JudikaturOGH

11Os145/11z – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. November 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas R***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 4. August 2011, GZ 22 Hv 69/11d 26, sowie dessen Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 494 Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Andreas R***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er von April 2010 bis April 2011 in Linz in einer Vielzahl (zumindest 16) Einzelangriffen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er die am 29. November 2000 geborene Celine K***** jeweils über ihrer Kleidung

a) zumindest 10 Mal mit der Hand im Bereich der Scheide betastete;

b) zumindest 5 Mal einen Finger gegen die Scheide bohrte und diese

c) zumindest 1 mal im Bereich der Scheide küsste.

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO.

Rechtliche Beurteilung

Unvollständigkeit im Sinne des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes liegt vor, wenn das Gericht bei Feststellungen entscheidender Tatsachen erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgeführte Verfahrensergebnisse mit Stillschweigen übergeht, Widersprüche zwischen den Aussagen vernommener Personen nicht würdigt oder die seinen Feststellungen widerstreitenden Beweisergebnisse nicht erörtert oder die Gründe nicht angibt, aus denen es diese Beweise nicht für stichhältig erachtet. Dem Gericht ist allerdings aufgetragen, die Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO); es genügt daher zur Erreichung der vollen Bestimmtheit im Sinne der genannten Gesetzesstelle eine zusammenfassende Würdigung der Beweismittel in ihrer Gesamtheit. Ein Begründungsmangel liegt nicht schon deshalb vor, weil nicht der vollständige Inhalt sämtlicher Aussagen wie überhaupt sämtliche Verfahrensergebnisse im Einzelnen erörtert und darauf untersucht werden, wie weit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen ( Fabrizy , StPO 11 § 281 Rz 43, 43a; Ratz , WK StPO § 281 Rz 428, 429). Das Rechtsmittelgericht tritt bei Erledigung einer Mängelrüge nicht in die Bewertung der vom Erstgericht berücksichtigten Verfahrensergebnisse, mit anderen Worten in die Würdigung des herangezogenen Beweismaterials als Bezugspunkt der Beweiswürdigung ein, sondern lediglich in die Auswahl des für diese Bewertung heranzuziehenden Verfahrensstoffes ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 421). Erhebliche Tatsachen sind schließlich solche, die nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung nicht gänzlich ungeeignet sind, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, das heißt für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellungen, zu beeinflussen ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 409; RIS Justiz RS0118316, RS0116877). Nur solche Tatumstände sind zur Erreichung voller Bestimmtheit im Sinne von § 270 Abs 2 Z 5 StPO gesondert erörterungsbedürftig ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 421; 11 Os 116/04, EvBl 2005/81, 356, 11 Os 41/05x uvam).

Zu Unrecht behauptet der Beschwerdeführer eingangs, seine leugnende Einlassung sei bloß pauschal abgehandelt worden. Dementgegen vertiefte sich die erstrichterliche Beweiswürdigung (auch dazu) gar wohl in aussagekräftige Detailaspekte (US 5, 6). Die Übereinstimmungen der Angaben des Angeklagten und der Mutter des Opfers werden dabei dem Rechtsmittelvorwurf zuwider auf US 7 ausdrücklich erwähnt.

Die Aussage der Letztgenannten über die „nicht vielen Möglichkeiten“ des Alleinseins des Angeklagten mit ihrer Tochter (ON 25 S 19) korrespondieren mit der auf ein Jahr verteilt geringen Zahl der Angriffe und bedurften sohin keiner gesonderten Erörterung, zumal die Behauptung, „immer“ dabei gewesen zu sein (ON 2 S 39), im gleich darauffolgenden Absatz der Niederschrift relativiert wird (überraschendes Heimkommen der Mutter und Antreffen des Angeklagten in Gegenwart der Tochter). Ebenso wenig besonders zu würdigen war der Versuch des gänzlich leugnenden Angeklagten, die Zahl seiner Angriffsmöglichkeiten durch die bloße Behauptung, „nur zwei Mal mit Celine allein gewesen“ zu sein (ON 25 S 7), zu reduzieren.

Vermutungen des Nichtigkeitswerbers über ein Motiv der Kindesmutter für eine Falschbelastung (Angst um ihre Tochter und der mögliche Verlust der Autorität über diese ON 25 S 13 und 25) betreffen keine entscheidende Tatsache. Der aufgrund des persönlichen Eindrucks zur Überzeugung der Tatrichter von der im Rechtsmittel angesprochenen Glaubwürdigkeit dieser Zeugin führende kritisch psychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RIS Justiz RS0106588; Ratz , WK StPO § 281 Rz 431).

Die vom Erstgericht erwähnten Fußtritte des Opfers zur Abwehr sexueller Angriffe (US 8) können ohne weiteres neben der Erzählung des Angeklagten (ON 25 S 15), die Tritte seien vom Mädchen als Demonstration eines erlebten anderen Vorfalls getätigt worden, bestehen und bedurfte letztere somit keiner eigenen Erwähnung in der Beweiswürdigung.

Keine erheblichen Umstände im oben genannten Sinn spricht der Beschwerdeführer an, wenn er darauf hinweist, das kleine Mädchen habe sich freiwillig mit ihm abgegeben (ON 25 S 15), habe sich sogar auf seinen Schoß gesetzt (ON 2 S 39) und sich über sein Kommen gefreut (ON 25 S 23). Welcher Zusammenhang das Schreiben einer einen Schreibfehler enthaltenden Textbotschaft mit dem Schuldvorwurf haben soll, bleibt das Rechtsmittel darzulegen schuldig. Letztlich verliert sich der Angeklagte („... es zutiefst seltsam anmutet, ...“) in eine eigenständige Beweiswürdigung, wie sie nur in der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld im Einzelrichterprozess gesetzlich vorgesehen ist.

Die Erzählung des Angeklagten, er habe der danach fragenden Celine verboten, ihrer Mutter zu erzählen, dass er diese „schon irgendwie ... liebe“ (ON 25 S 15), steht in keinem Zusammenhang mit den Angaben des Opfers, der Mann habe ihr verboten, ihrer Mutter über die sexuellen Angriffe zu berichten (US 8), und war schon deshalb nicht erörterungsbedürftig.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war somit bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der unter einem erhobenen Berufung sowie der (implizierten) Beschwerde folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise