JudikaturOGH

Ds11/09 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 10. Juni 2010 durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende sowie durch die Hofräte Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Jensik und Dr. Höllwerth als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Richter des Landesgerichts *****, wegen eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 iVm § 57 Abs 1 RStDG über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 16. September 2009, GZ Ds 6/04-138, nach mündlicher Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Fabrizy und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Disziplinarbeschuldigte hat die mit 300 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Text

Gründe :

Mit dem angefochtenen Erkenntnis erkannte das Disziplinargericht erster Instanz Dr. ***** schuldig, als Richter des Landesgerichts ***** die ihm nach § 57 Abs 1 Satz 2 RStDG auferlegten Pflichten, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten seines Amtes gewissenhaft zu erfüllen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, dadurch schuldhaft verletzt zu haben, dass er

I) in nachstehenden Verfahren des Landesgerichts ***** durch die Ausfertigung der Urteile nach der mündlichen Urteilsverkündung bzw nach der Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls erst lange nach der vierwöchigen Frist des § 270 Abs 1 StPO unvertretbare Verzögerungen bewirkte, und zwar:

Aktenzeichen Urteilsverkündung Urteilsausfertigung

28 Hv 1086/01t 04.04.2003 17.12.2003

28 Hv 1092/01z 13.03.2002 09.07.2004

28 Hv 22/02y 22.03.2002 12.03.2003

28 Hv 41/02y 04.10.2002 30.03.2003

28 Hv 72/02a 07.05.2002 21.06.2004

28 Hv 73/02s 12.03.2003 24.06.2004

28 Hv 83/02v 30.04.2003 17.06.2004

28 Hv 84/02s 12.03.2003 17.06.2004

28 Hv 107/02y 25.09.2002 02.02.2004

28 Hv 136/02p 24.01.2003 06.04.2004

28 Hv 137/02p 29.01.2003 28.04.2004

28 Hv 230/02m 19.03.2003 28.04.2004

28 Hv 11/03g 01.07.2005 06.06.2006

28 Hv 138/03h 16.01.2004 18.10.2005

28 Hv 140/03b 12.03.2004 24.12.2004

28 Hv 186/03t 08.06.2004 16.12.2004

28 Hv 155/04h 19.10.2004 23.12.2005

28 Hv 104/05m 22.07.2005 31.03.2006

und II) sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerungen verschuldete und zwar dadurch, dass er

a) im Verfahren 28 Hv 1086/01z des Landesgerichts ***** die Hauptverhandlungen (richtig: Hauptverhandlung) wiederholt unnötig vertagte und unvertretbar lange Zeitabstände zwischen den einzelnen Hauptverhandlungen (richtig: Verhandlungsterminen) einhielt;

b) im Verfahren 28 Hv 170/03i des Landesgerichts ***** die Hauptverhandlung erst am 4. 5. 2006 ausschrieb, nachdem der Strafantrag bereits am 19. 7. 2005 eingebracht worden war.

Nach dem angefochtenen Erkenntnis hat Dr. ***** hiedurch mit Rücksicht auf die Art und Schwere der Verletzung und ihrer Wiederholung ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen. Das Disziplinargericht erster Instanz verhängte über den Disziplinarbeschuldigten hiefür gemäß den §§ 104 Abs 1 lit c, 106 RStDG die Disziplinarstrafe der Minderung der Bezüge im Ausmaß von 15 % für die Dauer eines Jahres.

Weiters verpflichtete das Disziplinargericht erster Instanz den Disziplinarbeschuldigten gemäß § 137 Abs 2 RStDG zum Ersatz der mit 1.200 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Hingegen sprach das Disziplinargericht erster Instanz den Disziplinarbeschuldigten (rechtskräftig) vom Schuldvorwurf frei,

a) er habe im Verfahren 28 Hv 154/05i des Landesgerichts ***** dadurch, dass er zwischen der Anklageerhebung am 25. 7. 2005 und der Anberaumung der Hauptverhandlung am 27. 4. 2006 einen Verfahrensstillstand von nahezu 9 Monaten eintreten ließ;

b) er habe im Verfahren 28 Hv 2/01 des Landesgerichts ***** dadurch, dass er in der Zeit vom 25. 9. 2001 bis 23. 5. 2008 über einen Antrag auf Gewährung einer Ratenzahlung nicht entschieden hat, sodass infolge seiner Untätigkeit hinsichtlich der restlichen Wertersatzstrafe im Ausmaß von 27.157,38 EUR Vollstreckungsverjährung eingetreten ist;

c) er habe im Verfahren 28 Hv 3/00 des Landesgerichts ***** dadurch, dass er in der Zeit vom 30. 1. 2002 bis 28. 8. 2008 nicht über einen Antrag auf Haftentschädigung entschieden hat,

sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerungen verschuldet und hiedurch die ihm nach § 57 Abs 1 Satz 2 RStDG auferlegte Pflicht, sich mit voller Kraft und vollem Eifer dem Dienst zu widmen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, verletzt.

Das Disziplinargericht erster Instanz legte seiner Entscheidung folgende hier noch wesentliche Feststellungen zugrunde:

Der am ***** geborene Dr. ***** ist für drei nicht selbsterhaltungsfähige Kinder sorgepflichtig. Er ist seit ***** Richter und seit ***** Strafrichter beim Landesgericht *****.

Bereits im Regelrevisionsbericht 1995, Jv 244 17.1/95, ist erwähnt, dass in der Gerichtsabteilung des Disziplinarbeschuldigten regelmäßig Rückstände bei Urteilsausfertigungen auftreten, die schon mehrfach zu dienstbehördlichen Maßnahmen Anlass gaben. Weiters ist festgehalten, dass die Verhandlungstätigkeit des Disziplinarbeschuldigten nicht sehr konzentriert erfolgt und es öfter zu Vertagungen kommt. Der Präsident des Landesgerichts ***** widmete sich daher in der Folge verstärkt der Dienstaufsicht über den Disziplinarbeschuldigten. Vor allem drängte er in der Zeit der Freistellung des Dr. ***** zur Führung des Verfahrens 25 Hv 81/99 des Landesgerichts ***** durch Berichtsaufträge ständig auf den Fortgang des Verfahrens und auf rasche Ausfertigung des Urteils. Trotzdem erstellte der Disziplinarbeschuldigte nach mündlicher Verkündung des Urteils am 26. 5. 2000 erst nach mehrfachen Urgenzen am 6. 12. 2000 die Urteilsausfertigung. Der Inhalt des Urteils entsprach nach der Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht annähernd dem Mindeststandard gerichtlicher Begründungspflicht, was zur Verhängung der Ordnungsstrafe der Verwarnung gemäß § 121 Abs 1 iVm § 103 Abs 1 lit b RDG mit Beschluss des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht für Richter am 20. 1. 2003 führte (Ds 2/02 OLG *****).

Diese Ordnungsstrafe veranlasste den Disziplinarbeschuldigten folgend jedoch nicht zu einer zügigeren Arbeitsweise. Mit Schreiben vom 19. 2. 2004 wies der Oberste Gerichtshof im Verfahren 28 Hv 1086/01t des Landesgerichts ***** neuerlich auf Verzögerungen und Mängel der Verfahrensführung des Disziplinarbeschuldigten hin, was zur Erstattung der zugrunde liegenden Disziplinaranzeige durch das Oberlandesgericht ***** führte. Die daraufhin vom Präsidenten des Landesgerichts ***** angeordnete ausführliche Registerprüfung der Gerichtsabteilung 28 brachte überlange Zeitabstände zwischen der Urteilsverkündung und der Urteilsausfertigung durch den Disziplinarbeschuldigten in den in Punkt I des Schuldspruchs angeführten Verfahren zutage. In insgesamt 18 Verfahren hat der Disziplinarbeschuldigte das mündlich verkündete Urteil erst nach ca 6 Monaten bis 2 ½ Jahren ausgefertigt und demnach die Höchstfrist des § 270 Abs 1 StPO von 4 Wochen beträchtlich überschritten.

Darüber hinaus sind dem Disziplinarbeschuldigten auch andere unvertretbare Verfahrensverzögerungen in den Verfahren 28 Hv 1086/01t und 28 Hv 170/03i je des Landesgerichts ***** anzulasten. Im Verfahren 28 Hv 1086/01t des Landesgerichts ***** wurde die Anklage am 30. 10. 2000 erhoben, der erste Verhandlungstermin fand jedoch erst am 9. 3. 2001 statt. Die Hauptverhandlung vertagte der Disziplinarbeschuldigte (als Vorsitzender des Schöffengerichts), ohne die erschienenen Zeugen vernommen zu haben. Beim zweiten Verhandlungstermin am 19. 10. 2001 war die Verhandlungszeit abermals zu knapp bemessen, sodass die erschienenen Zeugen wiederum nicht mehr vernommen werden konnten. Der dritte, ursprünglich für 7. 12. 2002 (gemeint wohl: 7. 12. 2001), dann für 8. 2. 2003 (gemeint wohl: 8. 2. 2002) ausgeschriebene Verhandlungstermin fand erst am 5. 4. 2002 statt und danach wurde die Hauptverhandlung am 30. 4. 2002 fortgesetzt. Beim letztgenannten Termin beschloss der Schöffensenat die Einholung einer im Beweisantrag der Verteidigung detalliert umschriebenen Auskunft. Nur zu diesem Zweck leitete der Vorsitzende den Akt am 5. 7. 2002 an den Untersuchungsrichter zurück. Die vom Untersuchungsrichter am 25. 7. 2002 verfasste Anfrage wurde am 30. 10. 2002 beantwortet. Erst am 10. 1. 2003, also auch unter Berücksichtigung eines ca sechswöchigen Krankenstands des Disziplinarbeschuldigten schrieb dieser mit erheblicher Verzögerung eine Verhandlung für den 4. 4. 2003 aus. Diese fand somit ca ein Jahr nach dem letzten Verhandlungstermin statt.

Im Verfahren 28 Hv 170/03i des Landesgerichts ***** wurde der Strafantrag am 19. 7. 2005 eingebracht. Obwohl bereits am 10. 10. 2005 eine positive Aufenthaltsermittlung hinsichtlich einer zur Hauptverhandlung zu ladenden Zeugin vorlag, erfolgte die Anberaumung der Hauptverhandlung erst am 4. 5. 2006 zum 31. 5. 2006 und somit erst 10 Monate nach Erhebung des Strafantrags.

Die Verfahrensverzögerungen und Urteilsausfertigungsrückstände in der vom Disziplinarbeschuldigten geführten Gerichtsabteilung 28 des Landesgerichts ***** sind auf dessen unstrukturierte und beinahe chaotische Arbeitsweise und eine nicht nachvollziehbare Arbeits- und Zeiteinteilung sowie eine wenig präzise und nicht zielorientierte Vorgangsweise zurückzuführen. Die unübersichtliche bis chaotische Verteilung von Akten- und Aktenstücken im Richterzimmer trug zu weiteren Leerläufen bei. Der Disziplinarbeschuldigte investierte zwar viel Zeit in seine Arbeit, seine mangelnde Selbst- und Arbeitsorganisation führte aber zu einem andauernden Arbeitsmehraufwand, was zur Folge hatte, dass sich der Disziplinarbeschuldigte subjektiv überfordert fühlte. Die Arbeitsergebnisse wurden auch dadurch beeinträchtigt, dass in den letzten Jahren die Belastung der Richter am Landesgericht ***** stetig gestiegen ist. Im Jahr 2004 lag die Planstellenauslastung bei ca 106 %. Im ersten Halbjahr 2005 wurde bis auf wenige Tage nie die tatsächlich systemisierte Planstellenzahl von 38 VZK erreicht. Der Tiefststand lag in den Monaten Februar und März 2005 bei 36,5 VZK, als die Abteilung 22 Hv einige Monate hindurch unbesetzt war. Es kam jedoch zu keiner überdurchschnittlichen Belastung der vom Disziplinarbeschuldigten geführten Abteilung 28, weil verschiedene Entlastungsmaßnahmen des Personalsenats, etwa mit der 5. und 14. Änderung der Jahresgeschäftsverteilung 2004/2005, erfolgten, die jedoch nur mäßig wirksam waren. Die Gerichtsabteilung des Disziplinarbeschuldigten war in den Jahren 2002 bis 2006 nicht mehr belastet als die anderen Gerichtsabteilungen des Landesgerichts *****. Mit der 5. Änderung der Geschäftsverteilung wurde der Disziplinarbeschuldigte ab 1. 5. 2004 durch Abnahme von 5 „Beisitzen“ in Schöffensachen und 10 Akten Neuanfall sowie durch die Abnahme des Großverfahrens 28 Hv 103/02k entlastet. Am 1. 6. 2004 wurden ihm weitere 3 „Beisitze“ abgenommen. Ab 3. 9. 2004 wurde die Zuständigkeit der Abteilung 28 Hv um den Buchstaben „Ku“ vermindert. Am 3. 11. 2004 wurden dem Disziplinarbeschuldigten 15 Einzelrichterakten an Neuanfall abgenommen. Vom 1. 4. 2005 bis 31. 12. 2005 wurde der Disziplinarbeschuldigte nicht als Beisitzer in anderen Hv Abteilungen verwendet. Ab 1. 8. 2005 erfolgte jedoch eine Erweiterung des Tätigkeitsbereichs der Abteilung 28 durch die Einbeziehung der Buchstabenzuständigkeit „Ds - Dz“.

Seit 1. 2. 2006 erfolgt die Zuteilung der Hv Akten des Landesgerichts ***** in Form eines „Rades“, und zwar getrennt nach Einzelrichter- sowie Schöffen- und Geschworenenakten. Damit bekommt die Abteilung 28 gleichmäßig Akten zugewiesen wie jede andere allgemeine Hv-Abteilung.

In der Zeit vom 1. 3. 2006 bis 31. 5. 2006 war in der Abteilung 28 eine Sprengelrichterin im Ausmaß von 0,5 VZK eingesetzt, die den Neuanfall in Schöffen- und Einzelrichterangelegenheiten zu erledigen hatte. Nach Abzug der Sprengelrichterin fielen diese Akten nicht in die Abteilung 28 Hv zurück, sondern wurden von der Leiterin der Gerichtsabteilung 22 zur Bearbeitung übernommen. Dadurch wurde die Abteilung des Disziplinarbeschuldigten um 28 Akten entlastet. Mit der 8. Änderung der Geschäftsverteilung ab 1. 7. 2006 wurde eine weitere Entlastung des Dr. ***** insofern beschlossen, als die in den Monaten Juli, August und September 2006 in der Gerichtsabteilung 28 anfallenden ersten drei Einzelrichterakten der Gerichtsabteilung 34 zugewiesen wurden. Vor allem die Entlastungen im Jahr 2006 dienten dazu, Rückstände in der Abteilung 28 Hv abzubauen und das Entstehen neuer Rückstände zu vermeiden.

In der Abteilung 28 Hv waren auch Verfahren größeren Umfangs anhängig, so etwa die Verfahren 27 Hv 173/02x, 28 Hv 11/03g, 28 Hv 170/03i, 28 Hv 175/03z und 28 Hv 29/96b. Derartige Verfahren sind auch in den anderen Hv-Abteilungen des Landesgerichts ***** angefallen und mussten ohne Freistellung erledigt werden.

Der Disziplinarbeschuldigte war bis Ende Februar 2007 Hv-Richter (Leiter der Gerichtsabteilung 28). Mit 1. 3. 2007 wurde er Leiter der Ur Gerichtsabteilung 18. Ihm verblieb neben drei weiteren Hv Akten, die er bis zur rechtskräftigen Erledigung zu bearbeiten hatte, noch der Akt 28 Hv 93/06w, in welchem er am 5. 6. 2007 das Urteil verkündete; die Urteilsausfertigung erfolgte erst am 10. 3. 2008.

In organisatorischer Hinsicht führte der Disziplinarbeschuldigte auch die Ur-Abteilung nicht problemlos. Am 18. 9. 2007 trat er eine Kur an, von welcher er bereits Anfang August 2007 Kenntnis hatte. Er unterließ es, seinen Vertreter vom Kurantritt zu informieren, obwohl er gleich für den ersten Tag der Vertretung 5 Einvernahmen ausgeschrieben hatte. Für 10. 10. 2007 hat der Disziplinarbeschuldigte im Wissen um seine Abwesenheit ab Anfang September eine schonende Zeugenvernehmung gemäß § 162a StPO ausgeschrieben, was insofern zu Problemen führte, als der Vertretungsrichter für diesen Vormittag bereits in einer Auslieferungs- und Haftsache die Auslieferungsverhandlung ausgeschrieben hatte. Auch darin dokumentiert sich wieder das Organisationsdefizit des Disziplinarbeschuldigten.

Mit 1. 1. 2008 übernahm der Disziplinarbeschuldigte die Leitung der Gerichtsabteilung 23 (Hv). Anfang 2008 waren in dieser Abteilung etwa 15 20 Verfahren offen, Ende 2008 waren es rund 40 Verfahren, obwohl der Disziplinarbeschuldigte ausschließlich Einzelrichterverfahren zu führen hatte und seine Auslastung bei der Beisitzertätigkeit nur bei rund 70 % lag.

Der Disziplinarbeschuldigte erledigte seine Arbeit in dem sich aus den Punkten I) und II) des Spruchs des Disziplinargerichts erster Instanz genannten Zeitraum nicht kontinuierlich, sondern eher schubweise, was nicht zuletzt auch eine Belastung für die Kanzleimitarbeiter/Innen darstellte. Obwohl seit dem Jahr 2004 ein Disziplinarverfahren anhängig ist, vermochte dies seine Arbeitsmotivation nicht zu steigern. Die in den vergangenen Jahren wiederholt festgestellte Schwäche im Zusammenhang mit der schriftlichen Ausfertigung von Entscheidungen setzte sich auch im Jahr 2008 fort. Positiv steht dem gegenüber, dass im Jahr 2008 ein guter Rechtsmittelerfolg festzustellen ist.

Beim Disziplinarbeschuldigten ist eine psychiatrische Erkrankung auszuschließen. Auch eine depressive Episode im Sinn einer psychiatrischen Erkrankung lag im hier maßgeblichen Zeitraum nicht vor. Ebenso kann eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion ausgeschlossen werden. Der Disziplinarbeschuldigte neigt von seiner Persönlichkeitsstruktur her nicht dazu, sich in übermäßige Selbstkritik zu verlieren, er nimmt bei ungestörter Kognition die Divergenz von Eigengedanken und Außenanspruch zwar wahr, überbrückt diese Kluft dann aber mittels einer persönlichkeitsinhärenten Neigung zur Externalisierung der Problemlösungsverantwortung. Die psychologische Testung ergab eine gerade noch durchschnittliche Leistungsorientierung. Insgesamt ist somit aus psychiatrischer Sicht beim Disziplinarbeschuldigten im relevanten Zeitraum keine Erkrankung oder krankheitswertige Störung aus dem psychiatrischen Formenkreis feststellbar und es war sowohl die Diskretions- als auch die Dispositionsfähigkeit durchgängig gegeben. Der Disziplinarbeschuldigte hat sohin die in den Spruchpunkten I) und II) näher bezeichneten Verfahrensverzögerungen in Kauf genommen, obwohl er durchaus erkennen konnte, hiedurch die ihm durch § 57 Abs 1 Satz 2 RStDG auferlegten Pflichten, sich mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen, die Pflichten seines Amts gewissenhaft zu erfüllen und die ihm übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen, zu verletzen und in der Lage gewesen wäre, Abhilfe durch entsprechende arbeitsorganisatorische Maßnahmen zu ergreifen.

In rechtlicher Hinsicht führte das Disziplinargericht erster Instanz im Wesentlichen aus, dass sich Richter gemäß § 57 Abs 1 RStDG mit voller Kraft und allem Eifer dem Dienst zu widmen und die ihnen übertragenen Amtsgeschäfte so rasch wie möglich zu erledigen haben. Gemäß § 270 Abs 1 StPO müsse jedes Urteil binnen 4 Wochen vom Tag der Verkündung schriftlich ausgefertigt und vom Vorsitzenden unterschrieben werden. Wenn auch diese Ausfertigungsfristen in der Praxis insbesondere bei aufwändigen Verfahren nicht ausnahmslos eingehalten werden könnten und deren Überziehung in vertretbarem Ausmaß und aus beachtlichen Gründen vom Disziplinargericht toleriert werde, sei die Vielzahl und die ungewöhnlich lange Dauer der hier festgestellten Verzögerungen bei den Urteilsausfertigungen (die mündlich verkündeten Urteile seien erst nach ca 6 Monaten bis 2 ½ Jahre ausgefertigt worden) weder zu entschuldigen noch zu rechtfertigen. Dasselbe gelte für die vom Disziplinarbeschuldigten zu vertretenden Verfahrensverzögerungen in den Verfahren 28 Hv 1086/01t und 28 Hv 170/03i bei der Anberaumung und Durchführung der Hauptverhandlung. Mit Rücksicht auf die Art und Schwere der schuldhaften und dem Disziplinarbeschuldigten voll zurechenbaren Verfehlungen laut den Punkten I) und II) des Spruchs sowie deren Wiederholung seien diese als Dienstvergehen iSd § 101 Abs 1 RStDG zu qualifizieren. Einem Richter müsse zugesonnen werden, Belastungsspitzen und -überhänge durch entsprechenden Einsatz und Zeitmanagement ohne beträchtliche Verfahrensverzögerungen und Urteilsrückstände zu überbrücken. Gleichermaßen sei er verpflichtet, allfällige Defizite hinsichtlich seines Arbeitsantriebs, seiner zielgerichteten Tätigkeit und Expedivität durch erhöhten Zeiteinsatz zu kompensieren und im Fall von arbeitsorganisatorischen Defiziten entsprechende Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen. Der Schuldspruch wegen eines Dienstvergehens hinsichtlich der im Spruch angeführten Fakten sei damit begründet.

Bei der Strafbemessung, die nach § 104 Abs 1 RStDG zu erfolgen habe, wertete das Disziplinargericht das Tatsachengeständnis sowie eine phasenweise gegebene hohe Arbeitsbelastung des Disziplinarbeschuldigten als mildernd, als erschwerend hingegen die Vielzahl und ungewöhnlich lange Dauer der Verfahrensverzögerungen über einen langen Zeitraum und die über den Disziplinarbeschuldigten bereits mit Beschluss des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht verhängte Ordnungsstrafe der Verwarnung wegen Verzögerung bei der Urteilsausfertigung und mangelhafter Urteilsbegründung, die den Disziplinarbeschuldigten offensichtlich nicht zu einer Erfüllung der in § 57 Abs 1 RStDG normierten Pflichten bestimmen habe können. Bei Abwägung dieser Strafzumessungsgründe sei eine Disziplinarstrafe der Minderung der Bezüge für ein Jahr im Ausmaß von 15 % schuldangemessen.

Die Verpflichtung zum Kostenersatz gründe sich auf § 137 Abs 2 RStDG, wobei der Höhe nach auf den beträchtlichen Verfahrensaufwand, aber auch auf die Unterhaltspflichten des Disziplinarbeschuldigten Rücksicht zu nehmen gewesen sei.

Gegen den verurteilenden Teil des Erkenntnisses des Disziplinargerichts erster Instanz richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten, der „Verfahrensmängel, unrichtige Feststellungen, unrichtige Beweiswürdigung sowie materielle Rechtswidrigkeit“ geltend macht mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass er zur Gänze freigesprochen werde. Hilfsweise stellt der Disziplinarbeschuldigte einen Aufhebungsantrag, begehrt „in eventu im Rahmen der Berufung wegen Strafe die mildeste, gesetzlich mögliche Sanktion auszusprechen“ und von einer Kostenersatzpflicht abzusehen.

Der Generalprokurator beantragte, der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld nicht Folge zu geben, jedoch die verhängte Strafe infolge des zusätzlich vorliegenden Milderungsgrundes der langen Verfahrensdauer angemessen zu verringern.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Die seine Berufung einleitenden Ausführungen des Disziplinarbeschuldigten über den Verlauf des ersten Rechtsgangs und die dort ergangenen Erkenntnisse stehen in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang zur vorzunehmenden Überprüfung des nunmehr vorliegenden, verurteilenden Teils des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses.

2. Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft zunächst pauschal alle ihn belastenden Feststellungen und wünscht demgegenüber ebenfalls pauschal die Annahme, er sei objektiv und subjektiv überlastet gewesen, weshalb ihm Verfahrensverzögerungen nicht vorzuwerfen seien und er diese auch nicht in Kauf genommen habe. Nachvollziehbare Einwände gegen die Lösung bestimmter Tatfragen sind diesen pauschalen Bestreitungen aber nicht zu entnehmen.

3. Das Disziplinargericht erster Instanz hat in Punkt I) des verurteilenden Teils seines Erkenntnisses 18 Verfahren ausgewiesen, in denen es „nach der mündlichen Urteilsverkündung bzw nach der Übertragung des Hauptverhandlungsprotokolls“ zu beträchtlichen Verzögerungen bei der Urteilsausfertigung gekommen ist. Diese Verzögerungen erstrecken sich über Zeiträume von rund 6 Monaten (28 Hv 186/03t) bis zu mehr als 2 Jahren (28 Hv 1092/01z). Der Disziplinarbeschuldigte bemängelt in diesem Zusammenhang zwar das Fehlen von „Feststellungen darüber, wann in jedem einzelnen Fall tatsächlich nach der Urteilsverkündung das Hv-Protokoll übertragen zur Verfügung stand“ (Berufung S 8); er behauptet allerdings zu keinem einzigen der bezeichneten Verfahren konkret, dass die massive Verzögerung bei der Urteilsausfertigung aus einer verspäteten Übertragung des Hv-Protokolls resultiere.

4. Der Disziplinarbeschuldigte wendet sich gegen die Annahme des Disziplinargerichts erster Instanz, er wäre durch entsprechende arbeitsorganisatorische Maßnahmen in der Lage gewesen, aufgetretene Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, und er beanstandet, das Disziplinargericht erster Instanz habe nicht ausgeführt, welche Maßnahmen der Disziplinarbeschuldigte ergreifen hätte sollen.

Zum Schuldspruch laut II) lit a) und b) sowie im Rahmen seiner Sachverhaltsfeststellungen (Urteil S 6 ff) hat das Disziplinargericht erster Instanz die Art und Ursache der vorgelegenen Verzögerungen genau dargestellt. Diese resultierten einerseits aus wiederholten unnötigen Vertagungen verbunden mit unvertretbar langen Zeitabständen zwischen den Verhandlungen und andererseits aus einem extrem langen Zeitraum (mehr als 9 [!] Monate) zwischen der Einbringung eines Strafantrags und der Ausschreibung einer Hauptverhandlung. Die genaue Beschreibung dieser Verzögerungen weist die unstrukturierte Arbeitsweise des Disziplinarbeschuldigten aus und daraus folgt im Umkehrschluss auch das gebotene Verhalten, nämlich insbesondere das zeitnahe Setzen einzelner Verfahrensschritte, um ständig neues Einarbeiten in den betreffenden Akt zu vermeiden. Dass die „unübersichtliche bis chaotische Verteilung von Akten- und Aktenstücken“ zu Leerläufen und Zeitverlusten führen muss und daher zu vermeiden ist, sollte selbstverständlich sein. Dies gilt namentlich auch bei der vom Disziplinarbeschuldigten urgierten Anlegung eines objektiven Maßstabs.

5. Der Disziplinarbeschuldigte macht geltend, das Disziplinargericht erster Instanz habe bei seiner Beurteilung vom Disziplinarbeschuldigten zu bewältigende, sogenannte Großverfahren (28 Hv 11/03g des Landesgerichts *****; Großverfahren „*****“) nicht ausreichend berücksichtigt, weil es sonst „zu einer anderen Beweiswürdigung und anderen Feststellungen, nämlich objektiver und subjektiver Überlastung des Disziplinarbeschuldigten gelangt wäre“.

Das Disziplinargericht erster Instanz hat durchaus die Belastung des Disziplinarbeschuldigten mit Verfahren größeren Umfangs und auch das zeitweilige Fehlen von 1,5 Richter-VZK beim Landesgericht ***** sowie einer daraus resultierenden Mehrbelastung der dortigen Richter konzediert, weiterer Beweisaufnahmen zu dieser Frage bedurfte es daher nicht. Das Disziplinargericht erster Instanz hat aber ebenso vom Disziplinarbeschuldigten unbekämpft festgestellt, dass auch dessen Kollegen vergleichbare größere Verfahren ohne Freistellung zu bewältigen hatten, die vom Disziplinarbeschuldigten geleitete Gerichtsabteilung in der fraglichen Zeit nicht mehr belastet war als andere Gerichtsabteilungen und darüber hinaus auch eine ganze Reihe von näher beschriebenen Maßnahmen zur Entlastung des Disziplinarbeschuldigten getroffen wurden (Urteil S 8). Damit hatte das Disziplinargericht erster Instanz gerade der Forderung des Disziplinarbeschuldigten nach einem Vergleich mit anderen Abteilungen entsprochen. Es hätte dann aber, wollte man der Logik des Disziplinarbeschuldigten folgen, auch in allen anderen Strafabteilungen zu ähnlich gravierenden Verzögerungen bei Urteilsausfertigungen und bei der Abwicklung einzelner Verfahren kommen müssen, wie dies dem Disziplinarbeschuldigten angelastet wird. Derartiges behauptet aber selbst der Disziplinarbeschuldigte nicht.

6. Die Überlegungen des Disziplinarbeschuldigten zur vermeintlichen Unangemessenheit der im Rahmen der sogenannten Personalanforderungsrechnung (PAR) ermittelten Zeitwerte für die Bearbeitung von Strafakten verkennen, dass es sich dabei um Durchschnittswerte handelt, sodass naturgemäß auch Verfahren anfallen, die selbst bei strukturierter Arbeitsweise ein größeres Zeitbudget erfordern. Einzelne, vom Disziplinarbeschuldigten ins Treffen geführte Verfahren, die den PAR-Zeitwert sprengten, dokumentieren demnach keine strukturelle Überlastung.

7. Den vom Disziplinarbeschuldigten als unbeachtet reklamierten Krankenstand hat das Disziplinargericht erster Instanz bei einer bestimmten, im zeitlichen Zusammenhang stehenden Verfahrensverzögerung sehr wohl bedacht (Urteil S 6). Wie aber besagter Krankenstand davor und lange danach aufgetretene Verfahrensverzögerungen erklären soll, vermag der Disziplinarbeschuldigte nicht aufzuzeigen.

8. Die vom Disziplinarbeschuldigten betonte gute Rechtsmittelstatistik insbesondere seit 1. 1. 2008 hat das Disziplinargericht erster Instanz berücksichtigt (Urteil S 6). Dem steht aber noch dazu bei verringerter Belastung eine steigende Anzahl an offenen Verfahren gegenüber (ebenfalls Urteil S 10) und schon grundsätzlich kann ein guter Rechtsmittelerfolg beachtliche Verfahrensverzögerungen nicht rechtfertigen.

9. Der Disziplinarbeschuldigte bemängelt weiters die unterbliebene Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens und er bezweifelt die Schlüssigkeit des psychiatrischen Gutachtens Dris. *****, inbesondere weil dieses erst Jahre nach den inkriminierten Zeiträumen erstattet worden sei und der Sachverständigen eine ausreichende Kenntnis der seinerzeitigen Belastungssituation des Disziplinarbeschuldigten gefehlt habe. Dem ist jedoch mit dem Disziplinargericht erster Instanz entgegen zu halten, dass es weder Aufgabe eines arbeitsmedizinischen noch eines psychiatrischen Sachverständigen sein kann, die aktenmäßige Belastung eines Richters zu bewerten.

10. Zusammenfassend erweisen sich demnach die vom Disziplinarbeschuldigten gegen die vom Disziplinargericht erster Instanz getroffenen Feststellungen vorgetragenen Argumente als nicht geeignet, diese zu erschüttern, weshalb uneingeschränkt von dem vom Disziplinargericht erster Instanz festgestellten Sachverhalt auszugehen ist. Hervorgehoben sei dabei im Ergebnis nochmals, dass an gewissen Defiziten bei der Personalausstattung des Landesgerichts ***** in der fraglichen Zeit zwar kein Zweifel bestehen kann, diese jedoch die dem Disziplinarbeschuldigten anzulastenden dienstlichen Versäumnisse nicht zu rechtfertigen vermögen, war dem Disziplinarbeschuldigten doch mit Entlastungsmaßnahmen entgegengekommen worden, ohne dass dies zu einer greifbaren Verbesserung geführt hätte. Dass auch andere Strafrichter dieses Gerichts eine vergleichbare Arbeitsbelastung nicht bewältigen hätten können, ist weder aktenkundig noch wird dies vom Disziplinarbeschuldigten behauptet. Der Schuldspruch durch das Disziplinargericht erster Instanz ist daher rechtsrichtig erfolgt.

11. Im Rahmen der Strafzumessung ist die Verfahrensdauer nicht als mildernd zu werten, weil sich diese angesichts der Komplexität des Verfahrens, insbesondere der Faktenhäufung und der notwendigen Erledigung der Eingaben und Anträge des Disziplinarbeschuldigten, nicht als unverhältnismäßig erweist. Im Übrigen erstreckt sich die Disziplinarstrafe der Minderung der Bezüge auf einen absehbaren Zeitraum und erreicht ein Ausmaß, welches einerseits unbedingt notwendig ist, um einen tatschuldangemessenen wirtschaftlichen Nachteil spürbar zu machen, und andererseits entgegen der Ansicht des Disziplinarbeschuldigten noch bei weitem zu keiner Existenzgefährdung seiner Person oder der ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten führt. Letzteres gilt gleichermaßen für die dem Disziplinarbeschuldigten auferlegten Verfahrenskosten.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

12. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 137 Abs 2 Satz 2 RStDG in Verbindung mit § 140 Abs 3 letzter Satz RStDG.

Rückverweise