10Ob81/10z – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen C*****, geboren am 22. Juni 2008, *****, vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg, Jugendwohlfahrtsreferat, Kirchengasse 12, 8530 Deutschlandsberg), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 17. August 2010, GZ 1 R 300/10k-36, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, der Beschluss des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 2. Juni 2010, GZ 1 PU 205/09v-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Beginndatum in Punkt 1 des erstgerichtlichen Beschlusses vom 2. 6. 2010 statt „01. 05. 2010“ „01. 06. 2010“ zu lauten hat.
Das auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG auch für den Monat Mai 2010 gerichtete Mehrbegehren des Kindes wird abgewiesen.
Soweit der Revisionsrekurs die Abweisung des übrigen Unterhaltsvorschussantrags anstrebt, wird ihm nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Die am 22. 6. 2008 geborene C***** ist die Tochter von D***** und A*****. Letzterer wurde mit einstweiliger Verfügung des Bezirksgerichts Deutschlandsberg vom 8. 2. 2010 (ON 12) zu einem vorläufigen monatlichen Unterhalt gemäß § 382a EO von 105,40 EUR ab 1. 2. 2010 verpflichtet. Die Vollstreckbarkeit dieses Beschlusses wurde am 3. 5. 2010 bestätigt.
Am 31. 5. 2010 brachte die Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, bei Gericht einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein.
Mit Beschluss vom 2. 6. 2010 (ON 19), bewilligte das Erstgericht der Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom 1. 5. 2010 bis 30. 4. 2015. Zur Begründung führte es aus, dass der Unterhaltsschuldner nach der am 3. 5. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet habe. Beim Bezirksgericht Deutschlandsberg sei gegen ihn am 31. 5. 2010 ein Antrag auf Vollstreckung nach dem Übereinkommen vom 20. 6. 1956 über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland eingebracht worden.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Bundes nicht Folge. Es führte zu der im Revisionsrekursverfahren allein noch strittigen Frage des Beginns der Unterhaltsvorschusszahlungen aus, Vorschüsse seien nach § 8 UVG vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren. Die Vollstreckbarkeit sei im vorliegenden Fall am 3. 5. 2010 eingetreten. Der Unterhalt sei zum Zeitpunkt der Antragstellung am 31. 5. 2010 bereits fällig gewesen und vom Unterhaltsschuldner nicht geleistet worden. Daher lägen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Unterhaltsvorschussgewährung bereits ab Mai 2010 vor.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 erster Satz UVG (idF FamRÄG 2009) noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen abgewiesen werde, in eventu, dass Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 6. 2010 zugesprochen werden; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In der Revisionsrekursbeantwortung beantragt die vom Jugendwohlfahrtsträger vertretene Minderjährige, den Revisionsrekurs „abzuweisen“.
Weitere Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts im Widerspruch zu der mittlerweile vorliegenden, einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 (10 Ob 68/10p; 10 Ob 73/10y) steht. Er ist mit seinem Eventualantrag auch berechtigt.
Wie der erkennende Senat in den Entscheidungen 10 Ob 38/10a, 10 Ob 39/10y, 10 Ob 53/10g ua jeweils vom 17. 8. 2010 näher dargelegt hat, setzt die Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Darunter ist zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Wird daher vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil an dem dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgenden Monatsersten der fällige Unterhaltsbetrag nicht geleistet, steht der Unterhaltsvorschuss monatsbezogen ab diesem Monatsersten zu.
Da im vorliegenden Fall die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels erst im Mai 2010 eingetreten ist, konnte ein Verzug mit der Zahlung des nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fälligen laufenden Unterhalts frühestens im Juni 2010 eintreten, weshalb auch ein Vorschussanspruch erst am 1. 6. 2010 besteht (zu allem: 10 Ob 65/10x und 10 Ob 73/10y).
Zu der im Revisionsrekurs weiterhin beantragten gänzlichen Antragsabweisung bestand hingegen kein Anlass:
Zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz (2. 6. 2010), der für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung im Unterhaltsvorschussverfahren maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0076052 [T5]; 10 Ob 38/10a; 10 Ob 39/10y; 10 Ob 57/10w), war nämlich nicht nur der Unterhaltstitel vollstreckbar, sondern auch die weitere Voraussetzung der nicht vollständigen Leistung des laufenden Unterhalts nach Eintritt der Vollstreckbarkeit gegeben, sodass ein Rückstand an laufendem Unterhalt iSd § 3 Z 2 UVG bestand.
Es war daher - in teilweiser Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes - das Beginndatum der Vorschussgewährung auf 1. 6. 2010 abzuändern und dem Rechtsmittel im Übrigen nicht Folge zu geben.