14Os24/12d – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 3. April 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Brandstetter als Schriftführer in der Strafsache gegen Vladimir R***** und einen anderen Angeklagten wegen mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Vladimir R***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. Dezember 2011, GZ 163 Hv 28/11z 131, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Vladimir R***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Vladimir R***** (richtig:) mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/I/1-4; II und B/III/2), zu II auch nach § 15 StGB und zu B/III/2 nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in Wien
(A) im einverständlichen Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Nicolai M*****, sowie (zu I/2) mit Vasile T***** und (zu I/3 und 4) mit je einem weiteren bislang nicht ausgeforschten Mittäter anderen mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz fremde bewegliche Sachen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe weggenommen (I) und wegzunehmen versucht (II), indem er jeweils mit einer Pistole bewaffnet im Eingangsbereich der Geschäftslokale stand, damit Kunden und Angestellte in Schach hielt und die Türe für eine rasche Flucht blockierte, während die Mittäter Geld (I/1-3, II) und Schmuck an sich nahmen (I/4) und an sich zu nehmen versuchten (II), und zwar
1) am 8. Juli 2009 Gewahrsamsträgern der B***** 68.213,81 Euro Bargeld;
2) am 18. März 2010 Gewahrsamsträgern der D***** 3.535 Euro Bargeld;
3) am 26. März 2010 Gewahrsamsträgern der D***** 37.759,99 Euro Bargeld;
4) am 9. April 2010 Yasemin Ö***** Schmuck im Wert von 114 Euro;
II) am 20. November 2009 Gewahrsamsträgern der R***** Bargeld;
(B) am 16. Februar 2010 mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz dazu beigetragen, dass Nicolai M***** und andere Beteiligte am 18. Februar 2010 Gewahrsamsträgern der V***** Münzen im Wert von 750 Euro durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe wegnahmen, indem er vor Ort die Funktionstüchtigkeit der beim Raub zur Öffnung der verschlossenen Türen der Bankfiliale verwendeten zuvor entfremdeten Bankkarte des Benjamin G***** in zwei Versuchen überprüfte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus den Gründen der Z 1, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Vladimir R***** verfehlt ihr Ziel.
Die Besetzungsrüge (Z 1) wendet unter Bezugnahme auf einen in der Hauptverhandlung gestellten Ablehnungsantrag (ON 112 S 9; vgl dazu 13 Os 75/08s) Tätigwerden eines im Sinn der Z 3 des § 43 Abs 1 StPO ausgeschlossenen Schöffensenats ein.
Ausgeschlossenheit nach dieser Gesetzesstelle liegt nur bei begründet erscheinender Annahme vor, der Richter sei ungeachtet einer vorläufigen, dem Verfahrensstand angepassten, zumeist unwillkürlich vonstatten gehenden und einer sachgerechten Stoffsammlung keineswegs hinderlichen Meinungsbildung auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt, seine Einschätzung zu ändern. Die gesetzeskonforme Wahrnehmung von Amtspflichten, wie die hier ins Treffen geführte urteilsmäßige Erledigung eines gegen eine Tatbeteiligte anhängig gewesenen Strafverfahrens erweckt einen solchen Anschein per se auch dann nicht, wenn diese Verurteilung eine Täterschaft des nunmehrigen Angeklagten zur Voraussetzung gehabt hat (RIS-Justiz RS0097319 [va T5]). Nur wenn zu solchen prozessualen Gegebenheiten Verhaltensweisen hinzutreten, die sodann zu einem Gesamtbild führen, das Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit entstehen lässt, ist dieses Gesamtbild aus Z 3 relevant (zum Ganzen: Lässig , WK-StPO § 43 Rz 12 mwN, Rz 16; RIS-Justiz RS0097319 [va T5]). Derartiges Verhalten auch nur eines Mitglieds des erkennenden Schöffensenats zeigt der Beschwerdeführer aber weder mit der unsubstantiierten Behauptung, die Vorsitzende habe „von Anfang der Hauptverhandlung kein Hehl daraus gemacht, dass sie den Angeklagten als Mittäter ansah und folglich für schuldig hielt, was sich letztlich auch in der Beweiswürdigung massiv zu seinem Nachteil niederschlug“, noch mit dem Hinweis auf die wenn auch missglückt formulierte Begründung der Abweisung des Ablehnungsantrags (vgl ON 112 S 9) auf.
Die Verfahrensrüge, die übrigens ohne Angabe der Fundstelle des kritisierten Vorgangs und der Antragstellung in den umfangreichen Akten (vgl RIS-Justiz RS0124172) die Abweisung von in der Hauptverhandlung vom 15. April 2011 gestellten Beweisanträgen (auf Ladung und Vernehmung der Zeugin [richtig:] Jelena B***** sowie auf Ausforschung und Vernehmung des abgesondert verfolgten Nicolai M*****; ON 79 S 75) moniert, scheitert schon am Erfordernis der Antragstellung in der am 5. Dezember 2011 nach § 276a StPO wiederholten Hauptverhandlung (ON 130). Als Hauptverhandlung gilt nämlich nur diejenige, die der Urteilsfällung unmittelbar vorangeht, mag sie auch an verschiedenen Tagen durchgeführt worden sein ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 310; Danek , WK StPO § 276a Rz 10). Dass „die bisherigen Verfahrensergebnisse“ in der Hauptverhandlung am 5. Dezember 2011 verlesen wurden (ON 130 S 7) und das Schöffengericht ein (abweisendes) Zwischenerkenntnis über die Anträge fasste (ON 130 S 7), ändert nichts am Mangel der Legitimation zur Verfahrensrüge. Unrichtige Wiedergabe des aus Z 4 relevierten Vorbringens im Hauptverhandlungsprotokoll wurde im Rechtsmittel nicht behauptet (§ 285f StPO; vgl auch § 271 Abs 1 zweiter Satz StPO; vgl zum Ganzen RIS-Justiz RS0098869, RS0098044 [T2]; 13 Os 122/07a).
Davon abgesehen beruhte das Unterbleiben der Ladung des mutmaßlichen Mittäters des Beschwerdeführers auf dessen trotz aufrechten Haftbefehls (ON 120 S 7 f) unbekannt gebliebenem Aufenthalt, womit das Erstgericht zutreffend von einem undurchführbaren Beweis ausging. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass die zwangsweise Vorführung eines im Ausland befindlichen Zeugen vor das erkennende Gericht nicht in Betracht kommt (vgl 15 Os 83/11m, 13 Os 135/11y), gilt Gleiches in Betreff der Vernehmung der Zeugin Jelena B*****, weil diese einer entsprechenden Ladung nicht Folge leistete (vgl dazu die Erklärung des Angeklagten ON 79 S 79 ff; ON 112 S 17) und dem Ersuchen an die moldawischen Behörden, die Genannte im Rechtshilfeweg zu vernehmen, anders als jenem um Befragung der Zeugin Svetlana J***** (ON 126) trotz Urgenz etwa sieben Monate lang nicht entsprochen wurde (ON 91, 104, 124, 127; US 19; vgl dazu RIS-Justiz RS0099399, RS0098248). Dass die Zeugin in Moldawien tatsächlich eine Aussage ablegte, hat der Angeklagte dem Beschwerdevorbringen zuwider gar nicht mit Bestimmtheit behauptet, sondern zunächst von der Zustellung einer Ladung an sie berichtet, und eingestanden, nicht zu wissen, „für wann diese Ladung war“ und „was daraus geworden ist“ und im unmittelbaren Anschluss daran im Widerspruch dazu eine am 9. August (2011) durchgeführte Vernehmung beim Justizministerium in Moldawien erwähnt (ON 120 S 7 f).
Die in diesem Zusammenhang nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a) erhobene Kritik an unterbliebener amtswegiger Erhebung der „Ausreisedaten aus dem Schengen System unter dem Aliasnamen (zu ergänzen: des Angeklagten) Constantin G*****“ und Aufklärung oder Ergänzung der „möglicherweise unvollständigen oder missverständlichen Fragestellung des Rechtshilfegerichts“ anlässlich der Vernehmung der Zeugin Svetlana J***** scheitert am fehlenden Vorbringen stichhältiger Gründe, aus denen der Beschwerdeführer an darauf abzielender Antragstellung gehindert war (RIS-Justiz RS0115823). Dass er durch die im Übrigen unmissverständlich bloß zusätzlich und illustrativ angestellten Urteilserwägungen der Tatrichter überrascht wurde, der Angeklagte sei möglicherweise erst nach dem 8. Juli 2009 wieder in seine Heimat gereist und später nach Österreich zurückgekehrt (US 12), ist angesichts der in der Hauptverhandlung verlesenen (ON 130 S 7) Angaben der Zeugin Svetlana J*****, die dem Beschwerdeführer ein Alibi für den ihm vorgeworfenen Raub vom 8. Juli 2009 (Schuldspruch A/I/1) verschaffen sollte, jedoch bloß seine Anwesenheit in Moldawien von Ende August bis längstens Anfang September bestätigte (ON 126; ON 130 S 7), nicht nachvollziehbar.
Mit dem nominell auf Z 5 vierter Fall gestützten Einwand fehlender Begründung der Privatbeteiligtenzusprüche bringt die Beschwerde ein Berufungsvorbringen zur Darstellung.
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) einzelne Passagen aus der Aussage des Zeugen Markus S***** und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. St***** hervorhebt, darauf aufbauend das Fehlen von Sachbeweisen einwendet und unter Bezugnahme auf nicht auf entscheidende Tatsachen bezogene und von den Tatrichtern zum Teil ohnehin erörterte Detailabweichungen in den Angaben der Belastungszeugin Marina Sto***** und spekulative Erwägungen zu deren Aussagemotivation anhand eigener Beweiswerterwägungen deren Überzeugungskraft (in Bezug auf die von den Tatrichtern für glaubwürdig erachtete Identifizierung des Beschwerdeführers anhand von Lichtbildern aus den an den Tatorten installierten Überwachungskameras) in Zweifel zieht, erweckt sie erhebliche Bedenken im Sinne des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (vgl dazu RIS-Justiz RS0118780) ebenso wenig wie mit Hinweisen auf die Ausführungen des Verteidigers in seinem Schlussplädoyer und die geständige Verantwortung des Angeklagten in einem anderen gegen ihn geführten Strafverfahren.
Die Berufung auf den Zweifelsgrundsatz (§ 14 StPO) und die „Unschuldsvermutung“ verhilft der Tatsachenrüge ebenso wenig zum Erfolg (RIS-Justiz RS0102162).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.