12Os111/11g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 20. September 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Sommer als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 24. Mai 2011, GZ 15 Hv 10/11b 26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Wolfgang S***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 1. November 2010 in St. R***** Irmgard K***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er mit seinen Händen ihre Beine auseinander riss, ihr einen Polster auf das Gesicht drückte und gegen ihren Willen den vaginalen Geschlechtsverkehr vollzog.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die sich auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 8 StPO stützt. Sie verfehlt ihr Ziel.
Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ. Die fehlende Erörterung solcher Verfahrensergebnisse macht die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft. Dem Rechtsmittelgericht obliegt die Überprüfung, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte erwogen wurde, nicht aber die Kontrolle des Inhalts dieser Erwägungen (RIS-Justiz RS0118316).
Der Beschwerdeführer behauptet die Erörterung der Abweichungen der gerichtlichen Aussage des Opfers von jenen im Ermittlungsverfahren durch die Tatrichter (US 4 f) zugestehend unsubstantiiert, das Erstgericht hätte sich mit diesen Widersprüchen im Detail auseinandersetzen müssen. Die Mängelrüge wird solcherart schon dem Gebot der deutlichen Bezeichnung des Nichtigkeit begründenden Tatumstands (§§ 285 Abs 1 erster Satz, 285a Z 2 StPO) nicht gerecht, weil sie Darlegungen vermissen lässt, welches konkrete Beweismittel das erkennende Gericht zu bewerten unterlassen habe. Anzumerken ist überdies, dass der Ansicht des Angeklagten zuwider die Divergenzen, die der Zeugin auch in der Hauptverhandlung vorgehalten wurden (ON 20 S 23 ff), geringfügig sind. Insgesamt trachtet der Rechtsmittelwerber bloß, die Überzeugung des Schöffensenats von der Glaubwürdigkeit des Tatopfers anzufechten (vgl dazu RIS-Justiz RS0099649).
Weil Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) nur vorliegt, wenn ein Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt, geht auch der gegen die Bewertung der Tatrichter, eine detaillierte Vernehmung der Zeugin sei erst vor Gericht erfolgt, gerichtete Einwand fehl.
Dies gilt auch für die Kritik (Z 5 vierter Fall), das Erstgericht habe nicht erklärt, welche „vielen Fragen“ erst in der Hauptverhandlung gestellt worden seien (US 4), weil sie die an diese Passage des Urteils anschließende ausführliche Erörterung der Aussagedivergenzen unerwähnt lässt und solcherart nicht wie geboten Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe nimmt (RIS-Justiz RS0119370, RS0116504).
Dem weiteren Vorbringen zuwider ist die Aussage des Angeklagten vor der Polizei in der Hauptverhandlung vorgeführt worden, weil er seine bisherigen Angaben (ON 2 S 19 bis 25) zu seiner Verantwortung erhob (ON 20 S 5) und ihm überdies die im Widerspruch zu seiner gerichtlichen Verantwortung stehende Deposition (ON 2 S 23) vorgehalten wurde (ON 20 S 13), sodass sie vom Schöffengericht verwertet werden durfte ( Kirchbacher , WK-StPO § 245 Rz 52, 58). Der Nichtigkeitswerber trachtet lediglich danach, seiner leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen. Die solcherart auch hier unternommene Infragestellung der Glaubwürdigkeit des Opfers läuft auf eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung hinaus ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 431 mwN).
Unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO und darauf aufbauend mit Aufklärungsrüge (§ 281 Abs 1 Z 5a StPO) argumentiert der Beschwerdeführer, durch die erst in der mündlichen Urteilsverkündung und der schriftlichen Urteilsausfertigung vorkommende beweiswürdigende Erwägung des Schöffengerichts überrascht worden (und daher an einer entsprechenden Antragstellung gehindert gewesen) zu sein, wonach „zu vielen Fragen eine detaillierte Vernehmung erst vor Gericht erfolgt“ sei. Damit wird eine Behinderung der Verteidigung im Sinn des Schutzzwecks des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK nicht angesprochen, weil weder geänderte rechtliche Standpunkte noch in der Schuld- oder Subsumtionsfrage oder hinsichtlich der Strafbefugnisgrenze erhebliche Tatumstände, maW überraschende Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0120025; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 480, 545), sondern lediglich hier eine von mehreren Beweiswertüberlegungen der Tatrichter betroffen sind.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.