11Os52/10x – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Richard S***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 12. November 2009, GZ 40 Hv 19/09s 51, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
B e s c h l u s s
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Richard S***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I.); der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 StGB (II.); der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 1, 15 StGB (III.) und der Vergehen der Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 1 StGB (IV.) schuldig erkannt.
Danach hat er in A*****
I.) Cornelia S***** mit Gewalt zur Vornahme oder Duldung des Beischlafs oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen genötigt, indem er
1) die unter Punkt I. beschriebenen Handlungen setzte;
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a, „9“ und 10 StPO.
Die Verfahrensrügen wenden sich gegen die Verlesung der im Ermittlungsverfahren abgelegten Aussage des Zeugen Jürgen S***** (statt dessen beantragter Vernehmung in der Hauptverhandlung) und die Ausscheidung der angeklagten Vorfälle im Sommer 2003 in M***** (Anklageschrift ON 42 Punkt I 1a und teilweise III).
Zu § 281 Abs 1 Z 2 StPO fehlt ein Vorbringen (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO), aus welchem Grund die Aussage des Zeugen durch eine nichtige Beweisaufnahme im Ermittlungsverfahren entstanden sei.
Zu § 281 Abs 1 Z 3 StPO mangelt der Hinweis auf die Bestimmung, deren Einhaltung im Zusammenhang mit der kritisierten Verfahrenstrennung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 193). Das Aufgreifen dieses Vorgangs aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO ist dem Beschwerdeführer schon formell verwehrt, weil die beanstandete Verfügung nicht gegen seinen Antrag oder Widerspruch erfolgte.
Die Vernehmung des Zeugen Jürgen S***** wurde zum Beweis dafür beantragt, „dass die Vorfälle im Sommer 2003 in M***** nicht wie angeklagt stattgefunden haben“. Über Frage erklärte der Verteidiger, dass der Zeuge Jürgen S***** lediglich zu den Vorfällen auf der Alpe in M***** beantragt werde (ON 50 S 36).
Zufolge Ausscheidung dieses Anklagevorwurfs vor urteilsmäßiger Erledigung der restlichen Anklage fehlt es dem Antragsteller hinsichtlich der Abweisung seines Begehrens (ON 50 S 36) an der Beschwer (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO). Die Themenerweiterung im Rechtsmittel (Z 4) ist unbeachtlich (RIS Justiz RS0099117 und RS0099618; Ratz , WK StPO § 281 Rz 325).
Dem Vorwurf der Mängelrüge (Z 5) entgegen hat sich das Erstgericht eingehend mit den Aussagen des Opfers beschäftigt (US 10 bis 12), ohne auf Details in der kontradiktorischen Vernehmung (ON 16) zu den Vorwürfen des versuchten Geschlechtsverkehrs (Schuldspruch II 3 und IV) eingehen zu müssen. Das Mädchen bezog sich vor Gericht ausdrücklich und konkret auf seine Angaben vor der Polizei (ON 16 S 8 bis 10), denen wiederum das Ablassen des Angeklagten in diesen Fällen als Folge des Widerstands der Tochter gegen die derartigen Aktionen des Vaters zu entnehmen ist (ON 15 S 17). Dass die Zeugin dies in ihrer gerichtlichen Vernehmung nicht ausdrücklich deponierte, musste somit nicht gesondert erörtert werden (zur notwendigen, durch erfolgreichen Opferwiderstand nicht vorliegenden Freiwilligkeit für den vom Beschwerdeführer thematisierten Rücktritt vom Versuch vgl etwa 11 Os 100/94, SSt 62/23).
Die Tatsachenrüge (Z 5a) argumentiert mit den Aussagen der Zeugen Jürgen, Reingard und Daniel S*****, die von den Vorfällen 2003 auf der Almhütte in M***** nichts mitbekommen hätten. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der den angefochtenen Schuldsprüchen zu Grunde liegenden Tatsachen werden beim Obersten Gerichtshof dadurch nicht erweckt.
Denn der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit - wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld - sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583; 12 Os 62/08x uva).
Soweit der Rechtsmittelwerber sein Vorbringen zur Tatsachenrüge auch als „Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 5 StPO gelten“ lassen will, unterlässt er einmal mehr die deutliche und bestimmte Bezeichnung eines nichtigkeitsbegründenden Tatumstands (§ 285a Z 2 StPO), überdies ist auf die logisch und empirisch unbedenklichen erstrichterlichen Ausführungen US 12 bis 14 zu verweisen.
Die weiteren zu § 281 Abs 1 Z 5a StPO erhobenen Einwände erschöpfen sich in eigenständig beweiswürdigenden Spekulationen über eine alternativ denkbare Intention des Angeklagten bei den den Schuldsprüchen II. 3 und IV. zu Grunde liegenden Vorfällen („genauso gut ist es denkbar ...“). Mangels Argumentationen „aus den Akten“ verfehlen sie schon formell die prozessordnungsgemäße Darstellung dieses Nichtigkeitsgrundes. Dies gilt gleichermaßen für das mit § 281 Abs 1 Z 5 StPO titulierte jeglichen konkreten Aktenbezug unterlassende Vorbringen (vgl 13 Os 74/07t), dass das Erstgericht „das Nichtvorliegen von Beweisergebnissen für diese Beischlafsintention mit Stillschweigen übergeht“.
Die auf § 281 Abs 1 Z „9“ und 10 StPO (der Sache nach überwiegend nur Z 10) gestützte Rechtsrüge hält einerseits nicht wie es für die prozessordnungskonforme Darstellung materiellrechtlicher Nichtigkeit unabdingbar ist (RIS Justiz RS0099810, RS0116565, RS0117247, RS0099724; Ratz , WK StPO § 281 Rz 584) am Tatsachensubstrat der angefochtenen Entscheidung fest, indem sie die in US 8 f konstatierte subjektive Tatseite zu den Vergewaltigungen ignoriert und bei der Behauptung eines Rücktritts vom Versuch eines Geschlechtsverkehrs eine nicht konstatierte (vgl US 7, 8) Freiwilligkeit unterstellt.
Andererseits lässt sie es an einer über die bloße Behauptung hinausgehenden juristischen Argumentation fehlen, das zu den Vergewaltigungen festgestellte Täterverhalten (Drücken des Kopfes, Halten und Ziehen an der Hüfte US 6 bis 8) sei weil das Opfer angesichts des als nutzlos erkannten Widerstands „die Handlungen später ohne große Gegenwehr über sich ergehen“ ließ, keine tatbestandsmäßige Gewalt.
Der Vollständigkeit halber (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) sei zur Weite des Gewaltbegriffs auf Schick in WK² § 201 Rz 13 und die zB aus RIS Justiz RS0095232 ersichtliche Judikatur verwiesen.
Schließlich ignoriert der Nichtigkeitswerber mit seinem Vorbringen, hinsichtlich des Schuldspruchs III. habe er nicht „die Vater Tochter Beziehung zum Vollzug der verurteilten strafbaren Handlungen ausgenützt“, den klaren Gesetzeswortlaut des § 212 Abs 1 Z 1 StGB, der auf diesen Umstand (anders als Z 2 leg cit) überhaupt nicht abstellt, und entzieht sich somit meritorischer Erwiderung.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390 Abs 1 StPO.