JudikaturOGH

13Os38/12f – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Juli 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. Juli 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Temper als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Christian S***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung, AZ 52 BAZ 394/10a der Staatsanwaltschaft Eisenstadt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. November 2011, GZ 48 Bl 58/11f-7 (ON 21), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer und der Verteidigerin Dr. Iro zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Zufolge der (am 21. März 2011 abgefertigten; ON 20 S 1) Verständigung von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens AZ 52 BAZ 394/10a der Staatsanwaltschaft Eisenstadt gegen Dr. Christian S***** wegen des Verdachts der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB gemäß § 190 Z 1 StPO (§ 88 Abs 2 Z 3 StGB) und des Betrugs nach § 146 StGB gemäß § 190 Z 2 StPO am 16. März 2011 verlangte Dr. Christian L***** als gesetzlicher Vertreter der Madlen L***** fristgerecht (§ 194 Abs 2 zweiter Satz StPO) „die Zustellung einer schriftlichen Zusammenfassung der Gründe der Einstellung“ (ON 18).

Laut Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft vom 30. Mai 2011 nahm Dr. Christian L***** Einsicht in die Akten und wurden ihm Kopien ausgefolgt. Weiters wurden ihm die Einstellungsgründe mündlich mitgeteilt und vermerkt, „Meldet sich wieder, wenn er Einstellungsbegründung noch braucht“ (ON 1 S 4).

Mit Eingabe vom 13. September 2011 beantragte Dr. Christian L***** die Fortführung des in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens (ON 19), wobei er eingangs des bei der Staatsanwaltschaft am 15. September 2011 eingelangten Antrags vermerkte: „Da bis dato vereinbarungsgemäß keine Begründung erfolgt ist, stelle ich nach Durchführung einer Akteneinsicht fristgerecht den Antrag auf Fortführung des Verfahrens.“

Mit Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt vom 29. November 2011, GZ 48 Bl 58/11f-7 (ON 21), wurde dieser Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, dass es sich bei der Frist des § 195 Abs 2 StPO um eine absolute Frist handle, „sodass ein außerhalb dieser drei Monate nach Einstellung des Strafverfahrens eingebrachter Antrag auf Fortführung jedenfalls verfristet ist, unabhängig davon, ob eine Verständigung von der Einstellung überhaupt erfolgte oder nicht“.

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 StPO) erachtet die Generalprokuratur das Gesetz aufgrund folgender Überlegungen als verletzt:

Gemäß § 195 Abs 2 erster Satz StPO in der ursprünglichen Fassung (BGBl I 2004/19) war der Fortführungsantrag „binnen vierzehn Tagen nach Verständigung von der Einstellung (§ 194), jedenfalls aber innerhalb von sechs Monaten bei der Staatsanwaltschaft einzubringen“. Da die bestehende Praxis, Verständigungen ohne Rückschein zuzustellen, keine verlässliche Kontrolle über die Tatsache und den Zeitpunkt der Zustellung der Einstellungserklärung gewährleistet, sollte bei darüber bestehenden Zweifeln die grundsätzlich für eine unterbliebene Verständigung vorgesehene längere Frist von sechs Monaten zum Tragen kommen (vgl Nordmeyer , WK StPO § 195 [aF] Rz 23).

Mit Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2009 (BGBl I 2009/52) am 1. Juni 2009 wurde die in § 195 Abs 2 erster Satz StPO normierte 6 Monatsfrist auf drei Monate verkürzt und als diese ausdrücklich und für den Fall der Nichtverständigung des Opfers vorgesehen. Die bezughabenden Gesetzesmaterialien bezeichnen diese Frist zwar als „absolut“, weisen jedoch (im Klammerverweis) erneut auf den Anwendungsfall der Nichtverständigung des Opfers hin (ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 38).

Zielsetzung des mit BGBl I Nr 2010/108 eingeführten strafrechtlichen Kompetenzpaketes ist ua eine verstärkte Information des Opfers, die überdies verhindern soll, dass der Rechtsbehelf des Antrages auf Fortführung nur zu dem Zweck in Anspruch genommen wird, die Gründe der Einstellung des Verfahrens in Erfahrung zu bringen (ErläutRV 918 BlgNR 24. GP 11 f). Dementsprechend wurden die Verständigungspflichten des § 194 Abs 2 StPO dahingehend erweitert, dass zur Antragstellung auf Fortführung berechtigte Personen auch darüber zu informieren sind, dass sie binnen vierzehn Tagen eine Begründung verlangen können, in welcher die Tatsachen und Erwägungen, die der Einstellung zu Grunde gelegt wurden, in gedrängter Darstellung anzuführen sind. Gemäß § 195 Abs 2 erster Satz StPO idgF (seit 1. Jänner 2011) ist der Antrag auf Fortführung des Verfahrens „binnen vierzehn Tagen nach Verständigung von der Einstellung (§ 194) oder im Fall eines fristgerecht eingebrachten Verlangens nach § 194 Abs 2 StPO nach Zustellung der Einstellungsbegründung, wurde jedoch das Opfer von der Einstellung nicht verständigt, innerhalb von drei Monaten ab der Einstellung des Verfahrens einzubringen“.

Aus dem klaren Wortlaut dieser Norm erhellt, dass die Dreimonatsfrist des § 195 Abs 2 erster Satz dritter Fall StPO nur bei Nichtverständigung des Opfers zum Tragen kommt. Wurde das Opfer hingegen verständigt (§ 195 Abs 2 erster Satz erster Fall StPO) und verlangt es wie hier rechtzeitig eine ausführlichere Begründung für die Einstellung in gedrängter Darstellung (§ 195 Abs 2 zweiter Fall StPO), so läuft die vierzehntägige Frist des § 195 Abs 2 erster Satz erster Fall StPO zur Einbringung des Fortführungsantrages ab Zustellung der Einstellungsbegründung (vgl JME vom 3. Jänner 2011 zu den Bestimmungen des strafrechtlichen Kompetenzpaktes, die mit 1. Jänner 2011 in Kraft getreten sind; JABl 2011/3 [abgedruckt in Mayerhofer , Verordnungen und Erlässe³ S 390.21]).

Infolge der verfehlten Rechtsansicht, wonach ein außerhalb der absoluten Dreimonatsfrist des § 195 Abs 2 (zu ergänzen: erster Satz) StPO eingebrachter Fortführungsantrag unabhängig von einer Einstellungsverständigung jedenfalls verfristet ist, unterblieb die gebotene Prüfung, welche Auswirkung die Erklärung des Fortführungswerbers anlässlich der Akteneinsicht am 30. Mai 2011, sich bei Benötigen einer Begründung zu melden (S 2 f des Beschlusses), auf den Beginn und Ablauf der bei Verständigung von der Verfahrenseinstellung und fristgerecht eingebrachtem Verlangen nach § 194 Abs 2 StPO maßgeblichen Vierzehntagesfrist (§ 195 Abs 2 erster Satz zweiter Fall StPO) hatte.

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung wäre festzustellen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Mit dem BudgetbegleitG 2009 BGBl I 2009/52 wurde die längere der in § 195 Abs 2 StPO zur Einbringung eines Antrags auf Fortführung vorgesehenen Fristen auf drei Monate verkürzt. Die Gesetzesmaterialien begründeten dies mit dem „Recht“ des Beschuldigten, „binnen angemessener Frist sicher zu sein, dass das Verfahren gegen ihn nicht fortgesetzt und endgültig eingestellt wird“. Dass es sich dabei um eine „absolute“ Frist handelt, um eine solche also, die eine spätere Antragstellung ausschließt, ist den Materialien unmissverständlich zu entnehmen (EBRV 113 BlgNR 24. GP 38). Diese Reform sollte demnach am zuvor im Gesetzeswortlaut (durch Verwendung des Wortes „jedenfalls“ in § 195 Abs 2 erster Satz StPO) deutlich zum Ausdruck gebrachten Charakter der längeren Frist (als „absolut“, vgl die erwähnten Materialien) nichts ändern, ebenso wenig die unter anderem mit dem Ziel, „unnotwendige Fortführungsanträge“ zu vermeiden, motivierte Schaffung der Informationsmöglichkeit nach § 194 Abs 2 zweiter Satz StPO durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 (EBRV 918 BlgNR 24. GP 12).

Die im bekämpften Beschluss vertretene Rechtsansicht, wonach ein außerhalb der dreimonatigen Frist des § 195 Abs 2 erster Satz StPO eingebrachter Antrag auf Fortführung unabhängig von einer Einstellungsverständigung jedenfalls verspätet ist, erweist sich demnach als gesetzeskonform.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit zu verwerfen.

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