JudikaturOGH

11Os157/10p – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2011 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer, in der Strafsache gegen Jennifer E***** wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 16. August 2010, GZ 5 U 35/10f 11, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 16. August 2010, GZ 5 U 35/10f 11, verletzt §§ 35 Abs 1, 37 SMG.

Dieses Urteil sowie der unter einem verkündete Beschluss werden aufgehoben und es wird die Sache zur Neudurchführung des Verfahrens an das Bezirksgericht Ebreichsdorf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 9. Juli 2008, GZ 5 U 105/07w-17, wurde Jennifer E***** der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 (Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall) SMG und einer anderen strafbaren Handlung schuldig erkannt und hiefür zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Mit rechtskräftigem (in gekürzter Form [§§ 270 Abs 4, 458 StPO] ausgefertigtem) Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 16. August 2010, GZ 5 U 35/10f 11, wurde Jennifer E***** - erneut - der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter und achter Fall und Abs 2 SMG schuldig erkannt und hiefür zu einer gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt.

Mit einem zugleich gefassten Beschluss wurde zur ersten Verurteilung vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht abgesehen, eine Probezeitverlängerung ausgesprochen, Bewährungshilfe „auch zu diesem Verfahren“ angeordnet und die Weisung auf Durchführung einer Entwöhnungstherapie erteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Jennifer E***** in Unterwaltersdorf, Wien und anderen Orten vom 12. April 2009 bis Anfang August 2010 vorschriftswidrig Suchtgift

1./ besessen, und zwar ca 253 Gramm Heroin, ca 36 Gramm Kokain, eine geringe Menge Cannabiskraut und eine unbekannte Menge „Subutex“;

2./ anderen überlassen, und zwar mindestens 30 Gramm Heroin Wolfgang S***** und Michael G*****, eine unbekannte Menge Kokain Markus F*****, Michael G*****, Wolfgang S***** sowie einem unbekannten Täter namens Stefan, „wobei sie die Tat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch beging“.

Den Ausschluss der Diversionsbestimmungen nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG begründete das Erstgericht wie folgt (US 3):

„Angesichts der Begehung der Tat in der Probezeit des Verfahrens AZ 5 U 105/07w, zu dem die Beschuldigte der Vergehen nach § 27 SMG und §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt wurde, war in analoger Anwendung des § 35 Abs 2 letzter Satz SMG aus spezialpräventiven Gründen mit einer Verurteilung vorzugehen. Handelt es sich bei der Bestimmung des § 35 SMG um ein temporäres Verfolgungshindernis und bestimmt der letzte Satz des Abs 2 dieser Bestimmung die Anwendungsmodalitäten dieser Bestimmung, so handelt es sich um eine auch zum Nachteil des Beschuldigten analogiefähige Bestimmung des Verfahrensrechts.“

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 16. August 2010 steht wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach § 35 Abs 1 SMG hat die Staatsanwaltschaft unter den in den Abs 3 bis 7 leg cit genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach §§ 27 Abs 1 und 2 oder 30 SMG, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.

Gemäß § 37 SMG hat nach Einbringen der Anklage das Gericht die §§ 35 und 36 SMG sinngemäß anzuwenden und das Verfahren unter den für die Staatsanwaltschaft geltenden Voraussetzungen bis zum Schluss der Hauptverhandlung mit Beschluss einzustellen.

Einem solchen zwingend vorgesehenen Vorgehen stehen nun der Ansicht des Erstgerichts zuwider weder einschlägige Vorstrafen noch die Delinquenz während der zu einschlägiger Vorverurteilung ausgesprochenen Probezeit entgegen. Denn ein zu einer bedingt nachgesehenen Sanktion Verurteilter kann insoweit nicht schlechter gestellt werden als ein Täter, über den eine unbedingte Strafe verhängt worden ist. Die vom Erstgericht ins Spiel gebrachte analoge Anwendung der Bestimmung des letzten Satzes des § 35 Abs 2 SMG verbietet sich deshalb, weil es sich insoweit um eine iSd § 1 Abs 1 StGB unzulässige (vgl Fabrizy , StGB 10 § 1 Rz 5 f) Analogie zum Nachteil der Angeklagten handeln würde (vgl zum Ganzen: RIS-Justiz RS0113620 [T4], zuletzt insbesondere 12 Os 66/08k; Schwaighofer in WK² SMG § 35 Rz 19).

Das Bezirksgericht Ebreichsdorf hätte daher im Verfahren AZ 5 U 35/10f die an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen zwingenden Diversionsbestimmungen nach §§ 35 Abs 1, 37 SMG anzuwenden gehabt; dh, es hätte grundsätzlich eine Auskunft sowie eine Stellungnahme gemäß § 35 Abs 3 Z 1 und 2 SMG und die Zustimmung der Angeklagten zu allfällig notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahmen (§ 35 Abs 6 SMG) und/oder (falls eine solche zweckmäßig ist) zu einer Betreuung durch einen Bewährungshelfer (§ 35 Abs 7 SMG) einholen und sodann beurteilen müssen, ob die Voraussetzungen für ein Vorgehen iSd § 35 Abs 1 SMG gegeben sind.

Da dies vorliegend wie aufgezeigt aufgrund irriger Rechtsansicht des Erstrichters in Bezug auf die (analoge) Anwendbarkeit des letzten Satzes des § 35 Abs 2 SMG unterblieb, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Verurteilung das temporäre Verfolgungshindernis nach den §§ 35 Abs 1, 37 SMG entgegenstand (RIS-Justiz RS0113620).

Die aufgezeigte Gesetzesverletzung gereicht der Verurteilten zum Nachteil, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, deren Feststellung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen, das in Rede stehende Urteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 16. August 2010 (samt dem oben beschriebenen Beschluss) aufzuheben und die Sache zur Neudurchführung des Verfahrens an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Einer Aufhebung der vom kassierten Urteil rechtslogisch abhängigen Entscheidungen und Verfügungen bedarf es nicht, weil diese gleichermaßen als beseitigt gelten (RIS Justiz RS0100444; Ratz , WK StPO § 292 Rz 28).

Hinsichtlich der im Spruch auch genannten unbekannten Menge „Subutex“, deren Besitz der Verurteilten angelastet wurde (Schuldspruch 1./), wird lediglich zur Klarstellung angemerkt, dass insofern jegliche Konstatierung fehlt, welche in der Suchtgiftverordnung genannten Suchtgifte diese Tabletten enthielten; die bloße Nennung (hier:) der Bezeichnung von (bloß möglicherweise suchtgifthältigen) Tabletten vermag die für einen Schuldspruch erforderlichen Feststellungen über den Inhaltsstoff nämlich nicht zu ersetzen (RIS Justiz RS0114428).

Rückverweise