1Ob60/10w – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Mag. Walter S*****, und 2.) B***** GmbH, *****, beide vertreten durch Mag. Oliver Japchen, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 2.289.227,69 EUR sA bzw 3.107.116,40 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Februar 2010, GZ 14 R 209/09x 45, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 22. September 2009, GZ 30 Cg 3/08v 41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.) Die Auslegung des Prozessvorbringens einer Partei durch das Berufungsgericht stellt regelmäßig keine iSd § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage dar, sofern keine unvertretbare Fehlbeurteilung vorliegt (RIS Justiz RS0042828).
Im vorliegenden Fall haben die Kläger ihr Vorbringen zur ihrer Ansicht nach schuldhaft rechtswidrigen Verfahrensverzögerung dahin konkretisiert (ON 40 AS 365), dass der Sachbearbeiter des Finanzamts an sich in der Lage gewesen wäre, bis längstens Juni 2004 das Ergebnis zu erzielen, dass kein Grund für eine Weiterführung des Finanzstrafverfahrens gegeben ist. Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen ersichtlich so verstanden, dass die Kläger ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der Behörden (nur) darin erblicken wollen, dass der Sachbearbeiter nicht schon im Juni 2004, sondern erst später das Fehlen eines finanzstrafrechtlich relevanten Verhaltens erkannt hat. Dies stellt keine bedenkliche Fehlinterpretation des klägerischen Vorbringens dar. Wenn das Berufungsgericht nun ausgehend von der grundsätzlichen Behauptungslast der Kläger dem Wort „spätestens“ keine besondere Bedeutung beigemessen hat und bei seiner rechtlichen Beurteilung davon ausgegangen ist, dass nach Auffassung der Kläger bei pflichtgemäßem Vorgehen der Finanzbehörde die Erhebungen im Juni 2004 abgeschlossen gewesen wären, ist die Entscheidung nicht von einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO abhängig, deren Lösung vom Obersten Gerichtshof zu korrigieren wäre.
2.) Ausgehend von einer Widerlegung des ursprünglichen Verdachts Ende Juni 2004 nahm das Berufungsgericht weiter an, dass der Schlussbericht der Finanzbehörde der Staatsanwaltschaft Ende 2004 hätte vorgelegt werden können, weil für dessen Ausarbeitung „nach § 273 ZPO“ sechs Monate zu veranschlagen seien.
Auch wenn die Revisionswerber zutreffend darauf hinweisen, dass die Regelung des § 273 ZPO in diesem Zusammenhang nicht (unmittelbar) anzuwenden ist, ist für ihren Prozessstandpunkt daraus doch nichts zu gewinnen, weil es allgemeiner Lebenserfahrung entspricht, dass ein detaillierter Abschlussbericht in einem komplizierten Finanzstrafverfahren nicht unerhebliche Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Die Frage der notwendigen Bearbeitungszeit entzieht sich typischerweise einer exakten Feststellbarkeit auf Tatsachenebene und ist daher jedenfalls insoweit im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu lösen, als dafür ein gewisser Näherungswert anzunehmen ist, was durchaus dem auch in § 273 ZPO enthaltenen Gedanken entspricht. Auch wenn man für das Verfassen des Abschlussberichts durch die Finanzbehörde einen geringeren Zeitraum veranschlagen wollte als das Berufungsgericht, wäre für die Ermittlung des hypothetischen Zeitpunkts der Einstellung des Strafverfahrens weiter zu berücksichtigen, dass der Abschlussbericht von der Staatsanwaltschaft noch eingehend geprüft und zum Gegenstand einer Antragstellung beim Gericht gemacht werden muss, bevor endgültig über die Fortführung oder Einstellung des Verfahrens entschieden werden kann. Selbst wenn man nun in einer für die Revisionswerber günstigen Beurteilung annehmen wollte, dass die Verfahrenseinstellung bereits Ende 2004 erfolgt wäre das Berufungsgericht geht von Anfang Juni 2005 aus , wären die von den Klägern behaupteten Schäden bereits vorher eingetreten, womit es an der Kausalität der Verfahrensverzögerung mangelt.
3.) Nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen hat sich eine als potentielle Investorin aufgetretene AG spätestens am 24. 4. 2003 dazu entschlossen, von einer Beteiligung an der Zweitklägerin Abstand zu nehmen. Die Entscheidung eines weiteren Investors, sich an Konzernunternehmen zu beteiligen und den Erstkläger von einer Haftung zu befreien, erfolgte spätestens im Juli 2004, wobei nach den Feststellungen das laufende Finanzstrafverfahren dafür gar nicht ausschlaggebend war. Geht man nun mit dem Berufungsgericht davon aus, dass im Juni 2004 der Sachbearbeiter der Finanzbehörde bei entsprechend zielgerichtetem Vorgehen zur Überzeugung gelangt wäre, dass der Verdacht gegen den Erstkläger unberechtigt war, wären die von den Klägern beklagten Nachteile auch bei unverzüglicher Ausarbeitung des Abschlussberichts und dessen Weiterleitung an die Staatsanwaltschaft nicht mehr zu verhindern gewesen, sollte die Prozessbehauptung zutreffen, das „Abspringen“ der Investoren sei darauf zurückzuführen gewesen, dass zu den jeweiligen Zeitpunkten das Finanzstrafverfahren noch nicht beendet gewesen war.
Auf den weiters geltend gemachten Schaden durch Fälligstellung und Konvertierung eines Bankkredits kommt der Erstkläger in der Revision nicht mehr zurück. Insoweit haben die Vorinstanzen im Übrigen auch (unbekämpft) festgestellt, dass die Anhängigkeit eines Finanzstrafverfahrens nicht die Ursache für die Fälligstellung und Konvertierung des Kredits war.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO), wobei insbesondere auch nicht erörtert werden muss, ob das Vermögen der Zweitklägerin durch jene Verfahrensvorschriften geschützt ist, die im Interesse des Beschuldigten eine rasche Durchführung von (Finanz )Strafverfahren sicherstellen sollen.