11Os97/10i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. September 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Prammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Siegfried B***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 3. März 2010, GZ 11 Hv 132/09i 44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil das auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche von Vergewaltigungsvorwürfen hinsichtlich des gleichen Opfers ab 2003 enthält wurde Siegfried B***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB sowie des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (II) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (III) schuldig erkannt.
Danach hat er in Wels jeweils in zahlreichen Angriffen
I.) ab einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt nach dem Juli 2002 „bis zum 8. November 2003“ (vgl US 6) an der am 7. November 1989 geborenen, mithin unmündigen Madita T***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er ihre Vagina streichelte, sowie geschlechtliche Handlungen an sich vornehmen lassen, indem er ihre Hand zu seinem Penis führte und damit masturbierte;
II.) ab einem nicht mehr festzustellenden Zeitpunkt nach dem Juli 2002 „bis zum 8. November 2003“ mit der am 7. November 1989 geborenen, mithin unmündigen Madita T***** den Beischlaf sowie eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, nämlich eine Digitalpenetration der Vagina unternommen, wobei eine Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung (sich aufdrängende Nachhallerinnerungen, Vermeidungsverhalten, Schlafstörungen, Selbstschädigung durch Schneiden vgl US 9) von mehr als 24 tägiger Dauer zur Folge hatte;
III.) durch die unter I. und II. geschilderten Tathandlungen mit seiner am 7. November 1989 geborenen, mithin minderjährigen Stieftochter Madita T***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen und an sich vornehmen lassen, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen.
Dagegen richtet sich die auf Z 5, 5a und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die Mängelrüge (Z 5) vermag ein formelles Begründungsdefizit in der Bedeutung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes nicht aufzuzeigen.
Bei seinem Einwand, das Erstgericht hätte seine Feststellung, wonach die inkriminierten sexuellen Übergriffe Ursache der beim Tatopfer eingetretenen posttraumatischen Belastungsstörung waren, nicht begründet, übergeht der Beschwerdeführer die diesbezüglichen logisch und empirisch einwandfreien Urteilspassagen US 14 f. Entgegen den Rechtsmittelausführungen (teilweise formell aus Z 5a) hat die psychiatrische Sachverständige auf deren Expertise sich die Tatrichter stützten den vor Erreichen des 14. Geburtstags des Opfers gelegenen sexuellen Übergriffen die Kausalität für die schweren psychischen Folgen zugemessen, die durch die danach liegenden Sexualkontakte (die als Vergewaltigung angeklagt [ON 31] den Gegenstand der Freisprüche bildeten) lediglich vertieft wurden (ON 37 S 25 f). Der dagegen erhobene Vorwurf der Aktenwidrigkeit (nominell verfehlt ebenfalls aus Z 5a) lässt es selbst an aktengetreuer Zitierung fehlen: Die sukzessiv einschränkende Wortwahl der Expertin (ON 37 S 25) hinsichtlich einer Traumatisierung des Opfers durch „das Problem mit ihrem Freund“ (gemeint eine in einem Internetforum ersichtliche Darstellung vom 22. April 2007, die als Beilage zum Hauptverhandlungsprotokoll ON 37 unjournalisiert in den Akten erliegt, worin über einen am Vortag abgelaufenen Vorfall berichtet wurde, bei dem der im Übrigen weiterhin mit Madita T***** liierte [ON 37 S 7] Bursch im alkoholisierten Zustand die innere Ablehnung des Mädchens gegen Sexualkontakte nicht erkannte, was danach zwischen den beiden geklärt werden konnte vgl die diesbezügliche Aussage der Zeugin T***** ON 37 S 18) lässt ohne weiteres die zusammenfassende Aussage des Erstgerichts zu, dies sei auszuschließen (US 15).
Mit seiner Tatsachenrüge (Z 5a) versucht der Angeklagte lediglich, unter Erörterung der Aussage der Madita T***** sowie des Gutachtens der psychiatrischen Sachverständigen verbunden mit eigenen beweiswürdigenden und hypothetischen Überlegungen die zu seinem Nachteil gezogenen Schlussfolgerungen der Tatrichter und die darauf basierenden Konstatierungen in Zweifel zu ziehen und seiner leugnenden Verantwortung zum Durchbruch zu verhelfen. Damit gelingt es ihm indes nicht, auf Aktengrundlage erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden entscheidenden Tatsachen hervorzurufen.
Denn der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Im Einzelnen bleibt zu erwidern: Hinsichtlich der zeitlichen Einordnung des ersten Geschlechtsverkehrs lässt der Beschwerdeführer außer Acht, dass unbestritten digitale Vaginalpenetrationen bereits vor dem 14. Geburtstag des Opfers stattfanden (US 5). Die Ausführungen zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin (etwa hinsichtlich des Schulwegs, siehe dazu US 9, und deren diversen Äußerungen in Internetforen, siehe dazu US 13 f, und schließlich zu Inkongruenzen in Details der Aussagen des Opfers und ihres jetzigen Partners, vgl US 7) verlassen den Anfechtungsrahmen (RIS Justiz RS0099649). Zur Kausalität der vor dem 14. Geburtstag des Opfers liegenden Vorfälle für die posttraumatische Belastungsstörung mit schweren Folgen ist auf die obigen Antworten zur diesbezüglichen Mängelrüge zu verweisen. Soweit der Rechtsmittelwerber die erwähnte Differenzierung durch die Sachverständige schlicht negiert, nimmt er seiner Argumentation jegliche Überzeugungskraft.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst Feststellungen darüber, dass die zum Schuldspruch II festgestellten sexuellen Handlungen für sich alleine Ursache der schweren posttraumatischen Belastungsstörung bei Madita T***** waren, übergeht jedoch dabei die diesbezüglichen erstrichterlichen Annahmen US 6, 9 und 16. Soweit er diese neuerlich unter kritischer Erörterung des psychiatrischen Gutachtens in Frage zu stellen versucht, wendet er sich unzulässig gegen die erstgerichtliche Beweiswürdigung und verfehlt damit die gesetzlichen Anfechtungskriterien des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.