11Os201/09g – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Metzler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Jörg K***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 29. September 2009, GZ 083 Hv 54/09g-29, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Berufung wegen Schuld wird zurückgewiesen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil - das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt - in seinem den Angeklagten K***** betreffenden Teil aufgehoben, diesbezüglich eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang zu neuer Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Mit seiner Berufung (wegen Strafe) wird der Angeklagte K***** auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Freispruch eines Mitangeklagten enthält, wurde Jörg K***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er am 8. August 2008 in Wien als Beamter mit dem Vorsatz, dadurch den Staat in seinem Recht auf verwaltungsstrafrechtliche und disziplinarrechtliche Verfolgung „beziehungsweise Bestrafung" des (Polizeibeamten) Andreas B***** wegen eines von diesem als Lenker eines Kraftfahrzeugs im alkoholisierten Zustand (2,9 Promille Blutalkoholgehalt) verursachten Verkehrsunfalls mit Eigenverletzung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er es unterließ, einerseits in Erfüllung der ihn nach § 25 VStG treffenden Pflicht, auch die der Belastung dienenden Umstände zu erheben, insbesondere, ob eine Alkoholisierung vorlag, „andererseits die im Zusammenhang mit den ihn als Exekutivorgan treffenden Pflichten erforderlichen Maßnahmen nach § 5 StVO, nämlich insbesondere die Vorführung zu dem im öffentlichen Sanitätsdienst stehenden und bereits anwesenden Notarzt sowie in der Folge die Veranlassung der Blutabnahme, zu treffen und Anzeige wegen § 99 StVO zu erstatten".
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich eine als „Beschwerde wegen Nichtigkeit" angemeldete, auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der überdies eine „Berufung wegen Schuld und Strafe" anmeldete (ON 31), dieses Rechtsmittel jedoch nur im zweiten Punkt ausführte (ON 35).
Die Berufung wegen Schuld war als gegen kollegialgerichtliche Urteile im Gesetz nicht vorgesehen schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.
Die Tatrichter gingen davon aus, dass sich der Angeklagte K***** im Zuge seiner Erhebungen nach einem Verkehrsunfall beim Notarzt erkundigte, „welche Verletzungen [der Lenker] Andreas B***** erlitten hätte, sowie ob dieser einem Alkovortest unterzogen werden könnte, was von Dr. S***** unter Hinweis auf die vorliegende Bewusstseinstrübung beim Patienten verneint wurde". Weiters nahmen sie an: „K***** unterließ es in weiterer Folge wissentlich, den anwesenden Notarzt Dr. S***** zu fragen, ob dieser beim Verunfallten Andreas B***** eine Alkoholisierung wahrnehmen bzw erkennen konnte. Diese Frage hätte Dr. S***** im Hinblick auf die jedenfalls im Rettungswagen gewonnene Erkenntnis über das Vorliegen einer erheblichen Alkoholisierung mit Sicherheit bejaht" (US 12). Die Verantwortung des Angeklagten K*****, er habe anlässlich des Pulsfühlens bei Andreas B***** keinen Alkohol gerochen, weil er sich nur ganz kurz in dessen unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte, war nach Ansicht des Erstgerichts nicht zu widerlegen (US 15). Weil der Angeklagte den Notarzt nicht zur - aufgrund des Unfallhergangs neben Übermüdung oder Fahrfehler als Unfallursache in Betracht zu ziehenden - Alkoholisierung des Verunfallten gefragt hätte, schlossen die Tatrichter darauf, jener habe diesen Umstand „in Erwägung gezogen" und die dadurch indizierten weiteren Erhebungsschritte bewusst unterlassen (US 18 f).
Zutreffend zeigt die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) auf, es sei unerörtert geblieben, dass der Notarzt die Frage „Wenn sie einen konkreten Verdacht auf Alkohol festgestellt hätten, hätten sie diesen der Polizei mitgeteilt?" mit „Nein" beantwortete (ON 17 S 123), dass die Wahrnehmung und Thematisierung der Alkoholisierung des Unfalllenkers nach den Angaben der Zeugen K***** und Dr. S***** nicht schon an der Unfallstelle [somit in Anwesenheit der Polizei], sondern im Rettungswagen [erst] auf dem Weg ins Spital erfolgte (ON 17 S 113 und S 131 - mehrdeutig die Angaben vor der Polizei ON 7 S 97 und S 109), und dass der Notarzt angab, es könne sein, dass einer der Polizisten gefragt habe, „wie es mit ihm ausschaut und wie es mit dem Alkohol ausschaut [gemeint: hinsichtlich des Unfalllenkers]" (ON 17 S 115, siehe dazu auch ON 17 S 121 und neuerlich ON 7 S 97 sowie US 12 hinsichtlich des „Alkovortests").
Da die Tatrichter den Schuldvorwurf auf das Unterlassen (weiterer) Erkundigungen nach allfälliger Alkoholisierung des Unfalllenkers - über die Frage nach einem „Alkovortest" (die eine Prüfung des Sachverhalts durch den Polizisten [auch] in die inkriminierte Richtung durchaus indiziert und auf die eine konkrete Antwort des Gefragten hinsichtlich eines diesbezüglichen Verdachts nahelag) hinaus - stützten (US 12 f, 18 f, 21 ff), kam den aufgezeigten Mängeln erhebliche Bedeutung für den Schuldspruch zu. Verstößen gegen § 5 Abs 2 bis Abs 6 StVO - so sei der Vollständigkeit halber erwähnt - stand die festgestellte Bewusstseinstrübung (US 8, 9, 12) entgegen. Es war demnach in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde - deren weiteres weitwendiges Vorbringen keiner Erörterung bedurfte - gemäß § 285e StPO zu entscheiden und der Angeklagte mit seiner Berufung (wegen Strafe) auf die Kassation (auch) des Strafausspruchs zu verweisen.