12Os185/10p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Dezember 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schilhan als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian M***** wegen Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1, Abs 2 SMG, AZ 10 U 96/10b des Bezirksgerichts Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 20. Mai 2010, GZ 10 U 96/10b 6, und einen weiteren Vorgang erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalprokurators Dr. Pürstl zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 10 U 96/10b des Bezirksgerichts Innsbruck verletzen das Gesetz:
1./ die Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten und die Fällung des Abwesenheitsurteils vom 20. Mai 2010 in § 427 Abs 1 StPO;
2./ das Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Innsbruck vom 20. Mai 2010 in § 271 Abs 1 Z 7 StPO iVm § 260 Abs 1 Z 1 StPO.
Das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Mai 2010, GZ 10 U 96/10b-6, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Christian M***** wurde mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 20. Mai 2010, GZ 10 U 96/10b-6, in zwei Fällen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 (erg: erster und zweiter Fall), Abs 2 SMG schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.
Danach hat er „vorschriftswidrig in Innsbruck
1. vor dem 27. November 2008 eine geringe Menge Cannabis erworben und besessen sowie
2. am 16. März 2010 von dem abgesondert verfolgten Mohamed S***** ca 7 Gramm Cannabisharz erworben und besessen.“
Zum nach vorläufigem Rücktritt von der Verfolgung nach § 35 Abs 1 SMG iSd § 38 Abs 1 Z 1 SMG erhobenen Vorwurf, vor dem 27. November 2008 eine geringe Menge Cannabis erworben und besessen zu haben, war er nach dem Akteninhalt nicht gemäß §§ 164 oder 165 StPO vernommen worden (vgl ON 4).
Im Protokoll über die Hauptverhandlung vom 20. Mai 2010 (ON 5) ist zum Spruch des Urteils nur angeführt, dass ein Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1, Abs 2 SMG ergangen und eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 4 Euro, im Uneinbringlichkeitsfall 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt worden ist. Die dem Angeklagten soweit subsumtionsrelevant zur Last liegenden Tathandlungen wurden hingegen nicht festgehalten.
Gegen dieses Urteil erhob die Staatsanwaltschaft Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe.
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Durchführung der Hauptverhandlung am 20. Mai 2010 vor dem Bezirksgericht Innsbruck in Abwesenheit des Angeklagten, das Abwesenheitsurteil dieses Gerichts vom selben Tag und der Inhalt des über die Hauptverhandlung aufgenommenen Protokolls mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung unter anderem nur dann in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt und in dieser ein Urteil gefällt werden, wenn der Angeklagte zuvor gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde.
Im vorliegenden Fall lag diese Voraussetzung nicht vor, weil nach dem Akteninhalt der Angeklagte zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, vor dem 27. November 2008 Cannabis erworben und besessen zu haben, nicht vernommen worden war.
Gemäß § 271 Abs 1 Z 7 StPO hat das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll insbesondere den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Nach Z 1 leg cit ist auszusprechen, welcher Tat der Angeklagte schuldig befunden worden ist, und zwar unter ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Tatumstände.
Das Protokoll über die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Innsbruck am 20. Mai 2010 (ON 5) wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Es ist ihm nämlich nur zu entnehmen, dass ein Schuldspruch nach § 27 Abs 1 Z 1, Abs 2 SMG ergangen und eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 4 Euro, im Uneinbringlichkeitsfall 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt worden ist, nicht aber welche Tathandlungen der Angeklagte gesetzt hat.
Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen waren festzustellen. Ferner sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, gemäß § 292 letzter Satz StPO das dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Urteil (im Hinblick auf §§ 35 Abs 1, 38 Abs 1 Z 1 SMG im gesamten Umfang) aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Innsbruck zu verweisen.
Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.