JudikaturOGH

13Os134/11x – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2011 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen Bogdan N***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Bogdan N***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 4. August 2011, GZ 603 Hv 3/11h 271, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten Bogdan N***** und seines Verteidigers Dr. Mayer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten Bogdan N***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Bogdan N***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 16. Mai 2010 in Wien im einverständlichen Zusammenwirken mit dem unter einem wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilten Nicolae Ne***** Florentina M***** vorsätzlich zu töten versucht, indem sie eine brennbare Flüssigkeit über deren Gesicht sowie deren Haupthaar gossen und diese entzündeten, wodurch Florentina M***** Verbrennungen zweiten und dritten Grades am Kopf, am Dekolleté und an den Händen erlitt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Bogdan N***** geht fehl.

Entgegen der Fragenrüge (Z 6) indizieren die in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) eine Eventualfrage nach dem Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung (§ 88 StGB) nicht:

Die von der Beschwerde insoweit zunächst angesprochene Aussage des Angeklagten Nicolae Ne*****, er habe Florentina M***** mit einem Feuerzeug „kurz an den Haaren angezündet“ (ON 266 S 13), gibt keinen Aufschluss über die dem Beschwerdeführer angelastete Tat. Nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (hier ON 266) gab Nicolae Ne***** vielmehr an, dass sich das inkriminierte Tatgeschehen erst nach jenem Vorfall und zwar dahin entwickelt habe, dass der Beschwerdeführer ihn beauftragt habe, Florentina M***** mit einer brennbaren Flüssigkeit zu übergießen, und dass dieser die Flüssigkeit sodann mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt habe (ON 266 S 13, 15), welche Depositionen keineswegs in die Richtung der begehrten Fragestellung weisen.

Entsprechendes gilt für die Verantwortung des Beschwerdeführers, der in der von der Beschwerde angeführten Aussagepassage eigenes Fehlverhalten gänzlich in Abrede stellte und angab, dass Nicolae Ne***** Florentina M***** mit Benzin übergossen und dieses sodann (selbst) in Brand gesetzt habe (ON 266 S 51, 53).

Soweit die Beschwerde die Angaben des Angeklagten Nicolae Ne***** und des Beschwerdeführers in der vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht (das sodann ein Unzuständigkeitsurteil fällte: ON 212) geführten Hauptverhandlung vom 1. März 2011 (ON 201) releviert, bezieht sie sich nicht auf in der Hauptverhandlung vor dem (nunmehr) erkennenden Gericht Vorgekommenes. Eine allfällige Protokollsverlesung (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) ist der Aktenlage nicht zu entnehmen.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die angesprochenen Depositionen des Angeklagten Nicolae Ne***** (ON 201 S 7, 8) und des Beschwerdeführers (ON 201 S 53, 55) im Wesentlichen deren eben erörterter Verantwortung vor dem Geschworenengericht entsprechen.

Mit der Forderung nach „Eventualfragen“ in Richtung des Verbrechens der schweren Erpressung und des Vergehens der gefährlichen Drohung wird die Beschwerde nicht zu Gunsten des Angeklagten (§ 282 Abs 1 StPO iVm § 344 StPO) ausgeführt, weil die Tatbestände einerseits des § 75 StGB und andererseits der §§ 144 f StGB oder des § 107 Abs 1 StGB echt konkurrieren (vgl Eder Rieder in WK² § 144 Rz 51 und Hintersteininger , SbgK § 144 Rz 65, § 145 Rz 24 sowie Schwaighofer in WK² § 107 Rz 18 und Seiler , SbgK § 107 Rz 41), sodass auf der Basis des diesbezüglichen Beschwerdevorbringens jeweils (keine Eventualfrage, sondern) eine weitere Hauptfrage (nach dem Verbrechen der schweren Erpressung oder dem Vergehen der gefährlichen Drohung) zu stellen gewesen wäre (§ 312 Abs 2 StPO).

Der Einwand der Instruktionsrüge (Z 8), die den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung lasse nicht erkennen, dass auch der (angestrebte) Kausalverlauf in seinen groben Zügen ( Fuchs AT I 7 14/18, Kienapfel/Höpfel AT 12 Z 15 Rz 9) vom (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters umfasst sein muss, trifft nicht zu. Die Geschworenen werden vielmehr in der schriftlichen Belehrung (§ 321 StPO) ausdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass der Täter „aufgrund seiner Tathandlung“ ernstlich damit rechnet, dass „dadurch“ der Tod des anderen eintreten könne, und er sich mit dieser Möglichkeit abfindet (S 9 der Rechtsbelehrung).

Auch die Bedeutung eines möglichen Tatbildirrtums wird den Geschworenen erschöpfend und leicht fasslich erläutert (S 3 und 4 der Rechtsbelehrung).

Die Beschwerdebehauptung, die Belehrung lege nicht dar, dass der Vorsatz im Tatzeitpunkt gegeben sein muss, trifft ebensowenig zu (S 1, 8 und 10 der Rechtsbelehrung).

Soweit die Tatsachenrüge (Z 10a) die Verantwortung des Beschwerdeführers wiedergibt und Details aus Aussagen von Zeugen, die den Tathergang gar nicht wahrgenommen haben, hervorhebt, gelingt es ihr nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu wecken.

Der Angeklagte Nicolae Ne***** belastete den Beschwerdeführer nach dem ungerügten Protokoll über die Hauptverhandlung (hier ON 266), indem er angab, dass er Florentina M***** über dessen Aufforderung mit Benzin übergossen habe und dass der Beschwerdeführer sodann die Flüssigkeit mit einem Feuerzeug in Brand gesetzt habe (ON 266 S 13, 15). Weshalb diese Aussage die Feststellungen der Geschworenen in Zweifel setzen soll, wird nicht klar.

Das gegenständliche Beweisverfahren verlief nach der Aktenlage dergestalt, dass sich der Angeklagte Nicolae Ne***** und der Beschwerdeführer gegenseitig belasteten und die vernommenen Zeugen teils diese, teils jene Verantwortungsvariante bestätigten, wobei es auch zu Abweichungen von im Ermittlungsverfahren abgelegten Aussagen kam. Indem die Rüge die den Beschwerdeführer entlastenden Depositionen zusammenfasst und daraus für diesen günstige Schlüsse ableitet, wendet sie sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) der Geschworenen.

Da die Niederschrift der Geschworenen (ungeachtet der an sie zu stellenden Anforderungen) eine Begründung für die Beweiswürdigung darstellt, kann sie nicht gleichzeitig deren Gegenstand bilden. Obwohl sie dem Hauptverhandlungsprotokoll anzuschließen ist und solcherart zu „den Akten“ gehört, kann demnach eine Tatsachenrüge darauf nicht gegründet werden (RIS Justiz RS0100809, RS0115549; Ratz , WK StPO § 345 Rz 16).

Mit dem Versuch, aus der Menge der bei der Tat verwendeten brennbaren Flüssigkeit und aus Möglichkeiten, Florentina M***** auf andere Weise als von den Geschworenen (im Stadium des Versuchs) festgestellt zu töten, anhand spekulativer Überlegungen dem Beschwerdeführer vorteilhafte Schlussfolgerungen anzustellen, bekämpft die Beschwerde einmal mehr unzulässig die Beweiswürdigung der Geschworenen.

Indem die Rüge danach trachtet, aus den Prämissen, der Beschwerdeführer habe nach dem gegenständlichen Brandattentat die Flammen gelöscht und veranlasst, dass das Opfer in ein Krankenhaus gebracht werde, Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen der Geschworenen zu entwickeln, entzieht sie sich infolge fehlenden Aktenbezugs einer meritorischen Erledigung ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 481).

Sofern das diesbezügliche Vorbringen als bloßer Verweis auf die Verantwortung des Beschwerdeführers zu verstehen ist, weckt es die intendierten Zweifel nicht.

Auf Angaben der medizinischen Sachverständigen in der am 1. März 2011 vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht durchgeführten Hauptverhandlung (ON 201) kann die Beschwerde wie bereits zur Fragenrüge dargelegt nicht gegründet werden, weil diese in der Hauptverhandlung vor dem erkennenden Gericht nicht vorgekommen sind.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die Sachverständige nach der Aktenlage sowohl in ihrem schriftlichen Gutachten (ON 155 S 13) als auch im Rahmen der Hauptverhandlungen vor dem Schöffengericht (ON 201 S 71) und vor dem erkennenden Gericht (ON 266 S 87) ausdrücklich dargelegt hat, dass die Tathandlungen aus medizinischer Sicht lebensgefährliche Verletzungen hervorgerufen haben.

Welche Beweise das Erstgericht unter dem Aspekt der Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung (richtig: § 2 Abs 2 StPO) aufzunehmen verabsäumt haben soll, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über Bogdan N***** nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren (US 6) und wertete bei der Strafzumessung eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende Vorstrafe (§ 33 Z 2 StGB) und den Umstand, dass er der Urheber einer von mehreren begangenen strafbaren Handlungen gewesen ist (§ 33 Z 4 StGB), erschwerend, die Tatsache, dass es beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB), mildernd (US 7).

Die gegen den Strafausspruch erhobene Berufung des Bogdan N*****, die auf eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe zielt, ist nicht im Recht.

Die Verantwortung des Angeklagten stellt gemäß § 34 Abs 1 Z 17 StGB nur dann einen Milderungsgrund her, wenn sie ein reumütiges Geständnis enthält oder wesentlich zur Wahrheitsfindung beiträgt, was hier nicht zutrifft (ON 266 S 47 bis 59).

Das Erstgericht hielt zu Recht fest, dass das rücksichtslose Vorgehen und das verwerfliche Motiv, nämlich die Intention, vom Opfer (einer Prostituierten) sogenannte Standgebühren zu erlangen (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB), und die demütigende, grausame Tatausführung (§ 32 Abs 3 StGB) im Rahmen der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung aggravierend wirken. Der Sicht der Beschwerde, Gewalttaten gegen Leib und Leben seien „in der Regel“ durch besondere Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet, und Motiv sowie Ausführung seien milieubedingt zu relativieren, kann nicht gefolgt werden.

Entgegen der Berufung verstärkt der Umstand, dass der Angeklagte nach dem Entzünden der brennbaren Flüssigkeit nicht noch weitere Tathandlungen gesetzt hat, den Milderungsgrund des Versuchs keineswegs. Nach dem Wahrspruch der Geschworenen war nämlich der Tatvorsatz darauf gerichtet, Florentina M***** nicht etwa durch einen Schuss aus einer Pistole, sondern (wesentlich grausamer) durch Verbrennen zu töten, welche Art der Tötung gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass der Tod (soweit der Körper nicht einem besonders intensiven Feuer ausgesetzt ist) äußerst langsam und zwar dadurch eintritt, dass es infolge Zerstörung großer Hautflächen zur Erstickung kommt. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass der Umstand, dass diese Gefahr hier auch tatsächlich bestand, durch das Gutachten der medizinischen Sachverständigen belegt (ON 155 S 13, ON 266 S 87) und durch die nach der Tat angefertigten (ON 116 S 93 bis 125 [insbesonders ON 116 S 97 bis 101, 117 bis 121]) sowie die von der Sachverständigen anlässlich der Hauptverhandlung beigebrachten Lichtbilder (Beilage ./A zu ON 266) dokumentiert wird.

Auch von einem mildernden Nachtatverhalten kann mit Blick auf die solcherart objektivierten Verletzungsfolgen nicht ausgegangen werden (vgl auch die damit korrespondierenden Angaben der Florentina M*****, wonach der Angeklagte deren Drängen, die Rettung zu rufen, nicht nachgekommen ist und erst nach etwa zwanzigminütigem Zuwarten [die Zeugin schildert, man habe während der Zeit gesehen, „wie praktisch das Fleisch bei mir herunterrinnt“] zugelassen hat, dass andere Personen sie in ein Krankenhaus bringen [ON 270 S 17 iVm ON 133 S 17, 18]).

Ausgehend davon, dass die Erschwerungsgründe die Milderungsgründe sowohl an Zahl als auch an Gewicht überwiegen (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), dass die Tat auf eine gegenüber rechtlich geschützten Werten auffallend ablehnende Haltung des Täters zurückzuführen (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) und dass sie überaus rücksichtslos ausgeführt worden ist (§ 32 Abs 3 StGB), kann mit einer geringeren Freiheitsstrafe als der zeitlichen Höchststrafe (zwanzig Jahre) nicht das Auslangen gefunden werden.

Demnach war der Berufung nicht zu folgen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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