JudikaturOGH

15Os36/11z – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. September 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer in der Strafsache gegen Dr. Helmut F***** wegen Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21. Oktober 2010, GZ 72 Hv 15/09s 120, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Fürnkranz und des Verteidigers Dr. Ainedter, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der dem Schuldspruch 1./ zugrunde liegenden Taten unter § 206 Abs 1 StGB und der dem Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Taten unter  § 212 Abs 1 StGB, jeweils idF BGBl 1974/60, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Dr. Helmut F***** hat durch die im Schuldspruch beschriebenen Handlungen zu 1./ die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2001/130) und zu 2./ die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF (BGBl I 2006/56) begangen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Die Entscheidung über die Strafneubemessung obliegt dem Erstgericht.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird der Akt vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch der Angeklagten Renate K***** enthält, wurde Dr. Helmut F***** der Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (1./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er

1./ zu nicht mehr feststellbaren Zeitpunkten von Mitte/Ende Juli 1995 bis September 1998 mit der am 16. Juli 1985 geborenen, mithin unmündigen Sarah K***** in regelmäßigen Abständen den außerehelichen Beischlaf unternommen;

2./ im Zeitraum von Herbst 1996 bis Herbst 1998 durch die zu Punkt 1./ beschriebenen Tathandlungen unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstehenden Person, nämlich der minderjährigen, am 16. Juli 1985 geborenen Sarah K*****, diese zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 3, 4, 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Dem Vorbringen, die Verwertung von Befunden von befangenen Sachverständigen durch die in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. O***** und OA Dr. M***** begründe Nichtigkeit iSd § 281 Abs 1 Z 3 StPO, ist zu entgegnen, dass das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. O***** nach dessen Angaben (ON 109 S 5 f) sämtliche zur Verfügung stehende schriftliche Unterlagen wie Befundberichte, Arztbriefe und Vorgutachten berücksichtigte und sich auf eine eingehende persönliche Untersuchung des Angeklagten durch den Sachverständigen selbst, auf eingeholte elektrophysiologische Zusatzbefunde und auf ein von Dr. M***** erstelltes urologisches Subgutachten (ON 111) stützte. Relevante Auszüge aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen und Vorgutachten, darunter Auszüge aus Befund und gutachterlicher Stellungnahme des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. U***** (ON 109 S 31 ff) sowie des Sachverständigen Univ. Doz. Dr. J***** (ON 109 S 41 ff), wurden in dem in der Hauptverhandlung verlesenen schriftlichen Gutachten des Univ. Prof. Dr. O***** zwar wiedergegeben (ON 109 S 23 ff), daran anschließend legte der Sachverständige jedoch seinen eigenen Befund (ON 109 S 49 ff), erhobene Hilfsbefunde (ON 109 S 71 ff) und das urologische Subgutachten von Dr. M***** (ON 109 S 79 ff) dar und nahm eine eigenständige Beurteilung der an ihn herangetragenen Fragen vor (ON 109 S 87 ff). In dieser gutachterlichen Stellungnahme bezog er sich auf ärztliche Voruntersuchungen an der Neuro- und Thoraxchirurgischen Abteilung der Universitätsklinik für Neurochirurgie Graz aus dem Jahr 1993 (ON 109 S 89 ff, 99 ff, 131 ff), das Gutachten des Dr. M***** (ON 109 S 105, 121 ff, 131), ein Attest des Prim. Dr. S***** (ON 109 S 107 f), bestätigte von Univ. Doz. Dr. J***** im ersten urologischen Gutachten dargelegte Risiken für erektile Dysfunktion unter Berufung auf gängige Literatur (ON 109 S 139) und verwies auf einen Befund des Univ. Doz. Dr. J***** (ON 109 S 117), stützte sich aber keineswegs auf Befunde und Gutachten des vom Gericht wegen des Anscheins von Befangenheit enthobenen (vgl ON 94 und 97) Sachverständigen Univ. Prof. Dr. U*****. Auch das urologische Subgutachten des Dr. M***** bezog sich lediglich auf die bereits erwähnten Befunde aus dem Jahr 1993 (ON 111 S 7) sowie eine vom Sachverständigen selbst durchgeführte Untersuchung vom 12. April 2010 (ON 111 S 9).

Über Frage der Verteidigung in der Hauptverhandlung bekräftigte Univ. Prof. Dr. O*****, die Gutachten ON 92 und ON 96 seien in sein Gutachten gar nicht eingeflossen, er habe sie bloß zur Dokumentation erwähnt und sich über die gesamte Aktenlage informiert (ON 119 S 103 f), von Univ. Prof. Dr. U***** überhaupt nichts übernommen (ON 119 S 107), sondern aufgrund eigener Untersuchungen im Gegensatz zu diesem und Univ. Doz. Dr. J***** eine Blasenstörung festgestellt (ON 109 S 107 f), zumal die Ausführungen der zuvor befassten Gutachter für ihn nicht bindend gewesen seien (ON 109 AS 109). Dem unbegründet gebliebenen (vgl ON 94 und 97) Vorhalt der Verteidigung (ON 119 S 105 und 109), (auch) Univ. Doz. Dr. J***** sei befangen gewesen, erwiderte der Sachverständige, dessen Befund sei nicht befangen und im Übrigen für seine eigenen Schlussfolgerungen nicht nötig gewesen (ON 119 S 109 f), die auf S 139 der ON 109 zitierte Passage stelle bloß allgemeines (fachärztliches) Wissen und keine Schlussfolgerung dar (ON 119 S 111).

Dr. M***** gab in der Hauptverhandlung an, er habe die Befunde der Vorgutachter zwar gelesen, der urologische Befund von Univ. Doz. Dr. J***** sei aber als normal anzusehen und eine von diesem durchgeführte weitere Untersuchung ohne Relevanz; übernommen habe er aus dessen Gutachten nichts (ON 119 S 111 f).

Damit wurden der Beschwerde zuwider weder der vom Erstgericht aufgrund berechtigter Einwendungen der Verteidigung (ON 94) wegen des Anscheins von Befangenheit enthobene Sachverständige Univ. Prof. Dr. U***** (ON 97) noch Univ. Doz. Dr. J***** zu dessen in der Hauptverhandlung und im Rechtsmittel bloß behaupteter, aus dem Akteninhalt jedoch nicht abzuleitender Befangenheit kein den Anschein von Befangenheit stützendes Vorbringen erfolgte (vgl ON 94 und 97) durch Verwertung ihrer Gutachten mittelbar iSd § 126 StPO beigezogen. Allfällige Befangenheit der in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. O***** und Dr. M***** wurde nicht einmal behauptet. Die vermeintliche Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 3 iVm § 126 Abs 4 StPO) liegt sohin nicht vor.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines Gutachtens aus dem Fachgebiet der Gynäkologie zum Beweis dafür, dass mit der von den Sachverständigen Univ. Prof. Dr. O***** und Dr. M***** festgestellten erektilen Dysfunktion ein Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit Sarah K***** insbesondere im Hinblick auf deren Alter nicht möglich gewesen sei (ON 119 S 117 f), Verfahrensrechte des Angeklagten nicht verletzt.

Denn der Antrag legte nicht dar, weshalb ein solcher Beweis das behauptete Ergebnis erwarten ließe, obwohl die bereits in der Hauptverhandlung beigezogenen Mediziner mehrfach betonten, dass beim Angeklagten aktuell kein Funktionsverlust, sondern nur eine Funktionsstörung vorliege, über deren Ausmaß (und damit auch über die Penetrationsfähigkeiten des Angeklagten) im Tatzeitraum bloß spekuliert werden könne (ON 119 S 91 bis 99, 113). Damit fehlte es dem Beweisantrag aber auch an der geforderten Erheblichkeit, weil für dessen Grundannahme die Richtigkeit einer vom Schöffengericht als unglaubwürdig abgelehnten Behauptung (Penetrationsunfähigkeit) Voraussetzung wäre (RIS-Justiz RS0099721; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 342). Im Übrigen würde bereits die bloße Berührung der Geschlechtsteile mit Penetrationsvorsatz zur Vollendung der Tat genügen (zur alten Rechtslage: Leukauf/Steininger , Komm 3 § 206 RN 3 und 7; zur neuen Rechtslage: Philipp in WK 2 § 206 Rz 24).

Durch Bezugnahme auf die der Belastungszeugin Sarah K***** unterstellte „pathologische Lügenhaftigkeit“ sowie auf deren Probleme mit ihrer Mutter und deren ehemaligen Lebensgefährten Peter Z***** beleuchtender Aussage vom 25. November 2008 (ON 55) wurde mit der Erwägung, dass die dort angeführten Begleitumstände allesamt einer Überprüfung standhielten (US 13), implizit auch die vom Zeugen Z***** (ON 46 S 327 ff und ON 74 S 133 f) aufgestellte Behauptung einer angeblichen Neigung der Zeugin zu Verleumdung und Unwahrheit ausreichend berücksichtigt. Über diese Umstände hinaus war die Aussage nicht näher erörterungsbedürftig (Z 5 zweiter Fall), zumal sie keine für die Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidenden Tatsachen betraf und angesichts der Schilderung von (nicht fallbezogenen) Unwahrheiten und Übertreibungen einer Jugendlichen keine habituelle Falschbezichtigungstendenz erkennen ließ (vgl 12 Os 121/10a, 13 Os 40/06s).

Im Recht ist die Subsumtionsrüge (Z 10) mit dem Vorbringen, dass das zur Zeit der Urteilsfällung geltende Recht in seinen Gesamtauswirkungen in concreto nicht ungünstiger ist als das zur Tatzeit in Geltung stehende Recht.

Denn die von den Schuldsprüchen umfassten Tathandlungen sind sowohl von § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (1./) und § 212 Abs 1 StGB idF BGBl Nr 1974/60 (2./) als auch von § 206 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2001/130) und § 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF (BGBl I 2006/56) erfasst. Gemäß § 61 zweiter Satz StGB sind Strafgesetze dann auf vor ihrem Inkrafttreten begangene Taten anzuwenden, wenn die Gesetze, die zur Zeit der Tat gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung nicht günstiger waren. Dieser, den Gegenstand der Subsumtion (Z 10; vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 653) betreffende Günstigkeitsvergleich ist in concreto vorzunehmen. Dass eine neue Bestimmung bei gleicher Strafdrohung zusätzlich auch - im konkreten Fall nicht betroffene weitere Tathandlungen umfasst, ist ohne Belang (RIS-Justiz RS0112940). Demnach war die Unterstellung der den Schuldsprüchen 1./ und 2./ zugrunde liegenden Taten unter die §§ 206 Abs 1 bzw 212 Abs 1 StGB jeweils idF BGBl 1974/60 statt unter die bezüglich Beischlafshandlungen gleich günstigen §§ 206 Abs 1 idF BGBl I 2001/130 und 212 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2006/56 verfehlt.

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in der Subsumtion der dem Schuldspruch 1./ zugrunde liegenden Taten unter § 206 Abs 1 StGB und der dem Schuldspruch 2./ zugrunde liegenden Taten unter § 212 Abs 1 StGB, jeweils idF BGBl 1974/60, demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO zu erkennen, dass der Angeklagte durch die im Schuldspruch beschriebenen Handlungen zu 1./ die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idgF (BGBl I 2001/130) und zu 2./ die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF (BGBl I 2006/56) begangen hat.

Da der Angeklagte infolge stationären Krankenhausaufenthalts zum Gerichtstag nicht erschienen ist, war dieser auf die Verhandlung über die Nichtigkeitsbeschwerde zu beschränken und die erforderliche Strafneubemessung dem Erstgericht vorzubehalten.

Mangels Zustimmung des Verteidigers konnte über die Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche in Abwesenheit des Angeklagten nicht erkannt werden. Zur Entscheidung über dieses Rechtsmittel war der Akt daher vorerst dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rückverweise