JudikaturOGH

3Ob1/12m – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Engin Deniz Reimitz Hafner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei O***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 146.905,99 EUR sA und Feststellung (35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2011, GZ 5 R 121/11t 19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 29. März 2011, GZ 23 Cg 21/10d 15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Akt wird dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung durch einen gesonderten Bewertungsausspruch über das Feststellungsbegehren und zur Entscheidung über den gestellten Abänderungsantrag (§ 508 ZPO) zurückgestellt.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei die Zahlung einer aus 27 Einzelbeträgen bestehenden Gesamtsumme von 146.905,99 EUR sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für alle weiteren Schäden aus ihrer Teilnahme bzw Mitwirkung am „Aufzugskartell“; dieses Feststellungsbegehren wurde mit 35.000 EUR bewertet.

Die im Zahlungsbegehren enthaltenen 27 Einzelbeträge in einer Höhe von 2.197,60 EUR bis 9.892 EUR werden von der klagenden Partei damit begründet, dass es durch die Bildung des Kartells sowohl im Marktbereich Neuerrichtung von Aufzugsanlagen als auch im Marktbereich für die Wartung/Reparatur von Aufzugsanlagen zu erheblichen „Kartellpreisaufschlägen“ gekommen sei, die in jedem Einzelfall als ein von der beklagten Partei zu ersetzender Schaden (bzw als Bereicherung) zu qualifizieren seien. Konkret gehe es um die Neuerrichtung von elf Liftanlagen (Gesamtschaden: 77.646 EUR) und um die Wartung/Reparatur von 16 Liftanlagen (Gesamtschaden: 69.259,99 EUR). Da der tatsächlich verursachte Schaden den bislang bezifferbaren Schaden übersteige, werde das Leistungsbegehren mit einem Feststellungsbegehren verbunden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der wesentlichen Begründung ab, dass der geltend gemachte Schadenersatzanspruch bereits an der nicht ausreichenden Behauptung eines konkreten Schadens bzw einer konkret eingetretenen Bereicherung (jeweils in Höhe des geltend gemachten Schadens) scheitere. Für das Feststellungsbegehren fehle es am erforderlichen rechtlichen Interesse, weil bereits ein Leistungsbegehren gestellt werden hätte können.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und ließ die Revision nicht zu.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei, die eventualiter mit einem Antrag auf Abänderung des Ausspruchs des Berufungsgerichts über die Zulässigkeit der Revision (§ 508 Abs 1 ZPO) verbunden ist.

Eine Entscheidung über die außerordentliche Revision der klagenden Partei kann derzeit noch nicht ergehen, weil nicht feststeht, ob der Oberste Gerichtshof funktionell zur Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsmittels zuständig ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Gemäß § 502 Abs 2 ZPO ist die Revision jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat, an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR nicht übersteigt. Weiters ist die Revision nach § 502 Abs 3 ZPO (außer im Fall der nachträglichen Zulassung nach § 508 Abs 3 ZPO) jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Berufungsgericht die Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht für zulässig erklärt hat.

2. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand (und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts), wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen (RIS Justiz RS0053096 [T1]).

§ 55 Abs 1 Z 1 JN fordert für die Zusammenrechnung mehrerer in einer Klage erhobenen Ansprüche ausgehend von den Klageangaben (RIS Justiz RS0106759) einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang der einzelnen Ansprüche. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn alle Ansprüche aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS Justiz RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang ist dann gegeben, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (RIS Justiz RS0037648 [T19]).

Der von § 55 Abs 1 Z 1 JN geforderte Zusammenhang wird verneint, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RIS Justiz RS0037899).

3. Die klagende Partei stützt ihre Leistungsansprüche darauf, dass die beklagte Partei in 27 Einzelfällen Liftanlagen neu errichtet bzw die Wartung/Reparatur von Liftanlagen übernommen habe und der klagenden Partei (sowie anderen Unternehmen, die ihre Ansprüche gegen die beklagte Partei an die klagende Partei abgetreten hätten bzw deren Gesamtrechtsnachfolgerin die klagende Partei sei) dadurch einen Schaden zugefügt habe, dass sie durch die Mitwirkung an dem zu 16 Ok 5/08 als rechtswidrig qualifizierten „Aufzugskartell“ Kartellpreisaufschläge verrechnet habe; die Leistungsansprüche wurden weiters auf das Bereicherungsrecht gestützt.

4. In einem durchaus vergleichbaren, ebenfalls das „Aufzugskartell“ betreffenden Fall (7 Ob 127/10t) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass die dort geltend gemachten Ansprüche der Kläger nicht auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen, sondern lediglich aus gleichartigen Verträgen abgeleitet werden, die auch unterschiedlich beurteilt werden könnten.

5. Auch im vorliegenden Fall beruhen die geltend gemachten Leistungsansprüche jeweils auf einzeln zu beurteilenden Verträgen über die Neuerrichtung von Aufzugsanlagen bzw über die Wartung/Reparatur von Aufzugsanlagen, die jeweils von der preiserhöhenden Wirkung des „Aufzugskartells“ beeinflusst worden sein sollen. Es handelt sich daher um mehrere Ansprüche ohne den erläuterten Zusammenhang: Da sie verschiedene rechtliche und tatsächliche Schicksale haben können, sind sie nicht nach § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen.

6. Das Feststellungsbegehren der klagenden Partei bezieht sich ebenfalls auf die einzelnen strittigen Fälle, aus denen jeweils die Leistungsansprüche abgeleitet werden. Es liegt daher kein einheitliches Feststellungsbegehren vor. Vielmehr ist dieses gespalten, wobei die Feststellungsteilbegehren in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang mit den einzelnen Leistungsbegehren stehen.

7. Es sind daher die einzelnen Leistungs und Feststellungsbegehren (beide jeweils zusammen) zu bewerten.

Je nach dem Ergebnis der Bewertung wird vom Berufungsgericht

(bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand bis 5.000 EUR) auszusprechen sein, dass die Revision jedenfalls unzulässig ist,

(bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand über 5.000 EUR, aber nicht über 30.000 EUR) das Rechtsmittel der klagenden Partei als Abänderungsantrag (§ 508 ZPO) zu behandeln sein oder

(bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand über 30.000 EUR) das Rechtsmittel als außerordentliche Revision (§ 507b Abs 3 ZPO) wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen sein.

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