11Os42/10a – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Mai 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bayer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Isolde S***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 15. Jänner 2010, GZ 20 Hv 78/09y 20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung wegen Schuld werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung (wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen, Ansprüche) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Der Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Isolde S***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie von 2001 bis Ende 2008 in Neumarkt/Ybbs und anderen Orten Österreichs mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von teilweise schweren Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Gerhard G***** durch Vortäuschung ihrer Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit, somit durch Täuschung über Tatsachen, in vielfachen Angriffen zur Übergabe von Darlehensbeträgen zwischen 600 Euro und 6.500 Euro, mithin zu Handlungen verleitet, die diesen an seinem Vermögen schädigten, wobei der Gesamtschaden mehr als 3.000 Euro, jedoch nicht mehr als 50.000 Euro beträgt.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO.
Die Rechtsmittelwerberin hatte in der (am 15. Jänner 2010 einverständlich fortgesetzten - ON 19 S 4) Hauptverhandlung am 2. September 2009 beantragt „die Einholung eines graphologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der Überweisungsbeleg von der Angeklagten geschrieben worden ist; ... weiters die Einvernahme der Elfriede P*****, per Adresse ...“ (ON 42 S 15).
Dieser Antrag blieb - wie die Beschwerdeführerin zutreffend moniert - unerledigt, was einer abschlägigen Entscheidung darüber gleichkommt ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 316).
Dies begründet indes der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider keine Nichtigkeit, weil dem Beweisbegehren der Bezug zu erheblichen Tatsachen (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO) nicht zu entnehmen ist, und der Zusammenhang mit der im Verfahren unterschiedlich beantworteten (ON 15 S 20 und 7 f) schriftlichen Urheberschaft eines Überweisungsbelegs mit dem anklagegegenständlichen Darlehensbetrug keineswegs offenliegt ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 327 f, 340 f mit Judikaturnachweisen). Das (zur angeblich durch dieses isolierte Detail beeinträchtigten Glaubwürdigkeit des Privatbeteiligten als Zeugen) ergänzende Vorbringen in der Beschwerde ist schon formell unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099117 und RS0099618; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 325).
Die - trotz der in der Prozessordnung vorgesehenen unterschiedlichen Anfechtungsansätze undifferenziert gemeinsam ausgeführte Mängel- und Tatsachenrüge (Z 5, 5a) verkennt weitgehend entscheidende Tatsachen als deren gesetzlich vorgegebenen Bezugspunkt.
Darunter versteht man solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS Justiz RS0106268, RS0099497). Erhebliche Tatsachen (Tatumstände) sind nach Denkgesetzen und Lebenserfahrung nicht gänzlich ungeeignet, den Ausspruch über eine entscheidende Tatsache, das heißt für Schuldspruch oder Subsumtion relevante Tatsachenfeststellungen zu beeinflussen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 340; RIS-Justiz RS0118319, RS0118316, RS0116877).
Das Rechtsmittel wendet ein, dass Barabhebungen vom Konto des Privatbeteiligten und Zahlungen an die Angeklagte nicht zur Gänze korrelieren. Mit den Fragen, ob die Nichtigkeitswerberin nach Aufdeckung früherer Malversationen als Postbedienstete gekündigt wurde oder (selbst) gekündigt hat (US 6), ob sie gegenüber den österreichischen Bundesbahnen eine „Gesamteinlöse“ ihrer (für den Eisenbahnausbau benötigten) Liegenschaft begehrt hatte (US 5) und wie weit Gründe für die (von der Angeklagten ja durchgehend grundsätzlich bestrittenen) Darlehensaufnahmen von ihr vorgetäuscht wurden oder tatsächlich vorlagen (US 4), hätten sich die Tatrichter im Urteil nicht entsprechend auseinandergesetzt. Dem Beschwerdestandpunkt entgegen handelte es sich dabei fallbezogen um keine erheblichen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 421) - und somit im Sinne von § 270 Abs 2 Z 5 StPO gesondert erörterungsbedürftigen Verfahrensergebnisse; der Kern des Schuldvorwurfs liegt dementgegen nämlich im wahrheitswidrigen Vorspiegeln der Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit (US 4, 5).
Das Erstgericht ist unter Berücksichtigung der vom Privatbeteiligten eingeräumten Unsicherheiten aufgrund der Angaben dieses Zeugen zur Feststellung von (einzelnen) Darlehensgewährungen (auch) über 3.000 Euro ausgegangen (US 4, 5, 9). Wenn die Beschwerdeführerin diese Aussagen (überdies hinsichtlich des Beginns der Bekanntschaft mit der Angeklagten - vgl dazu US 8; zur auch im Gegenstand nicht bestehenden Relevanz des Tatzeitraums RIS-Justiz RS0098693) einer inhaltlichen Kritik unterzieht, bringt sie damit keinen Widerspruch im Sinne von § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO zur prozessordnungsgemäßen Darstellung (siehe dazu Ratz , WK-StPO § 281 Rz 438; Fabrizy , StPO 10 § 281 Rz 45), sondern begibt sich in den ihr im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich verwehrten Bereich einer Bekämpfung tatrichterlicher Beweiswürdigung nach Art einer Berufung wegen Schuld.
Von wem das als Darlehen gewährte Geld stammte und wer somit als Geschädigter in Betracht kommt, ist keine für die Herstellung des Betrugstatbestands entscheidende Tatsache (arg § 146 „... diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt ...“; Kirchbacher in WK² § 146 Rz 59) und kann somit im Nichtigkeitsverfahren dahinstehen. Soweit der Privatbeteiligtenzuspruch angegriffen wird, handelt es sich um ein Berufungsvorbringen.
Keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der den Schuldspruch tragenden Feststellungen (Z 5a) erweckt die Rechtsmittelwerberin mit den Hinweisen auf die bereits in der Mängelrüge thematisierten Divergenzen zwischen den Kontoauszügen über Barbehebungen durch den Privatbeteiligten und den Darlehenssummen (vgl in diesem Zusammenhang zur Persönlichkeit des Zeugen G***** US 7, 8).
Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Das Vorbringen zu einer freien Verfügungsmöglichkeit der Angeklagten über das von ihr zwischenweilig von den österreichischen Bundesbahnen erhaltene Entschädigungsgeld ist eine im Nichtigkeitsverfahren unbeachtliche Neuerung (RIS-Justiz RS0098978; siehe überdies die gegenteilige Behauptung des Verteidigers ON 15 S 14).
Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermisst die „ausdrückliche“ Feststellung eines Irrtums des getäuschten Privatbeteiligten, übergeht dabei aber die tatgerichtlichen Annahmen US 4 und 10, aus denen dieses Tatbestandselement (noch - Ratz , WK-StPO § 281 Rz 19) zu entnehmen ist und entzieht sich folglich einer Erledigung nach §§ 285c Abs 2, 286 ff StPO.
Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass das Vorliegen von „Geldschwierigkeiten“ (US 4) keinesfalls zwingend eine betrügerische Darlehensaufnahme nach sich ziehen muss, weil dadurch weder Rückzahlungsfähigkeit noch -willigkeit ausgeschlossen sind, somit ein Irrtum darüber gar wohl bewirkt werden kann.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ebenso wie die (angemeldete ON 19 S 14) nur gegen Einzelrichterurteile gesetzlich vorgesehene Berufung wegen Schuld bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der unter einem erhobenen Berufung wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.