13Os146/10k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Februar 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kirnbauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Osman J***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 23. Juni 2010, GZ 14 Hv 130/07g 169, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Osman J***** im zweiten Rechtsgang (zum ersten: 13 Os 12/09b) jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1/a) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1/b), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (1/c) und eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt.
Danach hat er in Klagenfurt
(1) von 25. April 2004 bis 12. September 2005
a) mit seiner am 10. Dezember 1993 geborenen Stieftochter Michaela P*****, mithin einer unmündigen Person, „in zwei Angriffen den Beischlaf bzw eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen“;
b) außer dem Fall des § 206 StGB wiederholt dadurch geschlechtliche Handlungen an Michaela P***** vorgenommen, dass er sie teils bekleidet, teils unbekleidet „auf sich legte“, seinen Genitalbereich an ihrem Genitalbereich rieb und ihre Brüste betastete;
c) durch die zu 1/a und b beschriebenen Handlungen mit seinem minderjährigen Stiefkind geschlechtliche Handlungen vorgenommen;
(2) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen 25. April 2004 und 12. September 2005 Michaela P***** durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich davon Abstand zu nehmen, ihrer Mutter von den sexuellen Übergriffen zu erzählen, genötigt, indem er ihr ankündigte: „Wenn du das machst, dann dresche ich die Tür ein und watsch dich dann durch“.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.
Dem im Rahmen der Mängelrüge erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat das Erstgericht die Aussage der Zeugin Ines J*****, die unter anderem deponierte, sie habe im Zuge der von ihr durchgeführten Familienbetreuung keine Misshandlungsspuren beim Opfer festgestellt (AS 120 f/I, 184 ff/II und 128 ff/III), sehr wohl gewürdigt (US 9 f). Eine ausdrückliche Erörterung sämtlicher Details von Zeugenaussagen ist unter dem Aspekt vollständiger Urteilsbegründung nicht gefordert (RIS Justiz RS0098778). Soweit die Mängelrüge zudem einzelne Passagen dieser Zeugenaussage für die Schuld oder die Subsumtionsfrage nicht entscheidenden Feststellungen (vgl US 5 f) entgegenhält, geht sie schon im Ansatz fehl (RIS Justiz RS0118585).
Die Tatrichter haben sich mit Widersprüchen in den verschiedenen Aussagen der Zeugin Michaela P***** während des Verfahrens argumentativ auseinandergesetzt und dabei deren intellektuelle Minderbegabung, ihr fallweise wahrheitswidriges Aussageverhalten und Abweichungen in ihren Angaben betreffend Häufigkeit und Modalität der von ihr erlittenen sexuellen Übergriffe erwogen, ohne dieser Zeugin insgesamt Glaubwürdigkeit abzusprechen (US 12 f). Der auch in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) trifft daher nicht zu.
Dem Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider sind der Aussage der Zeugin Sabrina J***** eindeutige, den Feststellungen entgegenstehende (vgl US 6) Angaben dazu, wie lange sich der Angeklagte bei einem Vorfall mit dem Opfer im versperrten Schlafzimmer aufgehalten habe, nicht zu entnehmen (AS 126 und 132 f/I), weshalb ihre ausdrückliche Erörterung unter dem Aspekt der Vollständigkeit der Entscheidungsgründe nicht geboten war. Welche weiteren Aussagen von Geschwistern des Opfers das Schöffengericht übergangen haben soll, legt die Mängelrüge schließlich nicht deutlich und bestimmt dar (RIS Justiz RS0118316 [T5]).
Eine unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalts einer Aussage oder einer Urkunde in seinen wesentlichen Teilen behauptet der Beschwerdeführer gar nicht, weshalb die eingewendete Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) nicht in Betracht kommt.
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur schlechterdings unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS Justiz RS0118780).
Mit dem Argument, eine Infektion des Tatopfers mit den bei diesem diagnostizierten Geschlechtskrankheiten (vgl US 7) und eine Verletzung des Hymens könnten auf andere Weise als durch sexuellen Kontakt mit dem Beschwerdeführer erfolgt sein, werden erhebliche Bedenken im zuvor dargestellten Sinn ebenso wenig aufgezeigt wie mit dem Hinweis auf bereits im Rahmen der Mängelrüge thematisierte Widersprüche in den Angaben des Tatopfers und mit gegen dessen Glaubwürdigkeit teils ohne Angabe der Fundstellen im Akt (vgl RIS Justiz RS0124172) ins Treffen geführten Zeugenaussagen.
Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285d Abs 1 StPO) folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.