hätten sich bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen Erik M***** nicht mit den Widersprüchen zwischen dessen Aussage bei der Polizei im Ermittlungsverfahren und jener in der Hauptverhandlung auseinandergesetzt, vernachlässigt sie die Urteilsbegründung, wonach sich bei den Depositionen des Zeugen zwar „Differenzen“ gezeigt haben, der „grundlegende Sachverhalt“ jedoch übereinstimmend wiedergegeben wurde (US 4 f). Es ist kein Begründungsmangel, wenn das Gericht nicht den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt aller Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Darstellung sprechen, und sich nicht mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzt. Es genügt vielmehr, wenn der Gerichtshof im Urteil in gedrängter Form die entscheidenden Tatsachen bezeichnet und logisch einwandfrei und zureichend begründet, warum er von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt ist, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen (RIS Justiz RS0098377).
Infolge Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) ist eine Mängelrüge nur dann berechtigt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 467). Ohne Bedeutung nach Z 5 fünfter Fall ist es, dass der Inhalt eines Beweismittels im Urteil nur pauschal dargestellt wird ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 468). Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurde die Aussage des Zeugen M***** in den Urteilsgründen (zusammengefasst) aktengetreu und richtig wiedergegeben (US 5 f). Indem die Nichtigkeitsbeschwerde ausführt, das Erstgericht hätte das Tatgeschehen in seinen wesentlichen Teilen unvollständig referiert, weil es bei dem tätlichen Streit nach Aussage des Erik M***** nicht um Überlassung von Cannabiskraut gegangen wäre, sondern „um eine verbale Auseinandersetzung deren Grund der Zeuge M***** nicht mehr nennen konnte“, ignoriert sie dessen Depositionen in der Hauptverhandlung (ON 40 S 20 f, S 24). Eine Mängelrüge bleibt erfolglos, wenn sie unter Hervorhebung isolierter Details von Verfahrensergebnissen (hier: einzelner aus dem Zusammenhang gelöster Passagen der Zeugenaussage) selbst nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung Beweiswerterwägungen anstellt und damit in Wahrheit unter dem Prätext von Unvollständigkeit und Aktenwidrigkeit bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung bekämpft (RIS Justiz RS0098471).
Soweit der Rechtsmittelwerber die Urteilsbegründung kritisiert, wonach das vom Zeugen M***** behauptete Durchwühlen der Wohnung durch die Angeklagten durch Fotos der Spurensicherung von verschobenen Möbeln und umgeworfenen Musikboxen gestützt werde (US 4), und ausführt, es handle sich dabei um eine unstatthafte Vermutung zu Lasten des Angeklagten, weil verschobene Möbel „mehrere Ursachen“ haben könnten, gelingt es nicht einen Begründungsmangel (Z 5 vierter Fall) aufzuzeigen. Vielmehr wird neuerlich die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft. Denn nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse berechtigen das Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu Tatsachenfeststellungen (RIS Justiz RS0098362).
Mit dem Hinweis darauf, dass der genannte Zeuge bei der Polizei angegeben hatte, einer der Angeklagten habe ihn in eine Ecke gestoßen, wobei die Boxen der Stereoanlage umgefallen wären, gelingt es nach dem bisher Gesagten nicht, Unvollständigkeit der Urteilsbegründung (Z 5 zweiter Fall) aufzuzeigen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten F*****:
Auch die Mängelrüge des Zweitangeklagten vermag einen formellen Begründungsmangel in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes (Z 5) nicht aufzuzeigen. Zum Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall), weil das Schöffengericht „wesentliche Tatsachen der Aussagen“ des Erik M***** übergangen hätte, kann auf die Ausführungen zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten verwiesen werden.
Ob die Angeklagten und der Zeuge M***** vor der Tat gemeinsam eine Wasserpfeife rauchten, betrifft keine entscheidende Tatsache (RIS Justiz RS0106268).
Die Nichtigkeitsbeschwerden beider Angeklagter waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.