14Os131/09k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ing. Peter H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB, AZ 55 BAZ 604/08x der Staatsanwaltschaft Innsbruck, über die von der Generalprokuratur gegen die Verfügung des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 1. Juli 2009, AZ 6 Bs 363/09x, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Die Staatsanwaltschaft Innsbruck stellte das gegen Ing. Peter H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB geführte Ermittlungsverfahren am 22. Mai 2009 nach § 190 Z 2 StPO ein (ON 1 S 13). Am 29. Mai 2009 langte ein auf Fortführung dieses Verfahrens gerichteter Antrag des Opfers Hasan K***** ein (ON 16), den die Staatsanwaltschaft am 5. Juni 2009 mit ablehnender Stellungnahme (ON 17) an die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck weiterleitete, welche die Akten am 9. Juni 2009 dem Oberlandesgericht Innsbruck vorlegte, wo sie am 12. Juni 2009 eingingen (ON 1 S 17).
Nachdem sowohl das Oberlandesgericht als auch das Landesgericht Innsbruck die Kompetenz zur Entscheidung über den Antrag auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens abgelehnt hatte, erklärte Ersteres - in rechtsrichtiger Wahrnehmung seiner diesbezüglichen Kompetenz (13 Ns 42/09v) - mit Verfügung vom 1. Juli 2009 das Landesgericht Innsbruck als zuständig im Sinn des § 514 Abs 5 StPO. Hiedurch erachtet die Generalprokuratur das Gesetz aus folgenden Erwägungen als verletzt:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Kompetenz zur Entscheidung über den Fortführungsantrag grundsätzlich erst durch die mit Aktenvorlage verbundene Entscheidung der Anklagebehörde ausgelöst werden kann, das Verfahren nicht fortzuführen, weshalb es für die Frage der Zuständigkeit auf den Zeitpunkt des Einlangens des Fortführungsantrags nicht ankommen kann.
Das Budgetbegleitgesetz 2009 wurde am 17. Juni 2009 als BGBl. I. Nr 52/2009 kundgemacht. Nach Art. 49 Abs 1 B-VG treten Bundesgesetze, soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft.
Eine abweichende Regelung liegt fallbezogen vor. Gemäß dem Wortlaut des § 514 Abs 5 StPO (idF BGBl I Nr 52/2009) treten sowohl die Bestimmung des § 31 Abs 5 Z 3 StPO als auch die damit verbundene Bestimmung des § 33 Abs 1 Z 3 StPO mit 1. Juni 2009, sohin rückwirkend, in Kraft. Demnach kommt die Entscheidung über Anträge auf Fortführung nach den geänderten Bestimmungen nunmehr nicht mehr dem Oberlandesgericht, sondern als Senat von drei Richtern dem Landesgericht zu. Übergangsregelungen sind weder dem Budgetbegleitgesetz 2009 noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Wenngleich eine Rückwirkung nach Art 49 B-VG in bestimmten Grenzen als zulässig erachtet wird, ergeben sich doch aus anderen Bestimmungen (vgl insbesondere auch das in Art 83 Abs 2 B-VG normierte Recht auf den gesetzlichen Richter) verfassungsrechtliche Schranken (vgl Thienel in Korinek/Holubek [Hrsg] Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 48, 49 Rz 67 f). Rückwirkende Gesetze stehen insbesondere in einem besonderen Spannungsverhältnis zur Rechtssicherheit und bedürfen einer besonderen sachlichen Rechtfertigung (Mayer, B-VG4 Art 49 B-VG III.2.). Verfassungswidrig wäre es etwa, wenn die Auswirkung der Rückwirkung davon abhängt, ob über einen Anspruch zufällig vor oder nach Erlassung des neuen Gesetzes entschieden wurde (Thienel aaO Rz 67 mwN). Bei der Interpretation von Gesetzen sind Widersprüche zum Verfassungsrecht zu vermeiden, eine verfassungskonforme Auslegung ist daher, soweit sie nach den sonstigen Auslegungskriterien möglich ist, geboten (Bydlinski in Rummel3 § 6 ABGB Rz 21). Bei zu weit geratenen gesetzlichen Tatbeständen ist auch die Zulässigkeit der teleologischen Reduktion, die der ratio legis gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut zur Durchsetzung verhelfen soll, einhellig anerkannt (Bydlinski in Rummel3 § 7 ABGB Rz 7). Demzufolge ist die eine Rückwirkung anordnende Bestimmung des § 514 Abs 5 erster Satz StPO, soweit sie auch auf die die sachliche Zuständigkeit zur Entscheidung über Fortführungsanträge ändernden Bestimmungen nach § 31 Abs 5 StPO und § 33 Abs 1 Z 3 StPO Bezug nimmt, verfassungskonform zu interpretieren und demnach teleologisch zu reduzieren. Dies solcherart, dass die in Rede stehenden, die Zuständigkeit betreffenden Bestimmungen erst mit Ablauf des Tages der Kundmachung des Budgetbegleitgesetzes 2009, sohin mit 18. Juni 2009 wirksam werden.
Dass eine derartige Auslegung tatsächlich der ratio legis entspricht, zeigen im Übrigen auch der sechste und siebente Satz des § 514 Abs 5 StPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2009, wonach die Bestimmungen der §§ 194 bis 196 StPO idF des BBG 2009 nicht anzuwenden sind, wenn die Fortführungsanträge vor dem Inkrafttreten eingebracht und von der Oberstaatsanwaltschaft bereits dem Oberlandesgericht vorgelegt wurden, somit nach dem Willen des Gesetzgebers der alten Rechtslage - ungeachtet des Zeitpunkts des Inkrafttretens - in bestimmten Fällen ein Anwendungsbereich gelassen wird.
Fallbezogen wurde die Aktenvorlage an das Oberlandesgericht noch vor dem 18. Juni 2009 verfügt, weshalb das Oberlandesgericht nach den dargelegten Grundsätzen zur Entscheidung berufen ist.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
Wie die Generalprokuratur zutreffend einräumt, traten die Bestimmungen des § 31 Abs 5 Z 3 und der §§ 194 bis 196 StPO in der Fassung BGBl I 2009/52 nach dem Wortlaut des § 514 Abs 5 erster Satz StPO mit 1. Juni 2009 in Kraft, wobei die geänderten Verfahrensnormen über die Behandlung von Anträgen auf Fortführung des Ermittlungsverfahrens auch auf vor dem 1. Juni 2009 eingebrachte Anträge anzuwenden sind, soweit diese noch nicht gemäß § 195 Abs 3 StPO aF dem Oberlandesgericht vorgelegt wurden (§ 514 Abs 5 sechster Satz StPO).
Dennoch sieht die Generalprokuratur § 514 Abs 5 StPO mit der Begründung verletzt, diese Bestimmung sei verfassungskonform dahin zu interpretieren, dass sie das Inkrafttreten der in Rede stehenden Normen nicht - rückwirkend - mit 1. Juni 2009, sondern im Sinn der subsidiären Regelung des Art 49 Abs 1 B-VG mit Ablauf des Tages der Kundmachung von BGBl I 2009/52 (17. Juni 2009) anordne. Jede Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes muss die nach ihrem Dafürhalten verletzte positive Regelung auf Gesetzesstufe bezeichnen und die angenommene Verletzung methodisch vertretbar aus dem Gesetz ableiten (Ratz, WK-StPO § 292 Rz 12; ders, WK-StPO § 281 Rz 588). Diesem Erfordernis wird die aktuelle Beschwerde nicht gerecht:
Die Generalprokuratur geht zu Recht davon aus, dass die rückwirkende Geltung von Bundesgesetzen grundsätzlich zulässig ist (Art 49 Abs 1 zweiter Satz B-VG) und nur im Einzelfall verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen sein kann, legt jedoch nicht dar, aus welchen Gründen sie hier eine solche Beschränkung als gegeben erachtet. Allein der Hinweis auf Art 83 Abs 2 B-VG ist insoweit nicht hinreichend, weil die angesprochene Regelung ohnedies durch Gesetz normiert worden ist. Argumente, aufgrund derer die - somit grundsätzlich verfassungskonform per Gesetz (Art 83 Abs 2 B-VG) rückwirkend (Art 49 Abs 1 B-VG) vorgenommene - Änderung der Gerichtszuständigkeit in concreto der Verfassung widersprechen sollen, sind der Beschwerde nicht zu entnehmen.
Demnach hat auch die Frage, wie (deutlich und bestimmt aufgezeigten) verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber § 514 Abs 5 StPO gegebenenfalls methodisch zu begegnen wäre, auf sich zu beruhen. Auf den von der Generalprokuratur im Gerichtstag vorgenommenen Verweis auf die Entscheidungen 11 Ns 51/09b und 12 Ns 51/09k war nicht einzugehen, weil nach dem System der StPO die nicht gesetzmäßige Begründung einer Nichtigkeitsbeschwerde durch nachträgliche Erklärungen ohnedies nicht saniert werden kann. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war somit zu verwerfen.