11Os148/11s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jeton S***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 31. August 2011, GZ 29 Hv 93/11m 122, sowie dessen Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO gefassten Beschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./ und demgemäß im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), im Verfallserkenntnis sowie im Ausspruch über die Einziehung, ferner der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner gegen den Schuldspruch A./ gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde, seiner Berufung und der Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthaltenden Urteil wurde Jeton S***** mehrerer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (A./1./ bis 3./), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (B./) sowie mehrerer Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 2, Abs 4 erster Fall und Abs 5 erster Fall FPG idF BGBl I 2005/100 (C./1./lit a./ und b./ sowie 2./) und nach § 114 Abs 1 und Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG idF BGBl I 2009/122 (C./1./c./ und d./) schuldig erkannt.
Nach § 34 SMG iVm § 26 StGB wurde „das sichergestellte Suchtgift eingezogen und vernichtet“.
Gemäß § 20 StGB wurde ein Betrag von 10.000 Euro für verfallen erklärt.
Inhaltlich des Schuldspruchs hat Jeton S***** in S***** und an anderen Orten
A./ von Sommer 2009 bis zumindest Juni 2010 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich zumindest 230 Gramm Kokain brutto mit einem Reinheitsgehalt von 20 %, anderen überlassen, und zwar
1./ von Sommer 2009 bis Ende 2009 sowie im Mai und Juni 2010 etwa 150 Gramm dem Michele G*****,
2./ im Mai 2010 etwa 10 Gramm dem Edis T*****,
3./ von Jänner bis Februar 2010 etwa 70 Gramm dem Elvedin H*****;
B./ im Zusammenwirken mit Femi Sa***** als Mittäter am 24. März 2011 vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich eine Reinsubstanz von mehr als 70 Gramm Heroin, etwa 4 Gramm Monoacetylmorphin, mehr als 27 Gramm Kokain und 5 Gramm Acetylcodein mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde;
C./ von 9. September 2009 bis 16. September 2010 die rechtswidrige Einreise bzw Durchreise von zumindest 21 im Urteil teilweise auch namentlich bezeichneten Fremden in bzw durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw Nachbarstaaten Österreichs, und zwar insbesondere aus dem Kosovo über Serbien und Ungarn nach Österreich und von hier weiter in verschiedene Zielländer in Westeuropa, mit dem Vorsatz gefördert, sich und Dritte durch ein dafür geleistetes Entgelt, und zwar Bargeld oder geldwerte Leistungen in einem Spesensatz übersteigendem Ausmaß, unrechtmäßig zu bereichern, und zwar
1./ indem er selbst ein Schlepperfahrzeug lenkte,
a./ bei einer Fahrt von Österreich nach Frankreich am 9. September 2009
b./ bei einer Fahrt am 20. Oktober 2009 in Bad Hofgastein auf dem Weg nach Italien oder an einen nicht bekannten Ort
c./ bei zwei Fahrten im Zeitraum von Jänner 2010 bis Mitte April 2010 nach Italien und in unbekannte Länder
d./ am 16. September 2010 bei einer Fahrt von Ungarn nach Wien und weiter nach Italien
2./ indem er zumindest für Liman K***** am 22. Oktober 2009 den Serdal Ka***** als Fahrer von Österreich nach Deutschland organisierte,
wobei er die Taten gewerbsmäßig (§ 70 StGB) in Bezug auf eine größere Zahl von Fremden sowie als Mitglied einer aus zumindest sechs weiteren abgesondert verfolgten Mittätern bestehenden, auf die gewinnbringende Schleppung vorwiegend kosovarischer Staatsangehöriger spezialisierten kriminellen Vereinigung beging.
Rechtliche Beurteilung
Gegen die Schuldsprüche A./1./ und C./ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die gegen den Schuldspruch C./ gerichtete Rechtsrüge (Z 10, nominell auch Z 9 lit a) bekämpft ausschließlich die Annahme der Qualifikation der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung.
Den Feststellungen zufolge führte der Angeklagte als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (die im Urteil einzeln genau bezeichneten) Schlepperfahrten durch, um sich im Rahmen seiner Tätigkeit innerhalb der kriminellen Vereinigung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Er wusste dabei, welches Ziel diese Vereinigung hatte, nämlich Fremde, die über keine aufrechte Aufenthaltsbewilligung verfügen, in westeuropäische Länder zu verbringen. Es kam ihm darauf an, möglichst viele Fahrten durchzuführen und wusste, dass es sich um illegale Personen handelte, die sich nicht rechtmäßig im europäischen Raum aufhalten dürfen (US 6 f). Welcher weiterer Feststellungen es darüber hinaus zur Annahme der subjektiven Tatseite bedurft hätte, legt die Rechtsrüge mit der bloßen Bezugnahme auf das Erfordernis eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Existenz, der Ausrichtung und der Tatbegehung im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nicht dar und entzieht sich damit einer meritorischen Erwiderung ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 588).
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil - wie auch von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigt - zum Nachteil des Angeklagten in verschiedener Hinsicht - von ihm insoweit nicht geltend gemachte - Nichtigkeit anhaftet (§§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, 281 Abs 1 Z 10 und 11 StPO):
Zum Schuldspruch A./:
Nach den Urteilsannahmen überließ der Angeklagte im Zeitraum Sommer 2009 bis Juni 2010 150 Gramm Kokain an Michele G*****, 10 Gramm Kokain (US 10) an Edis T*****, 70 Gramm Kokain (vgl zur Art und Menge US 10) an Elvedin H***** (US 7).
Bei mehrfacher Tatbestandsverwirklichung sind die Suchtgiftmengen mehrerer einzelner Tathandlungen nur dann zu einer Gesamtmenge zu addieren, wenn die Einzelakte im Sinne einer fortlaufenden Tatbestandsverwirklichung kontinuierlich gesetzt wurden und der Vorsatz des Täters jeweils auch den an diese kontinuierliche Begehung geknüpften Additionseffekt mitumfasst ( Fabrizy , Suchtmittelrecht § 28 SMG Rz 3; RIS Justiz RS0124018, RS0117463, RS0112225, RS0088096). Solche Feststellungen hat das Erstgericht nicht getroffen. Daher leidet das Urteil an einem Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10 StPO begründenden Rechtsfehler mangels Feststellungen, der zur Aufhebung des Schuldspruchs A./ führen musste.
Darüber hinaus führt das Urteil den Reinstoffgehalt des zu A./ tatverfangenen Suchtgifts nur im Urteilsspruch an, in den Urteilsgründen trafen die Tatrichter hiezu keine Feststellungen. Die Erwähnung im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) vermag die Feststellung entscheidender Tatsachen aber nur zu verdeutlichen, jedoch nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0114639).
Auch die mit Nichtigkeit behafteten (§ 281 Abs 1 Z 11) Verfalls und Einziehungserkenntnisse waren zu beheben:
Der Gegenstand der Einziehung [„sichergestellte Suchtgift“ (US 14)] wurde, obwohl geboten, nicht determiniert (vgl 13 Os 139/11g, 13 Os 67/11v).
Die Verfallsbestimmungen des StGB wurden erst durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 grundlegend geändert. Da dieses Gesetz mit 1. Jänner 2011, demnach nach Vollendung der zur Begründung herangezogenen Schleppertaten (US 14) in Kraft getreten ist (Art 5 BGBl I 2010/108), darf der Angeklagte durch die Anwendung der Neufassung nicht schlechter gestellt werden als nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage (§ 1 Abs 2 StGB). Diese sah als vergleichbare vermögensrechtliche Anordnung die Abschöpfung der Bereicherung vor (§ 20 StGB aF), von der abzusehen war, soweit die Zahlung des Geldbetrags das Fortkommen des Bereicherten unverhältnismäßig erschweren oder ihn unbillig hart treffen würde, insbesondere weil die Bereicherung im Zeitpunkt der Anordnung nicht mehr vorhanden ist, wobei aus einer Verurteilung erwachsende andere nachteilige Folgen zu berücksichtigen waren (§ 20a Abs 2 Z 3 StGB aF). Diesbezügliche Erwägungen sind der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
Da der Berufung des Angeklagten lediglich ein gegen die Strafe gerichteter Anfechtungswille zu entnehmen ist, war die das Verfalls und das Einziehungserkenntnis betreffende Nichtigkeit (Z 11) bereits vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§§ 285e erster Fall, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil dem Berufungsgericht zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte die amtswegige Wahrnehmung der die Aussprüche betreffenden Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO zu Gunsten des Angeklagten verwehrt ist ( Ratz , WK StPO § 294 Rz 10 und § 295 Rz 7).
Mit seiner den Schuldspruch A./1./ betreffenden Tatsachenrüge, seiner Berufung und der gemäß § 498 Abs 3 StPO implizierten Beschwerde war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im neu durchzuführenden Verfahren wird das Erstgericht zum Faktum A./ sowohl tragfähige Feststellungen zur subjektiven Tatseite als auch zum Reinheitsgehalt des Suchtgifts zu treffen haben. Zum Verfall und zur Einziehung werden die aufgezeigten Mängel zu beheben sein.
Die Kostenentscheidung, welche die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12) gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.