JudikaturOGH

14Os64/11k – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Juni 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juni 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Varga als Schriftführer in der Strafsache gegen Attila L***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 35 Hv 43/10v des Landesgerichts Leoben, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 5. Mai 2011, AZ 8 Bs 189/11x, 197/11y (ON 138), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Attila L***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Attila L***** wurde mit nicht rechtskräftigem (vgl ON 127 f) Urteil des Landesgerichts Leoben vom 21. April 2011, GZ 35 Hv 43/10v 125, des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (1) sowie der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (2) und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (3) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er am 23. September 2009 in Trofaiach gemeinsam mit einem deswegen rechtskräftig verurteilten Mittäter

1) Christian M***** mit Gewalt gegen dessen Person, indem er ihm zwei Faustschläge in das Gesicht versetzte und dem am Boden Liegenden noch gegen den Kopf trat, wodurch dieser eine Gehirnerschütterung mit Bewusstlosigkeit und retrograder Amnesie samt ausgeprägtem Brillen und Jochbogenhämatom und einer minimalen Rissquetschwunde am Kinn erlitt, eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Geldbörse samt darin befindlichen (cirka) 900 Euro und eine Lederschlüsseltasche mit Schlüsselbund mit dem Vorsatz weggenommen, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern;

2) im Zuge der zu 1 beschriebenen Straftat Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich einen Führerschein und eine E Card des Christian M*****, durch eigenmächtiges Ansichnehmen mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass sie vom Berechtigten im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden; und

3) im Zuge der zu 1 beschriebenen Straftat unbare Zahlungsmittel, über die er nicht verfügen durfte, nämlich die Kreditkarte und die Bankomatkarte des Christian M*****, durch eigenmächtiges Ansichnehmen mit dem Vorsatz unterdrückt, deren Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz den Beschwerden gegen die nach Urteilsverkündung am 21. April 2011 aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO beschlossene Verhängung (ON 122) und die aus demselben Haftgrund am 2. Mai 2011 (ON 134) beschlossene Fortsetzung der Untersuchungshaft dahingehend Folge, dass es zwar den Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO bejahte, diesen aber gegen die Leistung einer Sicherheit nach § 180 Abs 1 StPO und die Weisung, jeden Wechsel des Aufenthalts anzuzeigen (§ 173 Abs 5 Z 5 StPO) für substituierbar hielt.

In der allein gegen die Annahme von Fluchtgefahr gerichteten Grundrechtsbeschwerde reklamiert der nach wie vor in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte, dass er sich dem Verfahren und der Hauptverhandlung freiwillig gestellt und dargelegt habe, eine Kaution erlegen zu wollen, er kein Interesse habe, sich künftig der Strafverfolgung zu entziehen, über einen festen Wohnsitz in Rumänien verfüge, eine Kontaktadresse in Österreich angegeben und „im Zuge der Ermittlungen sehr dienliche Angaben der Polizei gemacht“ habe.

Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren kann die rechtliche Annahme von Fluchtgefahr als eine der von § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren vom Obersten Gerichtshof nur dahin überprüft werden, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO; worunter das Gesetz die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen hier einer hohen Wahrscheinlichkeit von Flucht tragenden Gründe versteht) abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (RIS Justiz RS0118185, RS0117806). Denn § 173 Abs 2 StPO verlangt nur, dass die herangezogenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen, kennt als Vergleichsbasis des Willkürverbots mithin nur die in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen, weshalb auch eine bei dieser Prognose unterbliebene Erwähnung einzelner aus Sicht des Beschwerdeführers erörterungsbedürftiger Umstände nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden kann (RIS Justiz RS0117806).

Der vom Oberlandesgericht in seiner (demnach allein den Bezugspunkt der Grundrechtsbeschwerde bildenden; vgl Ratz , Zur Bedeutung von Nichtigkeitsgründen im Grundrechtsbeschwerdeverfahren, ÖJZ 2005, 415 ff [416]) Entscheidung ins Treffen geführte gewichtige Umstand (vgl Kirchbacher/Rami , WK StPO § 173 Rz 33) der Verhängung einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe (nach rund dreimonatiger Vorhaft; vgl das gesetzliche Indiz der Z 1 des § 173 Abs 2 StPO: „wegen Art und Ausmaß der ihm voraussichtlich bevorstehenden Strafe“) lässt im Zusammenhalt mit den zudem angeführten Tatsachen, wonach der Angeklagte unmittelbar nach der Tat am 23. September 2009 nach Angaben seiner angeblichen Lebensgefährtin und Mutter eines seiner Kinder wegen „Problemen“ Österreich verlassen und sich vor der Verurteilung hauptsächlich in Rumänien aufgehalten hat, wo er sein Einkommen bezieht und wo sein zweites Kind lebt, den (vom Oberlandesgericht auch unter Berücksichtigung, dass sich der Angeklagte dem Verfahren von sich aus gestellt hat [BS 4], gezogenen) willkürfreien Schluss auf die konkrete Gefahr zu, der Angeklagte werde im Falle einer bedingungslosen Enthaftung Österreich verlassen und im Ausland durch Verschleierung seines tatsächlichen Aufenthalts alles daran setzen, den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und den zu erwartenden Strafvollzug verhindern (BS 3 f; vgl Kirchbacher/Rami , WK-StPO Vor §§ 170-189 Rz 8, wonach die Sicherung der Strafvollstreckung gleichwertiger Zweck der Untersuchungshaft ist).

Attila L***** wurde demnach im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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