14Os79/11s – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 8. November 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Ludwig als Schriftführer in der Strafsache gegen David M***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 9. September 2010, GZ 49 Hv 46/08x 62, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde David M***** soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I/1), jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I/1 und 2) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II/1 und 2) sowie (richtig vgl auch ON 61 S 26:) mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (III) schuldig erkannt.
Danach hat er in N*****
(I) mit unmündigen Personen, nämlich der am 1. Mai 1996 geborenen Tamara D***** und der am 28. April 1996 geborenen Karoline K***** jeweils dadurch, dass er mit seinem Zeigefinger in deren Scheide eindrang, dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar:
(1) von Sommer 2004 bis 22. Juli 2006 wiederholt mit Tamara D*****, wobei die Taten eine schwere Körperverletzung, nämlich eine hochgradige psychische Belastungsstörung, zur Folge hatten;
(2) am 22. Juli 2006 mit Karoline K*****;
(II) bei über den zu Punkt I erfassten Angriffen hinausgehenden Gelegenheiten außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an den zu I genannten unmündigen Personen vorgenommen, und zwar:
(1) von Sommer 2004 bis 22. Juli 2006 wiederholt mit Tamara D***** dadurch, dass er intensiv ihre Brüste betastete, ihre Scheide betastete und küsste und von ihr sein Glied berühren ließ;
(2) am 22. Juli 2006 mit Karoline K***** dadurch, dass er intensiv ihre Brüste und ihre Scheide betastete;
(III) von Sommer 2004 bis 22. Juli 2006 als Onkel der Tamara D*****, die während ihrer Besuche in seinem Haus seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung ihr gegenüber die zu I/1 und II/1 geschilderten geschlechtlichen Handlungen mit der Genannten vorgenommen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 5, Z 5a und Z 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Entgegen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) betrifft die vermisste Erörterung der wiederholten Schilderung einer Penetration mit dem Penis durch die Zeugin Tamara D***** keine entscheidende Tatsache. Abgesehen davon, dass der in Rede stehende Tatumstand nicht Gegenstand der Schuldsprüche ist ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 399), stellen wie der Beschwerdeführer selbst einräumt Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit eines Zeugen oder Angeklagten nichts anderes als eine erhebliche Tatsache dar, deren sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung in Frage zu stellen auf eine Bekämpfung der Beweiswürdigung hinausläuft (RIS-Justiz RS0106588). Einen solchen unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung unternimmt der Beschwerdeführer aber, soweit er die aus dem nicht wortwörtlich gleichbleibenden Aussageverhalten der Zeugin D***** abgeleitete Zuverlässigkeit (US 9) dieser Zeugin mit dem Hinweis der Nichtberücksichtigung ihrer inhaltlichen Aussagekonstanz in Bezug auf die behaupteten Penetrationen mit dem Penis in Zweifel zu ziehen sucht.
Da das Erstgericht ohnedies davon ausging, dass die Gynäkologin Dr. Monika W***** am 22. September 2006 die Unversehrtheit des Hymens der Tamara D***** festgestellt hatte (US 13), bleibt unerfindlich, welcher zusätzliche Beweiswert den von der Beschwerde relevierten Angaben dieser Ärztin zur Durchführung und den Ergebnissen ihrer Untersuchung (wonach die Anamnese unverdächtig war und sie das Vorliegen einer Verletzung des Hymens ausschließen konnte) zukommen soll. Die dazu getätigten Angaben der Sachverständigen Dr. S***** zur Frage der Sichtbarkeit einer am 22. Juli 2006 zugefügten Verletzung des Hymens bezogen sich vom Rechtsmittelwerber vernachlässigt auf eine ohnedies nicht angenommene Penetration mit dem Penis (vgl ON 61 S 17) und bedurften daher keiner Erörterung.
Gleiches gilt für die die Urteilsannahme, dass der Angeklagte nicht wollte, dass die Taschenlampe eingeschaltet werde (US 9), im Übrigen gar nicht tangierende Frage, ob während der Tatvorfälle vom 22. Juli 2006 im Zelt eine Taschenlampe eingeschaltet war oder nach den Angaben der Zeugin D***** allenfalls noch Tageslicht herrschte.
Mit den im Rechtsmittel isoliert hervorgekehrten Details der Angaben der Karoline K*****, die entgegen der (auch auf Z 5 dritter Fall gestützten) Beschwerdeargumentation digitale Vaginalpenetrationen und ein Betasten ihrer Scheide sehr wohl deponierte (ON 16 S 5 ff, 9 ff), mussten sich die Tatrichter dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend ebenfalls nicht befassen.
Der Einwand unterbliebener Würdigung der Angaben der Zeugin D***** vor der Polizei geht daran vorbei, dass sich die Tatrichter ausdrücklich mit den Aussagedivergenzen der Zeugin zwischen polizeilicher und kontradiktorischer Vernehmung (US 9, 12) auseinander setzten. Aus diesem Grund konnte auch die Erörterung der Ausführungen der Sachverständigen Dr. E***** zur „eingeschränkten Aussagekonstanz“ dieser Zeugin unterbleiben (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO).
Der weiteren Rüge (nominell auch Z 10, der Sache nach nur Z 5 zweiter Fall) zuwider ist das Gutachtenskalkül der Sachverständigen Dr. W***** (wonach nicht beantwortet werden könne, inwieweit [also in welchem Ausmaß] sexuelle Übergriffe zu der Tamara D***** attestierten psychischen Störung beigetragen haben) für die Annahme der Qualifikation nach § 206 Abs 3 erster Fall StGB nicht entscheidend, stellt es doch weder die von der Sachverständigen im Übrigen bejahte (ON 53 S 7, 12 f) Kausalität (zur Äquivalenztheorie Kienapfel/Höpfel AT 13 Z 10 Rz 1 ff, insb Rz 5) der Tathandlungen zum qualifizierenden Taterfolg noch sonstige rechtliche Zurechnungskriterien in Frage.
Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, die Beweiswerterwägungen des Erstgerichts zur Glaubwürdigkeit der Zeugin D***** unter Hinweis auf das zur Mängelrüge Vorgebrachte pauschal als verfehlt zu kritisieren und verlässt damit den Anfechtungsrahmen des angesprochenen Nichtigkeitsgrundes. Denn Z 5a verlangt, aus dem in der Hauptverhandlung vorgekommenen deutlich und bestimmt zu bezeichnenden Beweismaterial erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu entwickeln (RIS-Justiz RS0119583; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 471, 481).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Wie die Generalprokuratur zutreffend ausführt, besteht auch kein Anlass für eine amtswegige Maßnahme (§ 290 Abs 1 StPO) in Betreff der sowohl nach § 206 StGB als auch § 207 Abs 1 StGB erfolgten Schuldsprüche.
Hinsichtlich Tamara D***** ging nämlich das Erstgericht vom Vorliegen (zumindest) zweier echt realkonkurrierender strafbarer Handlungen nach § 207 Abs 1 StGB (vgl dazu Philipp in WK 2 § 206 Rz 31) aus, wie die Feststellungen („Einmal küsste er auch ihre Scheide. Bei einer Gelegenheit griff Tamara D***** auch den Penis des Angeklagten an“; US 6) im Zusammenhalt mit dem diese verdeutlichenden ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 580) Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO („Bei über den Punkt I. erfassten Angriffen hinausgehenden Gelegenheiten“; US 3) zeigen.
Bezüglich Karoline K***** wurde dem Angeklagten in Anbetracht des nur eine Tathandlung referierenden Ausspruchs nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO (US 3), auf welchen das Erkenntnis verweist, jeweils ein Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB und nach § 207 Abs 1 StGB angelastet (zu Klarstellungen durch den OGH vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 622). Nach den Urteilsfeststellungen betastete der Angeklagte zunächst im Zelt die Scheide der Karoline K*****, wobei er ihr seinen Zeigefinger einführte, und nahm danach (arg: „später“, „dort“) bei der Wehr erneut eine digitale Vaginalpenetration vor (US 7). Die verfehlte Subsumtion eines dieser gesonderten Handlungskomplexe unter § 207 Abs 1 StGB anstelle des § 206 Abs 1 StGB erfolgte somit zum Vorteil des Angeklagten.