JudikaturOGH

10Ob32/12x – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. September 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des 1.) S***** A*****, geboren am *****, 2.) der mj R***** A*****, geboren am ***** und 3.) der mj M***** A*****, geboren am *****, die mj R***** und die mj M***** vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, Fachgebiet Jugendwohlfahrt, 2230 Gänserndorf, Schönkirchner Straße 1), dieses vertreten durch urbanek/lind/schmied/reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 11. Oktober 2011, AZ 20 R 77/11f, 20 R 78/11b und 20 R 79/11z, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 21. März 2011, GZ 1 Pu 205/10b-53, 54 und 55, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss im Umfang der Bestätigung der erstinstanzlichen Entscheidung über die Einstellung der den Minderjährigen R***** und der M***** gewährten Unterhaltsvorschüsse aufgehoben und der Rekurs der beiden Minderjährigen als verspätet zurückgewiesen.

II. In Ansehung des Revisionrekurses des S***** A***** wird der Akt dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

Begründung:

Mit Beschlüssen des Erstgerichts jeweils vom 9. 8. 2010, GZ 2 Pu 186/09i 32, 33 und 34, wurden den im Inland wohnhaften und in der Pflege und Erziehung der Mutter verbliebenen minderjährigen S*****, R***** und M***** Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von jeweils 165 EUR (für S***** und R*****) und in Höhe von 132 EUR (für M*****) gewährt.

Mit Beschlüssen des Erstgerichts jeweils vom 21. 3. 2011, GZ 1 Pu 205/10b-53, 54 und 55, wurden die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG mit Ablauf des März 2011 eingestellt.

Gegen diese Beschlüsse erhob die Mutter namens aller drei Minderjähriger Rekurs, dem das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshautpmannschaft Gänserndorf Fachgebiet Jugendwohlfahrt [im Folgenden nur: „Jugendwohlfahrtsträger“]), beitrat.

Das Rekursgericht gab diesem Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der am 23. 11. 2011 eingebrachte Revisionsrekurs der rechtsanwaltlich vertretenen Mutter, den diese nicht nur für die mj R***** und die mj M***** erhebt, sondern auch für ihren zu diesem Zeitpunkt bereits volljährigen Sohn S*****. Auch diesem Rechtsmittel trat der Jugendwohlfahrtsträger bei, dies aber nur hinsichtlich der mj R***** und der mj M*****.

I) Aus Anlass dieses Revisionrekurses ist der Beschluss des Rekursgerichts hinsichtlich der Minderjährigen R***** und M***** als nichtig aufzuheben und deren Rekurs zurückzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 9 Abs 2 UVG wird der Jugendwohlfahrtsträger mit der Zustellung des Beschlusses, mit dem Vorschüsse gewährt werden, alleiniger gesetzlicher Vertreter des minderjährigen Kindes zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Aus § 9 Abs 2 UVG folgt, dass die obsorgeberechtigte Person in Bezug auf alle Unterhalts- und Unterhaltsvorschussangelegenheiten ihr Vertretungsrecht verliert und ihr auch kein Rekursrecht zukommt (RIS-Justiz RS0076463; Neumayr in Schwimann/G. Kodek , ABGB 4 , § 9 UVG Rz 11 mwN); dies auch nicht gegen einen Einstellungsbeschluss (3 Ob 551/92). Möglich bliebe nur ein Rechtsmittel desjenigen, der durch die angefochtene Entscheidung persönlich beschwert ist. Eine persönliche Beschwer des Zahlungsempfängers (hier der Mutter) für künftige Vorschüsse ist jedoch schon grundsätzlich zu verneinen (4 Ob 534/92).

2. Der Jugendwohlfahrtsträger ist aber berechtigt, eine andere Person etwa die bisherige Pflegeperson oder den bisher Obsorgeberechtigten mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Kindes zu beauftragen. Hat diese Person ohne Ermächtigung des Jugendwohlfahrtsträgers als Vertreter der Kinder ein Rechtsmittel erhoben, kann der Jugendwohlfahrtsträger die meritorische Behandlung des Rechtsmittels erreichen, indem er ausdrücklich dem Rechtsmittel „beitritt“. Voraussetzung einer wirksamen Rechtsmittelerhebung ist aber, dass die Erklärung des „Beitritts“ innerhalb der dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehenden Rechtsmittelfrist erfolgt (1 Ob 57/01s; RIS Justiz RS0115499).

3. Letztere Voraussetzung ist im vorliegenden Fall in Bezug auf die dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehende Rekursfrist nicht erfüllt:

3.1. Die erstinstanzlichen Beschlüsse wurden dem Rechtsvertreter der Mutter (als Zahlungsempfängerin) jeweils am 23. 3. 2011 zugestellt. An das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger wurde die Zustellung der erstinstanzlichen Beschlüsse am 21. 3. 2011 verfügt; diese Zustellverfügung wurde laut Aktenlage am 22. 3. 2011 abgefertigt. Der exakte Zeitpunkt der Zustellung der erstinstanzlichen Beschlüsse an den Jugendwohlfahrtsträger ist mangels eines Zustellnachweises nicht ersichtlich. Zu ON 56 erliegt im Akt jedoch eine dem Erstgericht zur Kenntnisnahme übermittelte Kopie eines e mails vom 31. 3. 2011, das ein Vertreter der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf Fachabteilung Jugendwohlfahrt (als Jugendwohlfahrtsträger) an Rechtsanwalt Dr. Lind unter Hinweis auf die beigeschlossenen Einstellungsbeschlüsse und dem Ersuchen um Prüfung übersendet hatte, ob dagegen ein Rechtsmittel erfolgversprechend wäre; gegebenenfalls werde Vollmacht zur Rekurserhebung erteilt (ON 56). Diesem e mail sind als attachment Ausfertigungen der vorgenannten Einstellungsbeschlüsse beigeschlossen, woraus sich ergibt, dass dem Jugendwohlfahrtsträger spätestens an diesem Tag somit dem 31. 3. 2011 die erstinstanzlichen Beschlüsse zugegangen sein mussten.

Die urbanek/lind/schmied/reisch Rechtsanwälte OG gab am 1. 4. 2011 dem Erstgericht nur die Vollmachtserteilung bekannt (ON 57).

Am 6. 4. 2011 erhob die (rechtsanwaltlich vertretene) Mutter namens aller drei Minderjähriger (auch namens des damals noch mj S*****) Rekurs.

Am 22. 4. 2011 teilte die urbanek/lind/schmied/reisch Rechtsanwälte OG mittels elektronischem Schriftsatz dem Erstgericht mit, in Vertretung des Landes Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger dem Rekurs der Mutter gegen die Einstellungsbeschlüsse „beizutreten“ (ON 60). Diese Mitteilung kann nicht anders verstanden werden, als dass der Jugendwohlfahrtsträger die (rechtsanwaltlich vertretene) Mutter mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen der Minderjährigen beauftragt hat und von der Einbringung einer eigenen Rekursschrift durch den von ihm beauftragten Rechtsanwalt absehen wollte.

4. Allerdings erfolgte die Betrauung der Mutter mit der Wahrnehmung der Interessen der Kinder außerhalb der dem Jugendwohlfahrtsträger zustehenden Rechtsmittelfrist:

4.1. Ausgehend vom 31. 3. 2011 als spätestem Zustelldatum endete die 14 tägige Rekursfrist des § 46 Abs 1 AußStrG für den Jugendwohlfahrtsträger bereits am 14. 4. 2011.

4.2. Das Rekursgericht hat nicht beachtet, dass die am 22. 4. 2011 erfolgte Bekanntgabe, dem Rekurs der Mutter beitreten zu wollen, wegen Ablaufs der hiefür dem Jugendwohlfahrtsträger offenstehenden Rechtsmittelfrist verspätet war. Infolge dieses Versehens traf es anstelle eines Zurückweisungsbeschlusses eine Sacherledigung. Damit hat das Rekursgericht gegen die Rechtskraft der erstinstanzlichen Einstellungsbeschlüsse verstoßen, die mit Ablauf des letzten Tages der 14 tägigen Rekursfrist am 14. 4. 2011 eingetreten war.

5. Zwar erlaubt der hier gemäß § 207h vierter Satz AußStrG idF des BudgetbegleitG BGBl I 2010/111 noch anwendbare § 46 Abs 3 AußStrG in Verfahren außer Streitsachen eine Bedachtnahme auf verspätete Rekurse, wenn die Abänderung oder Aufhebung des Beschlusses mit keinem Nachteil für eine andere Person verbunden ist. Eine meritorische Entscheidung über das verspätete Rechtsmittel wäre somit (doch) möglich, wenn sie weder die materiell-rechtliche noch die verfahrensrechtliche Stellung einer anderen Person nachteilig berührt (7 Ob 27/08h; 2 Ob 102/08a mwN; Klicka in Rechberger , AußStrG § 46 Rz 4). In Unterhaltsvorschussangelegenheiten wurde eine Bedachtnahme auf verspätete Rechtsmittel mangels Erfüllung dieser Voraussetzung jedoch abgelehnt (2 Ob 49/05b, 10 Ob 6/08t, 10 Ob 7/08i; Neumayr in Schwimann/G. Kodek , ABGB 4 § 15 UVG Rz 22).

6. Im Rechtsmittelsystem des AußStrG 2005 wird der Begriff „Nichtigkeit“ vermieden: der Eingriff in die Rechtskraft wird aber ausdrücklich als Revisionsrekursgrund normiert (§ 66 Abs 1 Z 1 iVm § 56 Abs 1 AußStrG). Gelangt das Rechtsmittelgericht aus Anlass eines zulässigen Rechtsmittels zu der Überzeugung, dass der angefochtene Beschluss oder das Verfahren an einem bisher unbeachtet gebliebenen Mangel ua nach § 56 Abs 1 AußStrG leidet, so ist dieser wahrzunehmen, auch wenn er von keiner der Parteien geltend gemacht wurde und er die Richtigkeit der Entscheidung nicht berührt (§ 55 Abs 3 AußStrG; Rechberger , AußStrG § 55 Rz 3). Die Voraussetzung des Vorliegens eines zulässigen Rechtsmittels ist hinsichtlich der Revisionsrekurse der mj R***** und der mj M***** erfüllt, sodass aus deren Anlass der Oberste Gerichtshof den Beschluss des Rekursgerichts insoweit aufzuheben hatte, als damit über die Rekurse der beiden Minderjährigen abgesprochen wurde.

zu II) Zum Revisionsrekurs, den die Mutter (vertreten durch RA Dr. Kirchmayer) im Namen ihres Sohnes S***** A***** erhoben hat:

1. S***** A***** ist im Laufe des Verfahrens am 2. 7. 2011 somit nach Erhebung des Rekurses, aber vor Ergehen der Rekursentscheidung volljährig geworden.

2. Mit Erreichung der Volljährigkeit ist die nach § 9 Abs 2 UVG bestehende Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers erloschen, ohne dass es dafür einer formellen Enthebung bedürfte (RIS-Justiz RS0123997). Daraus folgt, dass der Jugendwohlfahrtsträger S***** A***** seit dessen Volljährigkeit im vorliegenden Unterhaltsvorschussverfahren nicht mehr wirksam vertreten konnte. Ab dem Zeitpunkt der Erlangung seiner Volljährigkeit trat S***** A***** im anhängigen Verfahren selbst an die Stelle des gesetzlichen Vertreters und wäre ab diesem Zeitpunkt persönlich dem Verfahren beizuziehen gewesen. Im Hinblick auf die im Revisionsrekursverfahren nach dem UVG bestehende absolute Anwaltspflicht (§ 6 Abs 1 iVm § 65 Abs 3 Z 5 AußStrG) folgt daraus die Notwendigkeit der Vollmachtserteilung an den für ihn im Revisionsrekurs einschreitenden Rechtsanwalt Dr. Heribert Kirchmayer. Dieser Rechtsanwalt berief sich im Verfahren aber lediglich auf die ihm gemäß § 30 Abs 2 ZPO von der Mutter erteilte Prozess- und Geldvollmacht. Ob S***** A***** nach Erreichen seiner Volljährigkeit diesem Anwalt Vollmacht erteilt hat, ist aus der Aktenlage nicht erkennbar.

3. Einen etwaigen Mangel der Vollmacht hat das Gericht auch im Außerstreitverfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 6 Abs 3 AußStrG iVm § 37 Abs 1 ZPO). Fehlt bei einem Rechtsmittel ein ordnungsgemäßer Vollmachtsnachweis bzw eine Berufung auf die erteilte Vollmacht, ist dieser Mangel nach den auch im Verfahren nach dem UVG analog anzuwendenden §§ 84 und 85 ZPO zu behandeln ( G. Kodek in Fasching/Konecny 2 §§ 84, 85 ZPO Rz 208; Zib in Fasching/Konecn y 2 , § 38 ZPO Rz 16).

4. Das Erstgericht wird daher einen gemäß § 85 Abs 2 ZPO zu befristenden Verbesserungsauftrag an Rechtsanwalt Dr. Heribert Kirchmayer zu erteilen haben, um den dem Revisionsrekurs anhaftenden Vollmachtsmangel in geeigneter Weise zu beheben.

Nach Verbesserung bzw fruchtlosem Verstreichen der Verbesserungsfrist werden die Akten unmittelbar dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.

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