11Os79/11v – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Juli 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Einwagner als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Martin H***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Martin H***** und Jasmin Ha***** sowie die Berufungen des Angeklagten Günter R***** und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. April 2011, GZ 151 Hv 59/09t 252, ferner über die Beschwerden von Jasmin Ha***** und Günter R***** gegen die Beschlüsse nach § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten H***** und Ha***** werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Den Angeklagten H***** und Ha***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Martin H*****, Jasmin Ha***** und Günter R***** im dritten Rechtsgang nun auch der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (II.1.) und des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (II.2.) schuldig erkannt.
Danach haben sie am 6. Mai 2008 in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter
II.1. mit Gewalt Daniel E***** zur Bekanntgabe des PIN Codes seiner Bankomatkarte genötigt, indem Martin H***** und Jasmin Ha***** Daniel E***** Schläge versetzten und Günter R***** von ihm die Bekanntgabe des PIN Codes verlangte;
2. Bargeld dem Daniel E***** mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem sie Bargeld bei einem Bankomaten durch Eingabe des abgenötigten PIN Codes beheben wollten, wobei es aufgrund der Überziehung des Kontos beim Versuch blieb.
Gegen diesen Schuldspruch richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten H***** und Ha*****.
Rechtliche Beurteilung
Die Angeklagte Ha***** hat eine Nichtigkeitsbeschwerde zwar angemeldet (ON 260), diese aber nicht ausgeführt (ON 271). Da auch bei deren Anmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden, war das Rechtsmittel sogleich zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO).
Der Angeklagte H***** stützt seine Nichtigkeitsbeschwerde auf die Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO.
Soweit die Mängelrüge (Z 5) eine Begründung zur subjektiven Tatseite vermisst, ist sie auf die diesbezüglichen Erwägungen der Tatrichter auf US 10 zu verweisen. Gleiches gilt für die Konstatierungen zur Mittäterschaft der drei Angeklagten, die das Erstgericht auf die geständige Einlassung insbesondere der Mitangeklagten Ha***** und R***** gründete (US 9).
Indem die Beschwerde in der Folge die Verantwortung des Angeklagten wiederholt und Spekulationen über dessen fehlendes Motiv anstellt, bringt sie keinen formellen Begründungsmangel zur Darstellung, sondern bekämpft bloß den Schuldspruch nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld. Das Vorbringen schließlich, H***** habe nicht Gewalt gegen E***** geübt, „ um an den PIN Code zu gelangen“, spricht keine entscheidenden Tatsachen an, weil zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) nicht erforderlich ist.
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, mit anderen Worten intersubjektiv gemessen an Erfahrungs und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen wird dadurch nicht ermöglicht (RIS Justiz RS0119583).
Der Tatsachenrüge (Z 5a), die ohne Bezugnahme auf konkrete aktenkundige Beweisergebnisse (vgl aber RIS Justiz RS0117446) lediglich die Verantwortung des Angeklagten wiederholt, er habe keine Veranlassung zur Tat gehabt, er habe E***** nur geschlagen, der PIN Code sei ihm gleichgültig gewesen, gelingt es solcherart nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken.
Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS Justiz RS0099810).
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) feststellungskonträr behauptet, der Angeklagte habe von der Abnötigung „nichts mitbekommen“ (vgl aber US 7 f) und er habe keinen Bereicherungsvorsatz gehabt (vgl aber US 8), verfehlt sie diese Anfechtungskriterien.
Auch die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten H***** war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.