12Os197/09a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Juni 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Gotsmy als Schriftführer in der Strafsache gegen Jennifer J***** wegen des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 zweiter Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 30. Jänner 2008, GZ 3 U 166/07x 49, und den unter einem gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 3 U 166/07x des Bezirksgerichts Kufstein verletzen das Gesetz
1. das Urteil vom 30. Jänner 2008 in seinem Strafausspruch in § 5 Z 5 JGG und § 31 Abs 1 zweiter Satz StGB;
2. der unter einem gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO auf Absehen vom Widerruf der zum AZ 3 U 350/06d des Bezirksgerichts Kufstein gewährten bedingten Strafnachsicht in §§ 494a Abs 1 und 495 Abs 2 StPO sowie § 55 Abs 1 StGB.
Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem Strafausspruch aufgehoben und dem Bezirksgericht Kufstein im Umfang der Aufhebung die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.
Text
Gründe :
Die am 26. Jänner 1991 geborene Jennifer J***** wurde mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 16. April 2007, GZ 3 U 350/06d-20, mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt (Blg ./2 zum Bezugsakt AZ 3 U 166/07x des Bezirksgerichts Kufstein).
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 30. Jänner 2008, GZ 3 U 166/07x-49, wurde die auch damals noch Jugendliche des am 28. Oktober 2006 begangenen Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme gemäß „§§ 31 Abs 1 und 40“ StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 16. April 2007, GZ 3 U 350/06d-20, nach dem zweiten Strafsatz des § 91 Abs 2 StGB zu einer Zusatzgeldstrafe von 200 Tagessätzen, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 100 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt (das mit Beschluss ON 64 richtig gestellte Urteilsdatum wurde entgegen richterlicher Anordnung [S 306] am Rande der Urteilsurschrift ON 49 nicht beigesetzt).
Unter einem erging der Beschluss, gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der zum AZ 36 Hv 118/05p des Landesgerichts Innsbruck und zum AZ 3 U 350/06d des Bezirksgerichts Kufstein jeweils gewährten bedingten Strafnachsicht abzusehen.
§ 5 Z 5 JGG gelangte ebenso wenig zur Anwendung wie § 37 Abs 1 StGB (vgl Hauptverhandlungsprotokoll S 249, US 9 vorletzter Absatz).
Die Geldstrafe wurde zur Gänze vollstreckt (ON 68).
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 30. Jänner 2008 in seinem Strafausspruch sowie der unter einem gefasste Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Die Beschuldigte stand zum Tatzeitpunkt im 16. Lebensjahr. Folglich hätten die Besonderheiten der Ahndung von Jugendstraftaten (§ 1 Z 3 JGG) nach § 5 JGG zur Anwendung gelangen müssen.
Hat der Angriff im Sinne des § 91 Abs 2 StGB eine schwere Körperverletzung eines anderen verursacht (US 6 letzter Absatz), so ist der Täter nach dem zweiten Strafsatz des § 91 Abs 2 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
Sind bei einem Delikt alternativ Freiheits- oder Geldstrafe angedroht, so reduziert sich bei einer Jugendstraftat der Strafrahmen nach § 5 Z 4 und 5 JGG bei beiden Sanktionsarten auf die Hälfte (vgl Schroll in WK² JGG § 5 Rz 25).
Im vorliegenden Fall betrug das Höchstmaß einer zu verhängenden Geldstrafe gemäß § 5 Z 5 JGG 180 Tagessätze. Eine Anwendung des § 37 Abs 1 StGB, die angesichts der Strafdrohung des § 91 Abs 2 zweiter Fall StGB eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätze erlaubt hätte ( Schroll in WK 2 JGG § 5 Rz 43; 15 Os 68/04), ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
Die vorliegende Jugendstraftat vom 28. Oktober 2006 hätte bereits in dem früheren Verfahren AZ 3 U 350/06d des Bezirksgerichts Kufstein abgeurteilt werden können. Demzufolge wurde anlässlich der nunmehrigen Urteilsfällung vom 30. Jänner 2008 zutreffend gemäß § 31 Abs 1 StGB auf das Vor-Urteil bedacht genommen.
Bei Ausmessung der Zusatzstrafe darf aber nach § 31 Abs 1 zweiter Satz StGB das Höchststrafmaß für die nun abzuurteilende Tat, isoliert betrachtet, nicht überschritten werden ( Ratz in WK 2 § 31 Rz 8).
Durch die Verhängung einer (Zusatz )Geldstrafe von 200 Tagessätzen in Missachtung des durch § 5 Z 5 JGG geänderten Strafrahmens bei ersichtlicher Nichtanwendung des § 37 Abs 1 StGB und demzufolge auch der bei Zusatzstrafen anzuwendenden Strafbemessungsvorschrift des § 31 Abs 1 zweiter Satz StGB hat das Bezirksgericht Kufstein das Gesetz in den genannten Bestimmungen zum Nachteil der Verurteilten verletzt. Der Oberste Gerichtshof sah sich daher gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst, das Urteil im Strafausspruch aufzuheben und dem Bezirksgericht Kufstein in diesem Umfang die Verfahrenserneuerung aufzutragen.
Im erneuerten Verfahren wird das Verschlechterungsverbot nach § 290 Abs 2 iVm § 292 erster Satz StPO zu beachten sein, weshalb selbst für den Fall der Anwendung des § 37 Abs 1 StGB keine strengere Geldstrafe als im aufgehobenen Urteil und jedenfalls auch kein höherer Tagessatz (2 EUR; vgl 12 Os 138/09z) ausgemessen werden darf.
§ 494a Abs 1 StPO stellt ausdrücklich auf die Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung ab, die vor Ablauf der Probezeit nach einer bedingten Strafnachsicht begangen worden ist, während § 31 StGB nur im Bezug auf Taten zur Anwendung gelangt, welche vor der früheren Verurteilung gesetzt wurden. Daher kommt eine Zuständigkeit des erkennenden Gerichts zur Beschlussfassung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung nach § 55 Abs 1 StGB gemäß § 494a Abs 1 StPO bei Beachtung der Wortlautgrenze nicht in Betracht (RIS Justiz RS0111521; Jerabek in WK 2 § 55 Rz 5). Vielmehr ist in jenen Fällen die Entscheidung gemäß § 495 Abs 2 StPO, also auch der Ausspruch vom Widerruf abzusehen ( Jerabek , WK StPO § 495 Rz 3), in jenem Verfahren zu treffen, dessen Urteil die bedingte Nachsicht enthält.
Da sich der vom Widerruf absehende Beschluss nur zum Vorteil der Jennifer J***** auswirkte, war insoweit lediglich die Gesetzesverletzung festzustellen.