14Os185/10b – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. März 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bergmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz M***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Geschworenengericht vom 8. September 2010, GZ 15 Hv 12/10g 91, sowie dessen Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz M***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 1. Juli 2009 in E***** versucht, Manuela Ma***** zu töten, indem er sie von hinten packte, sie am Hals würgte, ihr ein Messer ansetzte und ihr mit diesem tiefe Schnitt und Stichverletzungen im Halsbereich sowie an den Händen zufügte.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen aus Z 6 und 8 des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.
Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben von Zusatzfragen nach Notwehr, Putativnotwehr und Notwehrüberschreitung, ohne sich dabei an den Kriterien des beanspruchten Nichtigkeitsgrundes zu orientieren.
Die begehrte Fragestellung setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung entsprechende Tatsachen vorgebracht worden sind (§§ 313 und 314 StPO). Darunter ist nichts anderes zu verstehen als das Vorkommen einer erheblichen Tatsache, einer solchen also, die, wäre sie im schöffengerichtlichen Verfahren vorgekommen, bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig gewesen wäre. Demgemäß bedarf es zur prozessordnungskonformen Darstellung einer Rüge aus Z 6 des konkreten Hinweises auf derartige Tatsachen und zwar samt Angabe der Fundstelle in den Akten ( Ratz , WK StPO § 345 Rz 23, 42 f; RIS Justiz RS0124172).
Mit der Bezugnahme auf einzelne Details der Aussage des Angeklagten anlässlich seiner (in der Hauptverhandlung verlesenen [ON 90 S 65]) Vernehmung im Ermittlungsverfahren, wonach das spätere Tatopfer im Zuge eines verbalen Streits plötzlich ein Messer ergriffen und zwei bis drei Mal auf ihn eingestochen habe, als er ihr dieses wegnehmen habe wollen (ON 34 S 7), vernachlässigt die Rüge zunächst prozessordnungswidrig (vgl RIS Justiz RS0120766), dass der Beschwerdeführer nicht nur stets jegliche Erinnerung an den Fortgang der Auseinandersetzung, den Einsatz der Tatwaffe und die Messerstiche bestritt (ON 34 S 7, ON 90 S 14 f), sondern die im Rechtsmittel hervorgehobenen Angaben zudem in der Hauptverhandlung über detaillierte Befragung durch die Vorsitzende auch dahin richtig stellte, dass Manuela Ma***** das Messer zu ihrem Schutz ergriff, damit nicht auf ihn los ging, sondern es bloß in der Hand hielt, und er sich die bei ihm festgestellte Verletzung am Handballen bei dem Versuch, ihr die Waffe wegzunehmen, selbst zufügte (ON 90 S 14 f), und spricht damit kein die begehrte Fragestellung nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis (konkret: zum Vorliegen oder zur irrtümlichen Annahme eines unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffs auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen des Angeklagten oder eines Anderen, und zwar eines solchen Angriffs, zu dessen Abwehr der gegenständliche Würgegriff sowie der Einsatz eines Messers als Waffe gegen die [vermeintliche, nach Abnahme des Messers jedenfalls unbewaffnete] Angreiferin notwendig, also das unter den verfügbaren Mitteln Schonendste gewesen wäre) an (vgl erneut Ratz , WK StPO § 345 Rz 23).
In der Hauptverhandlung vorgekommene Indizien für das Vorliegen eines, für die weiters vermisste Fragestellung nach Notwehrüberschreitung erforderlichen asthenischen Affekts werden in der Beschwerde überhaupt nicht genannt.
Die Instruktionsrüge (Z 8) verkennt mit ihrer Forderung nach einer Belehrung der Geschworenen „über die Frage der Notwehr, der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts bzw der Notwehrüberschreitung“, dass die Rechtsbelehrung nur insofern angefochten werden kann, als sie Fragen betrifft, die den Geschworenen tatsächlich gestellt wurden (§ 321 Abs 2 StPO; Philipp , WK StPO § 321 Rz 19; Ratz , WK StPO § 345 Rz 63, jeweils mwN; RIS Justiz RS0101085).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gegen den Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht folgt (§§ 285i, 344, 498 Abs 3 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.