12Os97/10x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Oktober 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Reich als Schriftführerin in der Strafsache gegen Claus A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Thomas M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Jugendschöffengericht vom 19. März 2010, GZ 37 Hv 16/10z 95, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Thomas M***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas M***** mehrerer Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (I. A. 1. b.), des Verbrechens der Freiheitsentziehung nach § 99 (erg: Abs 1 und) Abs 2 (zweiter und dritter Fall) StGB (I. B.) und eines weiteren Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB sowie des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB, jeweils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB (II. A.), schuldig erkannt.
Danach haben am 19. Oktober 2009 in Baden
I. den/dem am 5. März 1996 geborenen Mark P*****
A. durch Versetzen zahlreicher Schläge und Stöße gegen den Körper sowie ausdrückliches bzw konkludentes Inaussichtstellen weiterer Schläge, somit durch Gewalt und durch gefährliche Drohung,
1. zu Handlungen, Duldungen bzw einer Unterlassung genötigt, und zwar
...
b. Claus A*****, Thomas M*****, Jeannine B***** und Cornelia Pa***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter dazu
aa. Urin zu trinken;
bb. ekelerregende, verdorbene Nahrungsmittel zu essen und die Reste vom Boden aufzuschlecken;
cc. sich zu entkleiden und vor den Anwesenden nackt zu tanzen;
dd. sich vor den Anwesenden einen zwei bis drei cm großen Eisbrocken in den After einzuführen;
ee. dass sein Gesicht mit Farbe eingesprüht und seine Haare durch Abschneiden verunstaltet werden;
...
c. Jeannine B***** und Cornelia Pa***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Claus A***** dazu, sich einen Kochlöffel und eine Bierflasche in den After einzuführen bzw an diesem anzusetzen;
...
2. Claus A*****, Jeannine B***** und Cornelia Pa***** außer den Fällen des § 201 StGB zur Vornahme einer geschlechtlichen Handlung, und zwar zum Onanieren vor den Anwesenden;
B. Claus A*****, Jeannine B*****, Thomas M***** und Cornelia Pa***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken durch Versperren einer Tür, Wegnahme des Schlüssels und Hindern am Verlassen der Wohnung über einen mindestens zwei Stunden betragenden Zeitraum die persönliche Freiheit entzogen, wobei Claus A*****, Jeannine B*****, Thomas M***** und Cornelia Pa***** die Freiheitsentziehung auf solche Weise begingen, dass sie dem Festgehaltenen besondere Qualen bereitete, und zwar indem sie die Freiheitsentziehung durch Begehung der zu Punkt I. A. 1. b. beschriebenen Handlungen, Thomas M***** auch dadurch, dass er dem Opfer mehrere heftige Schläge gegen dessen unbekleideten Bauch versetzte, wodurch es eine Abdominalprellung erlitt, aufrecht erhielten und Thomas M*****, Jeannine B***** und Cornelia Pa***** die Freiheitsentziehung durch die genannten Tatmodalitäten überdies unter solchen Umständen begingen, dass sie für das Opfer mit besonders schweren Nachteilen, nämlich einer krankheitswertigen posttraumatischen Belastungsreaktion mit einer 24 Tage überschreitenden Gesundheitsschädigung, nämlich therapiebedürftigen „Nachhallerinnerungen“ sowie Angst- und Panikzuständen (US 20), verbunden war;
...
II. A. Thomas M***** durch Bekundung von Interesse und beifällige Beobachtung der Vorgänge, somit psychische Unterstützung und Bestärkung im Tatentschluss, zur Ausführung der unter I. A. 1. c. und I. A. 2. genannten strafbaren Handlungen beigetragen.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen aus Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten M***** kommt keine Berechtigung zu.
Mit dem Einwand, das Erstgericht habe seine Feststellung, wonach der Angeklagte M***** das Tatopfer mindestens zwei Minuten lang verprügelte, indem er ihm Schläge mit der Faust und der flachen Hand gegen das Gesicht bzw den unbekleideten Bauchbereich versetzte, um es dadurch zu verletzen (US 14), lediglich auf die Aussage des Erstangeklagten A***** bei seiner polizeilichen Vernehmung (ON 2/S 169) gestützt, jedoch mit Stillschweigen übergangen, dass dies weder von diesem noch von den anderen Angeklagten in der Hauptverhandlung bestätigt worden sei, wird die behauptete Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) schon deshalb nicht zur Darstellung gebracht, weil dieser formelle Nichtigkeitsgrund nur dann vorliegt, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§§ 13 Abs 3 zweiter Satz, 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421), keineswegs aber dann, wenn die Tatrichter nicht erörtert haben, etwas sei in der Hauptverhandlung nicht erwähnt worden.
Die vom Nichtigkeitswerber bloß verkürzt zitierte Aussage des Zeugen P***** im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung, von M***** fünf bis sechs Mal mit der flachen Hand fest auf den Bauch geschlagen worden zu sein, sodass es weh getan habe (ON 51/S 43), hat das Erstgericht entgegen dem Beschwerdestandpunkt in seine Überlegungen miteinbezogen (US 24), ohne dass die keine entscheidende Tatsache (vgl hiezu Ratz , WK-StPO § 281 Rz 399) tangierende Frage, ob das Opfer mit der Faust oder mit der flachen Hand traktiert wurde, gesondert zu erörtern gewesen wäre.
Dass die Tatrichter die weitere Konstatierung, der Drittangeklagte habe P***** daraufhin bei den Haaren gepackt und seinen Kopf gegen die Wand geschlagen (US 16), ebenfalls - wie das gesamte objektive Tatgeschehen (US 21) - auf die Angaben des Erstangeklagten vor der Polizei stützten, dessen Verantwortung in der Hauptverhandlung jedoch unberücksichtigt ließen, begründet der weiteren Rüge zuwider schon deshalb keine Unvollständigkeit, weil sich dieser - auf den Vorwurf angesprochen - dahin verantwortete, sich insoweit nicht mehr genau erinnern zu können (ON 94/S 25). Aus den bereits angeführten Erwägungen ist Z 5 zweiter Fall jedoch nicht darin begründet, dass weder das Opfer noch die weiteren Angeklagten diese Tathandlung bestätigten.
Der auf die bloße Rechtbehauptung, „hinsichtlich § 99 Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB ist nicht nur maßgebend, ob die Tat ex post besondere Qualen bzw besondere schwere Nachteile zur Folge hatte, vielmehr ist zwingend erforderlich, dass die Tathandlung (ex ante) geradezu zwingend mit den betreffenden Nachteilen verbunden war. Es ist erforderlich, dass die Tathandlung geradezu zwingend auf die Herbeiführung der betreffenden Nachteile angelegt war“, gestützte Einwand, das Urteil enthalte diesbezüglich keine Feststellungen, leitet die angestrebte rechtliche Konsequenz ebenso wenig methodisch vertretbar aus dem Gesetz ab (RIS-Justiz RS0116569) wie die in der Beschwerde zitierte Literaturstelle ( Schmoller , SbgK § 99 Rz 61, 65; vgl auch RIS-Justiz RS0118429, RS0117321).
Im Übrigen genügt zur subjektiven Verwirklichung der in § 99 Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB beschriebenen Deliktsqualifikationen das Vorliegen eines darauf gerichteten bedingten Vorsatzes ( Schwaighofer in WK 2 Rz 37; Fabrizy , StGB 10 Rz 4a; Kienapfel/Schroll StudB BT I 2 Rz 31 f, Leukauf-Steininger Komm 3 RN 24; Bertel/Schwaighofer BT I 11 Rz 11, jeweils zu § 99). Eine generelle restriktive Interpretation, dass die Tathandlung ex ante betrachtet geradezu zwingend auf die dem Festgehaltenen bereiteten besonderen Qualen und die mit der Freiheitsentziehung verbundenen besonders schweren Nachteile angelegt sein müsste, ist mit dem klaren Gesetzeswortlaut jedoch nicht in Einklang zu bringen.
Weshalb sich die der Rüge zuwider gar wohl getroffenen Feststellungen zum Vorliegen eines auf die Verwirklichung der genannten Qualifikationen gerichteten dolus eventualis auch des Drittangeklagten M***** trotz des in den Entscheidungsgründen hergestellten Sachverhaltsbezugs in einer bloßen Wiedergabe der verba legalia erschöpfen sollten (vgl US 14, 21 oben, 27 f), wird von der Beschwerde nicht dargelegt.
Die einen Entfall der Qualifikationen des § 99 Abs 2 zweiter und dritter Fall StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) verfehlt daher insgesamt den vom Gesetz geforderten Bezugspunkt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.