3Nc41/09y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen N***** S***** und A***** S*****, aufgrund der vom Bezirksgericht Hall in Tirol verfügten Vorlage des Akts AZ 2 Ps 374/09t (nunmehr 2 Ps 404/09d), zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom 2. November 2009, GZ 2 Ps 374/09t-115, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Zell am See wird nicht genehmigt.
Text
Begründung:
Mit Beschluss vom 2. November 2009 übertrug das Bezirksgericht Hall in Tirol die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Zell am See, weil die bis September 2009 in seinem Sprengel wohnenden Kinder in den Sprengel des Bezirksgerichts Zell am See übersiedelt seien.
Das Bezirksgericht Zell am See weigerte sich, die ihm übertragene Pflegschaftssache zu übernehmen. Dem übertragenden Gericht komme eine besondere Sachkenntnis in dieser Besuchsrechtsangelegenheit zu, weil es über den Besuchsrechtsantrag der Großeltern aufgrund verschiedener Erhebungen (einschließlich Begutachtung durch Sachverständige) teilweise entschieden habe und die gewonnenen Eindrücke auch für die restliche noch zu treffende Besuchsrechtsregelung verwertet werden könnten. Überdies hätten die Verfahrensparteien die Zuständigkeitsübertragung nicht beantragt.
Das Bezirksgericht Hall in Tirol legte den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung „über den negativen Kompetenzkonflikt" vor.
Rechtliche Beurteilung
Ungeachtet seines Wortlauts ist der Antrag als Anzeige nach § 111 Abs 2 zweiter Satz JN zu werten (vgl 3 Nc 3/09k). Die Übertragung ist nicht zu bewilligen.
Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Diese Voraussetzungen liegen in der Regel vor, wenn die Pflegschaftssache an jenes Gericht übertragen wird, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung des Betroffenen liegt (RIS-Justiz RS0047300).
Im vorliegenden Fall übersiedelten die Pflegebefohlenen mit ihrem obsorgeberechtigten Vater im September 2009 von ihrem bisherigen Hauptwohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Hall in Tirol in den Sprengel des Bezirksgerichts Zell am See und meldeten sich dort unter Aufgabe des bisherigen Hauptwohnsitzes an. Der Vater kündigte darüber hinaus das Vollmachtsverhältnis zu seinem bisherigen in Hall in Tirol tätigen Rechtsanwalt auf. Die zuständige Jugendwohlfahrtsbehörde übertrug die Sache bereits an die für den neuen Wohnsitz zuständige Wohlfahrtsbehörde. Den notwendigen pflegschaftsgerichtlichen Schutz kann in der Regel das Gericht am Besten gewährleisten, in dessen Sprengel die Pflegebefohlenen wohnen (3 Nc 3/09k mwN). Auch offene Anträge sind grundsätzlich kein Übertragungshindernis (RIS-Justiz RS0047032, RS0046895); es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, ob die Entscheidung über einen solchen Antrag durch das bisherige Gericht zweckmäßiger ist. Offene Anträge im Pflegschaftsverfahren sprechen nur dann gegen eine Übertragung, wenn das bisher zuständige Gericht wegen seiner bisherigen Ermittlungen und Tatsachenkenntnisse und seiner eingehenden Vertrautheit mit den Problemen zur Entscheidung besser geeignet ist (Fucik in Fasching/Konecny² I § 111 JN Rz 3 mwN). Ein solcher Vorzug kommt dem übertragenden Gericht hier - trotz der langen Verfahrensdauer - wegen eines Wechsels des zuständigen Entscheidungsorgans ausnahmsweise nicht zu (Neubesetzung der Abteilung; vgl 5 Nc 11/09a). Da die in dieser Besuchsrechtsangelegenheit zu treffende Entscheidung ohnehin von einem neuen Richter zu treffen sein wird, der die bisherigen Verfahrensergebnisse (mittelbar) verwerten muss, die in weiterer Folge aber doch allenfalls erforderliche persönliche Einvernahme der Pflegebefohlenen im Gericht des Wohnorts leichter durchgeführt werden kann als in dem viel weiter entfernten Gericht des früheren Wohnorts, wäre die Zuständigkeitsübertragung nach dem zum Zeitpunkt des Übertragungsbeschlusses vorliegenden Sachverhalt zu genehmigen. Mittlerweile ist der obsorgeberechtigte Vater mit seinen Kinder aber neuerlich übersiedelt und an einem außerhalb des Sprengels des Gerichts, an das die Führung des Pflegschatfsverfahrens übertragen wurde, gelegenen Ort wohnhaft (und seit 27. November 2009 auch gemeldet). Die Voraussetzungen für die Genehmigung des Übertragungsbeschlusses bestehen daher nicht mehr, weshalb die Genehmigung zu versagen ist.
Das vorlegende Gericht wird - sollte es die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsübertragung an das Gericht des nunmehrigen Wohnorts für gegeben erachten - einen neuen Übertragungsbeschluss zu fassen und den Akt an das darin genannte Gericht zu übermitteln haben. Nur im Fall der Weigerung des überwiesenen Gerichts, das Pflegschaftsverfahren zu übernehmen, kommt eine (weitere) Befassung des Obersten Gerichtshofs in Betracht.