JudikaturOGH

12Os161/09g – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hofer als Schriftführerin in der Strafsache gegen M***** R***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall und 15 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten M***** G***** und G***** Ga***** sowie über die Berufung des Angeklagten M***** M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Jugendschöffengericht am 29. Juni 2009, GZ 11 Hv 30/09d-71, über die Beschwerden der Angeklagten M***** G*****, G***** Ga***** und M***** M***** gegen die unter einem gefassten Beschlüsse nach §§ 50, 52 StGB und § 494a Abs 1 Z 4 StPO sowie über die von der Generalprokuratur gegen die Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, und den Verteidigern Rechtsanwälte Dr. Heindl, Mag. Caviola, Mag. Zechner, Dr. Böhm, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren AZ 11 Hv 30/09d des Landesgerichts Leoben am 29. Juni 2009 in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Jugendschöffensenat verletzen das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter Satz.

Das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 29. Juni 2009, GZ 11 Hv 30/09d-71, die M***** R*****, M***** G*****, C***** D***** und G***** Ga***** betreffenden Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe sowie die M***** M***** betreffenden Beschlüsse gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und 4 StPO werden aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Rechtsmitteln werden die Angeklagten M***** G*****, G***** Ga***** und M***** M***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

In der Strafsache gegen M***** R***** und weitere Angeklagte, AZ 11 Hv 30/09d des Landesgerichts Leoben, führte am 29. Juni 2009 ein Jugendschöffensenat bestehend aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern die Hauptverhandlung durch und fällte ein Urteil, mit dem M***** R***** des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall und 15 StGB, T***** P***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 erster Fall StGB, M***** Mi*****, C***** D***** und M***** M***** jeweils des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall und 15 StGB sowie M***** G***** und G***** Ga***** jeweils des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, deren Vollzug bei T***** P*****, M***** G*****, C***** D***** sowie G***** Ga***** jeweils zur Gänze und bei M***** R***** teilweise bedingt nachgesehen wurde.

Neben gemäß § 369 Abs 1 StPO erfolgten Zusprüchen an mehrere Privatbeteiligte enthält das Urteil - entgegen § 494 Abs 1 StPO - auch die Anordnung von Bewährungshilfe hinsichtlich M***** R*****, M***** G*****, C***** D***** und G***** Ga***** (§§ 50, 52 StGB). Zudem fasste dieser Schöffensenat den Beschluss, gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die dem M***** M***** mit Urteil des Landesgerichts Leoben vom 15. Mai 2007, AZ 11 Hv 56/07z, zu einem sechsmonatigen Teil der Freiheitsstrafe gewährte bedingte Strafnachsicht zu widerrufen. Vom Widerruf der ihm mit Urteil des Bezirksgerichts Leoben vom 27. April 2005, AZ 13 U 10/05h, gewährten bedingten Strafnachsicht zu einer achtwöchigen Freiheitsstrafe sah das Erstgericht ab (§ 494a Abs 1 Z 2 StPO). Hinsichtlich der erst mit 10. Juli 2009 wirksam werdenden, aber zu AZ 31 BE 79/09b des Landesgerichts Leoben am 27. April 2009 bereits beschlossenen bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe (ON 31; S 3 in ON 50) erging keine Entscheidung.

Dieses Urteil erwuchs hinsichtlich M***** R*****, M***** Mi*****, T***** P***** und C***** D***** in Rechtskraft. M***** G***** und G***** Ga***** meldeten fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen an und führten diese auch aus. M***** M***** meldete nur Berufung an, ohne das Rechtsmittel auszuführen. Demgemäß wurden auch die Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe für M***** G***** und G***** Ga***** sowie der Beschluss auf Widerruf gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO hinsichtlich M***** M***** impliziert (§ 498 Abs 3 StPO) bekämpft.

Rechtliche Beurteilung

Die Durchführung der Hauptverhandlung und die Urteilsfällung im Verfahren AZ 11 Hv 30/09d des Landesgerichts Leoben am 29. Juni 2009 in einem mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzten Jugendschöffensenat steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Mit dem am 17. Juni 2009 kundgemachten und am 1. Juni 2009 - somit rückwirkend (§ 514 Abs 5 erster Satz StPO) - in Kraft getretenen Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, wurde der letzte Satz des § 32 Abs 1 StPO dahin geändert, dass das Landesgericht als Schöffengericht aus einem (Berufs )Richter und zwei Schöffen besteht. Durch die Mitwirkung eines zweiten Berufsrichters an der Verhandlung und Urteilsfällung vom 29. Juni 2009 wurde daher das Gesetz in den §§ 32 Abs 1 letzter Satz, 40 Abs 1 letzter Satz StPO iVm Art 6 Abs 1 MRK und Art 83 Abs 2 B-VG verletzt (vgl Jerabek, WK-StPO § 514 Rz 9). Die gegenteilige, im Erlass des BMJ vom 17. Juni 2009 über die Änderungen des StGB, der StPO, des JGG, des StAG und des StVG durch das Budgetbegleitgesetz 2009, JMZ 894000L/4/II3/09, JABl 2009/15, geäußerte Rechtsansicht, wonach für die Änderung der Senatszusammensetzung bei den Landesgerichten als Schöffengerichten „vom Grundsatz der perpetuatio fori auszugehen" und demnach das Strafverfahren in der Besetzung zu führen sei, die im Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage gesetzlich vorgesehen gewesen ist, vermengt Gerichtsbesetzung mit Gerichtszuständigkeit (eingehend dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 111-115).

Es bleibt anzumerken, dass es sich bei einem solcherart „überbesetzten" Schöffengericht nicht um einen „höherqualifizierten" Spruchkörper (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 115) handelt. Vielmehr entschied ein Richterkollegium in einer Zusammensetzung, welche das Gesetz im Verhandlungszeitpunkt nicht mehr vorsah. Demgemäß liegt auch eine Verletzung des im Art 6 Abs 1 MRK („… und zwar von einem … auf Gesetz beruhenden Gericht …") verankerten Grundrechts auf ein faires Verfahren vor (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4 § 24 Rz 27 ff, insbesondere Rz 30). Die Angeklagten wurden daher auch in ihrem verfassungsmäßig gewährleistetem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) beeinträchtigt.

Zur nicht gehörigen Gerichtsbesetzung und der gemäß § 281 Abs 1 Z 1 StPO statuierten Rügepflicht wird auf die Ausführungen in 13 Os 139/09d, 13 Os 145/09m sowie 13 Os 115/09z, 13 Os 125/09w verwiesen. Da durch die Mitwirkung des beisitzenden Berufsrichters ein für die Angeklagten nachteiliger Einfluss auf die der Abstimmung über die Schuld- und Straffrage vorangegangene Willensbildung im Senat nicht auszuschließen ist (vgl RIS-Justiz RS0100599; 9 Os 11/87) und kein Hinweis vorliegt, wonach die Angeklagten diesen Besetzungsmangel bewusst in Kauf genommen hätten, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Entscheidung gemäß § 292 letzter Satz StPO konkrete Wirkung zu verleihen.

Demnach war das Urteil des Landesgerichts Leoben als Jugendschöffengericht vom 29. Juni 2009, GZ 11 Hv 30/09d-71, und demzufolge die Beschlüsse auf Anordnung von Bewährungshilfe gemäß §§ 50, 52 StGB, ferner die Beschlüsse gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und 4 StPO aufzuheben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird bei M***** M***** das auch bei Beschlüssen nach § 494a StPO geltende Verbot der reformatio in peius zu beachten sein (vgl RIS-Justiz RS0100547; Jerabek, WK-StPO § 498 Rz 10). Dies insbesondere im Hinblick auf den im ersten Rechtsgang gefassten Beschluss nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO (Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Bezirksgerichts Leoben vom 27. April 2005, AZ 13 U 10/05h, bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe) und im Umfang der zu AZ 31 BE 79/09b des Landesgerichts Leoben am 27. April 2009 beschlossenen bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe, zu der im ersten Rechtsgang keine Entscheidung nach § 494a StPO erging (§ 494b StPO). Die Angeklagten M***** G***** und G***** Ga***** waren mit ihren Nichtigkeitsbeschwerden, Berufungen und implizierten Beschwerden ebenso auf diese kassatorische Entscheidung zu verweisen, wie der Angeklagte M***** M***** mit seiner Berufung und der implizierten Beschwerde.

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