14Os107/11h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4. Oktober 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kopinits als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang W***** wegen zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. Juni 2011, GZ 034 Hv 6/11s 63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch C, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die auf die Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde bezogenen Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang W***** zweier Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A), mehrerer Vergehen der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach §§ 12 zweiter Fall, 207a Abs 1 Z 1 StGB (B) und nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Satz StGB (C) sowie des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (D) schuldig erkannt.
Danach hat er soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde und die amtswegige Maßnahme relevant in Wien und Wiener Neustadt
(A) nachgenannte Personen mit Gewalt zur Duldung dem Beischlaf gleichzusetzender geschlechtlicher Handlungen genötigt, und zwar
I) zwischen Juli 2009 und März 2010 den damals 15-jährigen Eduardo R*****, indem er ihn festhielt und auszog, ihm einen Stoß versetzte, sodass er zu liegen kam, ihn derart auf die Sitzbank drückte, dass er seinen Arm hinter seinem Rücken einklemmen und den anderen mit seiner Hand fixieren konnte, ihn an der Hüfte packte und sodann trotz seiner Gegenwehr mit seinem Penis in dessen After eindrang;
II) im Sommer 2008 den damals 14-jährigen Florian Wi*****, indem er sich auf dessen Becken setzte, ihm die Hose hinunterzog, ihn an den Armen festhielt, ihn fixierte, indem er seinen Brustkorb auf das Bett drückte und sodann trotz seiner Gegenwehr dessen Penis in den Mund nahm;
(C) ab 4. März 2006 „pornographische Darstellungen mündiger und unmündiger minderjähriger Personen (§ 207a Abs 4 StGB), wie in ON 18 beispielhaft angeführt“
I) sich bis 6. August 2010 verschafft und bis 9. November 2010 besessen, „indem er diese aus dem Internet bzw von Chatpartnern im Chat, so auch durch die zu C (gemeint: B) näher beschriebene Handlung, oder via E-Mail bezog und abspeicherte“, und zwar auf zwei Festplatten und einem USB-Stick insgesamt 145 „Bilddateien“ und sieben „Videodateien“;
II) bis 9. November 2010 einem verdeckten Ermittler und zumindest elf anderen unbekannten Personen verschafft, indem er diesen via E-Mail zwischen einem und zwanzig „Bilddateien bzw Videodateien“ pro Nachricht und dem verdeckten Ermittler über die Internetplattform MSN eine nicht mehr festzustellende Anzahl an „Videodateien“ übermittelte.
Rechtliche Beurteilung
Die ausschließlich gegen den Schuldspruch wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A) gerichtete, aus den Gründen der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.
Entgegen dem Einwand der Mängelrüge sind weder die in der Beschwerde bloß „auszugsweise“ wiedergegebenen und urteilsfremd interpretierten Feststellungen zum vom Vorsatz des Beschwerdeführers umfassten Einsatz von Gewalt als Nötigungsmittel noch deren Begründung undeutlich im Sinn der Z 5 erster Fall.
Die Tatrichter haben die unmissverständlichen diesbezüglichen Konstatierungen zum objektiven Sachverhalt (zum Schuldspruch A/I: US 9, zum Schuldspruch A/II: US 10) vielmehr aus den für glaubwürdig erachteten Angaben der Zeugen Eduardo R***** und Florian Wi***** und die gleichermaßen deutlichen Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite (wonach der Angeklagte jeweils mit dem Vorsatz handelte, die sich wehrenden Jugendlichen durch den Einsatz der beschriebenen Gewalt zur Duldung des Anal- und Oralverkehrs zu nötigen und dabei wusste und sich damit abfand, dass diese keine geschlechtlichen Handlungen wollten [US 9 und 10]) ausdrücklich insbesonders aus der Handlungsweise des Beschwerdeführers und den Angaben der Tatopfer (US 11 bis 14; vgl auch Ratz , WK-StPO § 281 Rz 452) abgeleitet. Diese Erwägungen widersprechen weder Denkgesetzen noch grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS Justiz RS0118317) und sind daher dem Vorwurf bloßer Scheinbegründung zuwider auch unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) orientiert sich mit der unter Bezugnahme auf das Vorbringen der Mängelrüge aufgestellten Behauptung fehlender Feststellungen, die „dem Gewaltbegriff genügen würden“, nicht an den diesbezüglichen Urteilsannahmen (US 9 und 10) und verfehlt solcherart den (auf der Sachverhaltsebene) gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.
Mit Blick auf § 290 StPO sei festgehalten, dass die festgestellten Gewalthandlungen des Angeklagten die vorgenommene Subsumtion jedenfalls zu tragen vermögen (vgl zum Gewaltbegriff des § 201 Abs 1 StGB: RIS-Justiz RS0095232, RS0095260; Philipp in WK² § 201 Rz 13).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil in Betreff des Schuldspruchs C eine nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) anhaftet, die sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkt und daher amtswegig wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).
§ 207a StGB pönalisiert soweit hier wesentlich die Herstellung, das sich oder anderen Verschaffen und den Besitz pornographischer Darstellungen (mündiger und unmündiger) Minderjähriger, deren Definition sich in Abs 4 dieser Bestimmung findet. Zur Subsumtion unter § 207a StGB bedarf es daher der Feststellung der Kriterien dieses normativen Tabestandsmerkmals (vgl auch 12 Os 151/08k), die der angefochtene Entscheidung, die sich insoweit in der bloßen Anführung der verba legalia „pornographische Darstellungen Minderjähriger“ erschöpft (vgl US 7 f), nicht zu entnehmen sind.
Der im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) enthaltene Einschub „wie in ON 18 beispielhaft angeführt“ vermag die fehlenden Feststellungen ebenso wenig zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 15) wie der pauschale Hinweis auf „AS 37 ff in ON 18“ (US 8) und auf „ON 2, 6, 18 und 24“ im Rahmen der beweiswürdigenden Erwägungen (US 11).
Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen macht die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht erforderlich.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung war der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen den auf dem rechtskräftigen Schuldspruch A/II basierenden Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche (vgl Ratz , WK StPO § 296 Rz 1).
Für den zweiten Rechtsgang wird darauf hingewiesen, dass
1. das dem Schuldspruch C/II zugrunde liegende Täterverhalten ausreichende Feststellungen im oben aufgezeigten Sinn vorausgesetzt rechtsrichtig § 207a Abs 1 Z 2 StGB zu subsumieren ist,
2. die Wertung sowohl des Zusammentreffens zweier Verbrechen als auch der „zweifachen Tatbegehung im Rahmen des § 201 StGB“ (US 16) einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) begründet und
3. die Berücksichtigung der leugnenden Verantwortung des Angeklagten als eine für die Strafzumessung (mit-)entscheidende Tatsache (US 16) eine unrichtige Gesetzesanwendung (Z 11 zweiter Fall) darstellt (RIS-Justiz RS0090897; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 713).
Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO, wobei die amtswegige Maßnahme von der Kostenersatzpflicht nicht umfasst ist ( Lendl , WK-StPO § 390a Rz 12).