12Os164/09y – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hofer als Schriftführerin in der Strafsache gegen R***** M***** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems als Schöffengericht vom 30. Juni 2009, GZ 35 Hv 31/09s-32, und über die von der Generalprokuratur gegen die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, und des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Rößler zu Recht erkannt:
Spruch
Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren AZ 35 Hv 31/09s des Landesgerichts Krems am 30. Juni 2009 in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat verletzen das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter Satz StPO.
Das Urteil des Landesgerichts Krems vom 30. Juni 2009, GZ 35 Hv 31/09s-32, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wird der Angeklagte ebenso auf diese Entscheidung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft mit der von ihr erhobenen Berufung.
Text
Gründe:
In der Strafsache gegen R***** M*****, AZ 35 Hv 31/09s des Landesgerichts Krems, führte am 30. Juni 2009 ein Schöffensenat bestehend aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern die Hauptverhandlung durch und fällte ein auch Entscheidungen über Privatbeteiligtenansprüche enthaltendes Urteil, mit dem der Angeklagte des Verbrechens der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB (richtig: § 86 StGB) schuldig erkannt wurde. Danach hat er am 10. Oktober 2008 in Dietmanns den J***** S***** dadurch, dass er ihm mehrere Faustschläge ins Gesicht versetzte, ihn zu Boden stieß und auf ihn mit den Füßen eintrat, was einen Nasenbeinbruch und eine Bewusstlosigkeit zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod des J***** S***** zur Folge hatte, weil dieser Blut und Erbrochenes einatmete, sodass es zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns kam, was in der weiteren Folge zu einem durch eine Lungenentzündung hervorgerufene Herz-Kreislauf-Versagen führte.
Der Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein Teil der Freiheitsstrafe von zwei Jahren wurde für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Dieses Urteil wird vom Angeklagten mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie von der Staatsanwaltschaft mit Berufung angefochten.
Rechtliche Beurteilung
Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren 35 Hv 31/09s des Landesgerichts Krems am 30. Juni 2009 in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Senat steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Mit dem am 17. Juni 2009 kundgemachten und am 1. Juni 2009 - somit rückwirkend (§ 514 Abs 5 erster Satz StPO) - in Kraft getretenen Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem (Berufs )Richter und zwei Schöffen besteht. Durch die Mitwirkung einer zweiten Berufsrichterin an der Verhandlung und Urteilsfällung vom 30. Juni 2009 wurde daher das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter Satz StPO iVm Art 6 Abs 1 MRK und Art 83 Abs 2 B-VG verletzt (vgl Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9). Die gegenteilige, im Erlass des BMJ vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen" und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen gewesen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (eingehend dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111-115).
Es bleibt anzumerken, dass es sich bei einem solcherart „überbesetzten" Schöffengericht nicht um einen „höherqualifizierten" Spruchkörper (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 115) handelt. Vielmehr entschied ein Richterkollegium in einer Zusammensetzung, welche das Gesetz im Verhandlungszeitpunkt nicht mehr vorsah. Demgemäß liegt auch eine Verletzung des im Art 6 Abs 1 MRK („… und zwar von einem … auf Gesetz beruhenden Gericht …") verankerten Grundrechts auf ein faires Verfahren vor (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 § 24 Rz 27 ff, insbesondere Rz 30). Der Angeklagte wurde daher auch in seinem verfassungsmäßig gewährleistetem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) beeinträchtigt.
Zur nicht gehörigen Gerichtsbesetzung und der gemäß § 281 Abs 1 Z 1 StPO statuierten Rügepflicht wird auf die Ausführungen in 13 Os 139/09d, 13 Os 145/09m sowie 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w verwiesen. Da durch die Mitwirkung der beisitzenden Berufsrichterin ein für den Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die der Abstimmung über die Schuld- und Straffrage vorangegangene Willensbildung im Senat nicht auszuschließen ist (vgl RIS-Justiz RS0100599; 9 Os 11/87) und kein Hinweis vorliegt, wonach der Beschwerdeführer diesen Besetzungsmangel bewusst in Kauf genommen hätte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen.
Demnach war das Urteil des Landesgerichts Krems vom 30. Juni 2009, GZ 35 Hv 31/09s-32, aufzuheben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung war der Angeklagte ebenso auf diese Entscheidung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit der von ihr erhobenen Berufung.