12Os139/10y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 25. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Michel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Adem Y***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 7. Juli 2010, GZ 42 Hv 23/10s 61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch einen Teilfreispruch und einen Privatbeteiligtenzuspruch enthaltenden Urteil wurde Adem Y***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./A./), der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (I./B./) und der Vergehen der Nötigung nach §§ 15 Abs 1, 105 Abs 1 StGB (II./A./ und B./), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (III./) sowie der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 1 (erg:) Z 1 StGB (IV./) schuldig erkannt.
Danach hat er soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Relevanz
I./ andere mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, und zwar
A./ im Herbst/Winter 2008/2009 in W***** Manuela P***** in ihrem PKW, indem er sich auf sie legte, ihre Arme nach hinten zur Kopfstütze drückte und mit einer Hand an den Handgelenken festhielt, ihre Beine mit der anderen Hand auseinander drückte, mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang und den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog;
B./ am 26. November 2009 in S***** Lisa S*****, indem er sie an den Händen und Armen aus dem Auto zerrte, neben der Straße zu Boden warf, sodass diese am Rücken zum Liegen kam, ihre Hose öffnete und diese hinunter zog, sodann ihre Beine auseinander zwängte und mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang und den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzog, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der vergewaltigten Person, nämliche eine posttraumatische Belastungsstörung, nach sich zog, die sich in Schlafstörungen und der Angst manifestierte, das Haus zu verlassen und unter Leute zu gehen (vgl US 16);
II./ die unter dem Eindruck der unter Punkt I./ geschilderten Taten stehenden Opfer durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper bzw an der Freiheit zu einer Unterlassung, nämlich der Anzeigeerstattung wegen der begangenen Taten zu nötigen versucht, und zwar
A./ Manuela P***** unmittelbar im Anschluss an die zu Punkt I./A./ beschriebenen Tathandlungen in W***** unter Ausführung einer ihre Tötung andeutenden Handbewegung und den Worten: „Ein Wort und ...“;
B./ Lisa S***** unmittelbar im Anschluss an die zu Punkt I./B./ beschriebenen Tathandlungen in S***** durch die Äußerung, sie solle es nicht wagen, irgendwem auch nur irgendetwas zu erzählen, sonst werde Schlimmeres passieren;
…
IV./ am 25. November 2009 in H***** Lisa S***** durch geschlechtliche Handlungen an ihr belästigt, indem er sie während einer Fahrstunde an der Brust und im Scheidenbereich intensiv betastete.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 4, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Zu den Fakten betreffend Manuela P***** (I./A./ und II./A./) :
Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider durfte das Erstgericht den vorerst am 24. Februar 2010 schriftlich gestellten (ON 25), in der Hauptverhandlung am 14. April 2010 aufrecht gehaltenen und in der Folge erörterten (ON 31 S 24) Beweisantrag auf Ausforschung und Vernehmung des Freundes der Zeugin Manuela P*****, ob diese ihm gegenüber von der dem Angeklagten zur Last gelegten Vergewaltigung gesprochen habe, zum Beweis dafür, dass diese ihm gegenüber nicht erwähnt habe, vom Angeklagten vergewaltigt worden zu sein, ohne Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten abweisen, weil es sich - wie das Schöffengericht zutreffend erkannte - um unzulässige Erkundungsbeweisführung handelt. Eine Beweisführung mit dem Ziel abzuklären, ob von bestimmten Beweisen eine weitere Aufklärung zu erwarten ist, ist zwar im Ermittlungsverfahren grundsätzlich statthaft, nicht mehr jedoch in der Hauptverhandlung (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 330). Im Übrigen betrifft das angestellte Beweisergebnis weder eine entscheidende (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 4) noch eine erhebliche (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 340) Tatsache.
Auch das Begehren auf ergänzende Vernehmung der Zeugin Manuela P***** „über Art und Dauer der Medikamentierung sowie verschreibenden Arzt“ zum Beweis dafür, dass diese keine im Zusammenhang mit der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat stehende Medikamentierung erhalten hat (ON 24 iVm ON 31 S 24), verfiel schon deshalb zu Recht der Abweisung (ON 31 S 25), weil auch eine wie immer geartete Medikamenteneinnahme des Tatopfers keinerlei Rückschlüsse auf die Täterschaft des Angeklagten zulässt und eine Qualifikation nach § 201 Abs 2 erster Fall StGB zu Schuldspruch I./A./ nicht Verfahrensgegenstand war.
Die Behauptung der Tatsachenrüge (Z 5a), der vom Schöffengericht festgestellte Zeitablauf sei rein rechnerisch nicht möglich, zumal Manuela P***** angesichts ihres Dienstschlusses um 24:00 Uhr und einem vom Gericht angenommenen Aufenthalt von zweieinhalb bis drei Stunden mit dem Angeklagten in ihrem Auto nicht erst zwischen 5:00 und 5:30 Uhr nach Hause gekommen sein konnte, unternimmt bloß den im Rahmen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes unzulässigen Versuch, ohne direkten Konnex zu aktenkundigem Beweismaterial nach Art einer Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren Bedenken an den Erwägungen der Tatrichter darzustellen. Jedenfalls ist sie nicht geeignet, aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die vom Erstgericht angenommene Tatbegehung des Beschwerdeführers zu wecken.
Indem die Rechtsrüge zu I./A./ die Gewaltanwendung bestreitet, lässt sie die entsprechenden Feststellungen (US 8 bis 10, 30) außer Acht und verfehlt damit die erwiderungsfähige Darstellung materiellrechtlicher Nichtigkeit (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 584).
Zu den Fakten betreffend Lisa S***** (I./B./, II./B./ und IV./) :
Das schriftlich gestellte Begehren auf Erteilung einer Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung betreffend die Rufnummer der Lisa S***** (ON 36) war nicht Gegenstand einer Antragstellung in der Hauptverhandlung und ist daher unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensrüge (Z 4) unbeachtlich (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 309 ff).
Der Antrag „auf Ausforschung der im gemeinsamen Haushalt mit der Zeugin S***** lebenden Personen (Eltern, Geschwister) und Einvernahme derselben zum Beweis dafür, dass die Zeugin Lisa S***** weder am Tag des Vorfalls, nach der dem Beschuldigten zur Last gelegten Vergewaltigung, mit verunreinigter Kleidung nach Hause gekommen ist, noch in weiterer Folge bei ihr Verletzungsspuren am Oberarm und Handgelenken erkennbar waren“ (ON 58 iVm ON 60 S 3), verfiel zu Recht der Abweisung, weil er nicht darlegt, weshalb er trotz der Urteilsannahme, Lisa S***** habe durch die Vergewaltigung (ausschließlich) blaue Flecken am Rücken erlitten und sei an den Händen rot gewesen (US 15 f), und ihrer Aussage, sich noch vor einer Begegnung mit ihren Eltern umgezogen zu haben (US 17 iVm ON 2 S 109), das behauptete Ergebnis erwarten lasse (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 327). Die in der Beschwerde nachgetragenen Argumente für die Notwendigkeit einer solchen Beweisaufnahme sind prozessual verspätet, weil die Berechtigung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags stets auf den Antragszeitpunkt bezogen zu prüfen ist (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 325).
Mit dem Hinweis auf die Aussage der Zeugin Sonja G*****, wonach Lisa S***** im November 2009 nicht bei ihr in der Fahrschule gewesen sei und dort nicht geäußert hätte, dass sie einen anderen Fahrlehrer möchte (ON 60 S 5), vermag die (offenbar gegen Schuldspruchpunkt IV./ gerichtete) Tatsachenrüge (Z 5a) aus den Akten keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken, stellte das Erstgericht doch lediglich fest, Lisa S***** habe nach der Fahrstunde vom 25. November 2009 im Sekretariat gebeten, mit einem anderen Fahrlehrer zu fahren (US 13 f).
Mit der Behaupung, die beim Tatopfer festgestellte Funktionsstörung erreiche keineswegs die geforderte Intensität einer schweren Körperverletzung iSd § 84 Abs 1 StGB verlässt die Subsumstionsrüge (Z 10) die Sachverhaltsbasis des Ersturteils (US 16, vgl auch US 24) und verfehlt socherart die Anfechtungskriterien des materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 581, 584).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.