JudikaturOGH

10ObS127/11s – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, wegen Pensionshöhe, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. August 2008, GZ 11 Rs 97/08a 9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Juli 2008, GZ 10 Cgs 169/08p 5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Das am 9. Februar 2010 unterbrochene Revisionsverfahren wird von Amts wegen wieder aufgenommen.

II. Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich seines bestätigten Teils insgesamt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin eine Alterspension in der Höhe von 594,97 EUR brutto monatlich ab 1. 1. 2008 mit den seither erfolgten Pensionsanpassungen abzüglich bereits geleisteter Zahlungen zu gewähren, und zwar die bisher fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Beträge monatlich im Nachhinein am 1. des Folgemonats.

2. Das auf Zahlung einer höheren Pensionsleistung gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin zu Handen des Klagevertreters die mit 371,52 EUR (darin enthalten 61,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezog von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt im Jahr 2007 eine Alterspension in Höhe von 578,71 EUR brutto monatlich. Sie bezieht keine Ausgleichszulage.

Mit Bescheid vom 4. 4. 2008 stellte die beklagte Partei fest, dass die Pension der Klägerin ab 1. 1. 2008 um 1,7 % erhöht werde und demnach 588,55 EUR monatlich betrage.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem Begehren auf Zahlung einer Pension in Höhe von 599,71 EUR brutto monatlich ab 1. 1. 2008. Die Bestimmung des § 634 Abs 10 ASVG, welche nur für Pensionen von mehr als 746,99 EUR monatlich anstatt einer Vervielfachung der Pension um den allgemeinen Anpassungsfaktor von 1,017 für das Jahr 2008 eine (prozentuell höhere) Pensionserhöhung um den Fixbetrag von 21 EUR monatlich vorsehe, diskriminiere mittelbar Frauen wie die Klägerin, deren Pensionen viel häufiger unter diesem Grenzbetrag liegen als jene von Männern, weil Frauen typischerweise von Teilzeitbeschäftigungen betroffen seien. Die genannte Bestimmung sei gemeinschaftswidrig, weil Art 4 Abs 1 der RL 79/7/EWG jede Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Anwendungsbereich der Systeme der sozialen Sicherheit, insbesondere auch bei der Berechnung der Leistung untersage. Da auch objektiv nicht gerechtfertigt werden könne, dass niedrigere Pensionen nur um 1,7 %, höhere Pensionen hingegen um einen Fixbetrag von 21 EUR monatlich (und damit prozentuell stärker) angehoben würden, habe die Klägerin aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts Anspruch auf die Anpassung ihrer Pension im selben Ausmaß wie die Bezieher höherer Pensionen von mehr als 746,99 EUR monatlich, konkret also ebenfalls um einen Fixbetrag von 21 EUR monatlich.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens unter Hinweis auf die geltende Gesetzeslage.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin ab 1. 1. 2008 die Pension in Höhe von 599,71 EUR brutto monatlich zu zahlen. Es stellte im Wesentlichen fest, dass in Österreich überwiegend Frauen Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz (von damals weniger als 750 EUR) beziehen. So erhielten im Dezember 2007 408.910 Frauen (57 % der Pensionistinnen) und 153.553 Männer (25 % der Pensionisten) eine Eigenpension aus dem Versicherungsfall des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit von weniger als 750 EUR brutto monatlich. Im Zuge der Pensionsanpassung für das Jahr 2008 seien folgende Erhöhungen vorgenommen worden:

a) für Personen bis zum Ausgleichszulagenrichtsatz (dh bis nunmehr 746,99 EUR monatlich) um 1,7 % (= Anpassungsfaktor),

b) für Pensionen über 746,99 EUR bis 1.050 EUR monatlich um einen Fixbetrag von 21 EUR monatlich (= 2,81 % bis 2 %),

c) für Pensionen über 1.050 EUR bis 1.700 EUR monatlich um 2 %,

d) für Pensionen über 1.700 EUR bis 2.161,50 EUR monatlich zwischen 2 % und 1,7 % (linear abfallend) und

e) für Pensionen über 2.161,50 EUR monatlich um den Fixbetrag von 36,75 EUR monatlich vor.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass die Verordnung zur Festsetzung des Anpassungsfaktors BGBl II 2007/337 und die ergänzende Regelung des § 634 Abs 10 ASVG geschlechtsneutral formuliert seien, dennoch aber wie sich aus den Feststellungen ergebe einen wesentlich höheren Prozentsatz der Frauen als Männer benachteilige. Es sei eine mittelbare Diskriminierung vorgelegen, da niedrige, unter 747 EUR brutto liegende Pensionen wesentlich weniger erhöht werden, als Pensionen die über diesem Betrag liegen und diese Pensionen größtenteils von Frauen bezogen werden. Die Anpassungsregelung des § 634 Abs 10 ASVG iVm der Verordnung zur Festsetzung des Anpassungsfaktors benötige zu ihrer europarechtlichen Zulässigkeit demnach einer sachlichen Rechtfertigung. Diese sei durch die mit der Pensionsanpassung 2008 ebenfalls erfolgte Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes deshalb nicht gegeben, da diese aufgrund von Berücksichtigung vieler Faktoren, wie etwa des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten oder des Anspruchs auf Witwenpension nicht zwingend zu einer Erhöhung des auszuzahlenden Betrags führe; dies insbesondere wenn wie bei der Klägerin kein Anspruch auf Ausgleichszulage bestehe. Da auch sonst keine sachliche Rechtfertigung gegeben sei, hätten die Mitglieder der benachteiligten Gruppe Anspruch auf Anwendung der gleichen Regelung wie die übrigen Leistungsberechtigten. Die Untergrenze des § 634 Abs 10 ASVG von 747 EUR sei daher für die Berechnung der Pensionsanpassung außer Acht zu lassen und der Klägerin eine gegenüber dem Kalenderjahr 2007 um 21 EUR erhöhte Pension von 599,71 EUR zuzusprechen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die beklagte Partei schuldig erkannte, der Klägerin ab 1. 1. 2008 eine Pension von monatlich 588,55 EUR auszuzahlen; das Mehrbegehren auf Zahlung einer höheren Pension wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Pensionsanpassung 2008 noch nicht vorliege.

Rechtlich ging das Berufungsgericht zusammengefasst davon aus, dass die Ausgleichszulage ganz allgemein den Zweck einer existenzsichernden Mindestversorgung jener (überwiegend weiblichen) Versicherten verfolge, die aufgrund langer Kindererziehungszeiten, Teilzeitbeschäftigung und anderer, typischerweise auf Frauen zutreffender Umstände geringere Beitragszeiten und Beitragsgrundlagen in der Pensionsversicherung aufweisen, was sich nachteilig auf die Leistungshöhe auswirke. Mit der Pensionsanpassung 2008 sei der Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Pensionsbezieherinnen von 726 EUR auf 747 EUR (somit um 21 EUR) erhöht worden. Damit sei gewährleistet, dass auch jene Gruppe von Kleinstpensionisten, die nicht einmal über das Existenzminimum verfügen, im Wege der Ausgleichszulage eine Erhöhung ihres Pensionseinkommens um denselben Fixbetrag von 21 EUR erhalte, was prozentuell einer weit über dem allgemeinen Anpassungsfaktor von 1,017 liegenden Valorisierung von 2,89 % entspreche. Knüpfe der Gesetzgeber bei der Pensionsanpassung 2008 erkennbar und sachgerecht an das System der Ausgleichszulage an, das weit überwiegend Frauen durch Gewährung eines beitragsunabhängigen existenzsichernden Einkommens begünstige, können sachlich berechtigte und geschlechtsneutrale Anrechnungsbestimmungen innerhalb dieses Systems zu keiner mittelbaren Diskriminierung der primär begünstigten Gruppe führen. Die Regelung sei weder gemeinschaftswidrig, noch verstoße sie gegen den innerstaatlich von der Verfassung garantierten Gleichheitsgrundsatz. Es liege im Ermessensspielraum des Gesetzgebers, bei der Valorisierung von Pensionen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz zwischen Ausgleichszulagenbeziehern und jenen Pensionsbeziehern zu unterscheiden, die infolge eines über den Richtsatz hinausgehenden zusätzlichen Einkommens von vornherein besser abgesichert seien.

Gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.

Die Klägerin vertritt in ihren Rechtsmittelausführungen weiterhin den Standpunkt, die RL 79/7/EWG sei auf die Bestimmungen der Pensionsanpassung 2008 anzuwenden und die Regelung des § 634 Abs 10 ASVG verstoße gegen das Gemeinschaftsrecht. Weiters wiederholt sie ihre verfassungsrechtlichen Bedenken wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und des Eigentumsrechts.

Dazu ist Folgendes auszuführen:

1. Der erkennende Senat hat die für den vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage bereits in seinem im gegenständlichen Verfahren ergangenen Beschluss vom 25. November 2008 (10 ObS 158/08w) näher dargelegt, sodass auf diese Ausführungen verwiesen werden kann.

2. Der Verfassungsgerichtshof wies mit Erkenntnis vom 24. 9. 2009, G 36/09 ua, den Antrag des Obersten Gerichtshofs, die die Pensionsanpassung für das Jahr 2008 betreffenden Bestimmungen des ASVG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und gegen die Eigentumsgarantie als verfassungswidrig aufzuheben, zurück, wobei er die in diesem Antrag und auch die in den anderen inhaltsgleichen Gesetzesprüfungsanträgen vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken auch inhaltlich nicht teilte.

3. Da die vorliegende Sozialrechtssache auch verschiedene gemeinschaftsrechtliche Fragen berührt, hat der Oberste Gerichtshof im Parallelverfahren 10 ObS 178/09p mit Beschluss vom 9. 2. 2010 das Revisionsverfahren gemäß § 90a GOG ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Oberste Gerichtshof hat in diesem Beschluss ua darauf hingewiesen, dass nach den im Verfahren vorgelegten statistischen Daten (Stand Dezember 2007) im Anwendungsbereich des ASVG insgesamt 1.325.762 Personen (davon 614.293 Männer und 711.469 Frauen) Pensionen aus eigener Erwerbstätigkeit (Eigenpensionen) bezogen haben. Innerhalb der Gruppe der Pensionsbezieher haben insgesamt 562.463 Personen eine Pension bis 750 EUR monatlich (= Kleinstpension) bezogen, wobei 408.910 Frauen und 153.553 Männer eine Pension bis zu dieser Höhe erhalten haben. Daraus folgt, dass innerhalb der weiblichen Pensionsbezieher der Anteil der Personen, die eine Pension nur bis zu 750 EUR monatlich beziehen, 57 % beträgt. Demgegenüber beläuft sich der Anteil der Personen mit einer Kleinstpension (bis 750 EUR monatlich) innerhalb der Personengruppe der männlichen Pensionsbezieher auf 25 %. Damit ist die Prozentzahl der Frauen, die durch die Pensionsanpassung 2008 negativ betroffen sind, im Ergebnis ungefähr 2,3 x höher als jene der Männer.

3.1 Mit Beschluss vom 9. 2. 2010, 10 ObS 176/09v, hat der Oberste Gerichtshof das Revisionsverfahren im gegenständlichen Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH über den im Verfahren 10 ObS 178/09p gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen.

3.2 Mit Urteil vom 20. Oktober 2011, RS C 123/10, Brachner , hat der EuGH auf die ihm vom Obersten Gerichtshof im Verfahren 10 ObS 178/09p vorgelegten Fragen zu Recht erkannt:

„1. Art 3 Abs 1 der RL 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass ein System der jährlichen Pensionsanpassung wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Geltungsbereich dieser Richtlinie und damit unter das Diskriminierungsverbot in Art 4 Abs 1 der Richtlinie fällt.

2. Art 4 Abs 1 der RL 79/7/EWG ist dahin auszulegen, dass das vorlegende Gericht in Anbetracht der ihm unterbreiteten statistischen Daten und mangels gegenteiliger Anhaltspunkte zu der Annahme berechtigt wäre, dass diese Bestimmung einer nationalen Regelung entgegensteht, die dazu führt, dass ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher von einer außerordentlichen Pensionserhöhung ausgeschlossen wird.

3. Art 4 Abs 1 der RL 79/7/EWG ist dahin auszulegen, dass falls das vorlegende Gericht im Rahmen der von ihm zur Beantwortung der zweiten Frage vorzunehmenden Prüfung zu dem Ergebnis kommen sollte, dass der Ausschluss der Kleinstpensionen von der außerordentlichen Erhöhung, die die im Ausgangsverfahren fragliche Anpassungsregelung vorsieht, tatsächlich geeignet war, einen erheblich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher zu benachteiligen diese Benachteiligung weder mit dem früheren Pensionsanfallsalter erwerbstätiger Frauen noch mit der bei ihnen längeren Bezugsdauer der Pension oder damit gerechtfertigt werden kann, dass auch der Ausgleichszulagenrichtsatz für das Jahr 2008 überproportional erhöht wurde.

4. Nach Vorliegen dieses Urteils ist das im gegenständlichen Verfahren unterbrochene Revisionsverfahren von Amts wegen wiederaufzunehmen.

5. Der Oberste Gerichtshof hat im Sinne der bindenden Rechtsansicht des EuGH davon auszugehen, dass ein System der jährlichen Pensionsanpassung wie das im gegenständlichen Verfahren zu beurteilende System der Pensionsanpassung 2008 in den Geltungsbereich der RL 79/7/EWG und damit unter das Diskriminierungsverbot in Art 4 Abs 1 dieser Richtlinie fällt. Weiters kann der Oberste Gerichtshof davon ausgehen, dass das Diskriminierungsverbot der RL 79/7/EWG der nationalen Regelung des § 634 Abs 10 ASVG entgegensteht, die die Kleinstpensionen (unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz von 77 EUR) geringer erhöht als höhere Pensionen und daher im Ergebnis dazu führt, dass ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher von einer außerordentlichen Pensionserhöhung ausgeschlossen wird. Weiters ist aufgrund der bereits dargelegten statistischen Daten davon auszugehen, dass der Ausschluss der Kleinstpensionen von der außerordentlichen Erhöhung tatsächlich geeignet war, einen erheblich höheren Prozentsatz weiblicher als männlicher Pensionsbezieher zu benachteiligen und diese Benachteiligung weder mit dem früheren Pensionsanfallsalter erwerbstätiger Frauen noch mit der bei ihnen längeren Bezugsdauer der Pension oder damit gerechtfertigt werden kann, dass auch der Ausgleichszulagenrichtsatz für das Jahr 2008 überproportional erhöht wurde. Da auch sonstige sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Kleinstpensionen und höheren Pensionen nicht ersichtlich sind, gelangt der erkennende Senat zu dem Ergebnis, dass die im Rahmen der Pensionsanpassung 2008 vorgesehene, geringere Anhebung der Kleinstpensionen eine wesentliche Benachteiligung weiblicher Personen darstellt, die nicht durch einen objektiven Grund sachlich gerechtfertigt ist.

5.1 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine nationale Regelung, die gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung nach Art 4 Abs 1 RL 79/7/EWG verstößt, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar. Die nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten sind daher gehalten, die betreffende Bestimmung außer Anwendung zu lassen, ohne dass ihre vorherige Aufhebung durch den Gesetzgeber beantragt oder abgewartet werden müsste. Die Wahl der zur Beseitigung der rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu treffenden Maßnahmen ist dabei grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten. Daher kann die Ungleichbehandlung sowohl durch Ausdehnung der Vergünstigung auf die bisher ausgeschlossene Personengruppe als auch durch Abschaffung der Vergünstigung insgesamt beseitigt werden. Solange von dem betreffenden Mitgliedstaat keine mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmende Regelung erlassen worden ist, kann nach Ansicht des EuGH der Gleichheitssatz nur dadurch gewahrt werden, dass die Vergünstigungen, die die Mitglieder der begünstigten Gruppe erhalten, auch auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe erstreckt werden und diese nunmehr in dieses Leistungssystem einbezogen werden. Dabei bleibt die RL 79/7/EWG das einzig gültige Bezugssystem für die Gleichbehandlung. In diesem Sinne ist das nationale Gericht gehalten, die diskriminierende nationale Regelung außer Anwendung zu lassen und auf die Mitglieder der benachteiligten Gruppe jene Regelung anzuwenden, die für die Mitglieder der anderen Gruppe gilt (vgl dazu EuGH RS 384/85, Borrie Clarke , Slg 1987, 2865; RS C 184/89, Helga Nimz , Slg 1991, I 00297 uva).

5.2 Die Bestimmung des § 634 Abs 10 ASVG ist, wie bereits dargelegt wurde, insoweit als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar zu erachten, als jene Pensionen, deren Höhe die Grenze von 746,99 EUR nicht überschreitet, von der sozial gestaffelten Anpassung ausgeschlossen werden. Solange der österreichische Gesetzgeber nicht in entsprechender Form tätig wird und die bestehende Ungleichbehandlung durch allgemeine oder besondere Maßnahmen beseitigt, hat die Anwendung des § 634 Abs 10 ASVG durch die nationalen Gerichte daher in dem Umfang zu unterbleiben, in dem weiblichen Kleinstpensionsbeziehern die außerordentliche Anpassung ihrer Pensionsleistung verwehrt wird. Auf die betroffene Personengruppe ist eben jene Regelung anzuwenden, die auch für die Mitglieder der begünstigten Gruppe, das heißt für die Bezieher einer Pension in einer Höhe über 746,99 EUR bis 1.050 EUR gilt. Die Pension dieser Gruppe wurde um einen Fixbetrag von 21 EUR monatlich (entspricht einer prozentuellen Erhöhung von 2,81 % bis 2 %) erhöht. Die Pension der Klägerin, die eine Pension unter 747 EUR monatlich erhalten hat, ist daher um 2,81 % (wie eine Pension im Ausmaß von 747 EUR im Sinne einer Umrechnung des Fixbetrags in einem Prozentsatz) zu erhöhen. Der von der Klägerin begehrte Zuspruch einer Pension in Höhe von 599,71 EUR brutto monatlich ab 1. 1. 2008 würde hingegen einer Erhöhung ihrer Pension um 3,63 % entsprechen.

5.3 Die Pension der Klägerin beträgt daher ab 1. 1. 2008 594,97 EUR brutto monatlich. In diesem Umfang erweist sich ihr Klagebegehren als berechtigt, während das Mehrbegehren abgewiesen werden musste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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